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Die stille Zuhörerin auf der Kirchenbank: "Die Leute können hier dem Alltag entfliehen"

Im Landkreis Bautzen gibt es viele Alltagshelden - Menschen, die sich uneigennützig für andere engagieren. Sächsische.de stellt einige vor. Heute: Sandra Schäfer-Garten aus Kamenz.

Von Torsten Hilscher
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Sandra Schäfer-Garten an der Pforte zur Hauptkirche St. Marien in Kamenz. Hier wirkt sie ehrenamtlich bei der "Offenen Kirche", vor allem aber als Seelsorgerin.
Sandra Schäfer-Garten an der Pforte zur Hauptkirche St. Marien in Kamenz. Hier wirkt sie ehrenamtlich bei der "Offenen Kirche", vor allem aber als Seelsorgerin. © Matthias Schumann

Kamenz. Die St.-Marien-Kirche in Kamenz ragt aus dem Lausitzer Hügelland heraus. Schon aus der Ferne ist sie gut zu sehen, ihr trutziger Turm prägt das Weichbild der Stadt. Unten in der Hauptkirche ist weit weniger Wucht. Es dominieren die hohen Kirchenfenster, der Altar, Kruzifixe, sakrale Kunst und viele, viele Kirchenbänke, die zur Andacht und zum Verweilen einladen. Hier befindet sich der "Arbeitsplatz" von Sandra Schäfer-Garten.

Dabei ist die 44-Jährige gar nicht konfessionell gebunden. "Mir bereitet es einfach Freude, den Menschen zu helfen, ihnen nur zuzuhören, wenn es sein muss", sagt sie. Bereits seit sechs Jahren ist die taffe und doch so sensible Frau Teil des Teams "Offene Kirche"; alles Ehrenamtler, die dafür sorgen, dass das größte Kamenzer Gotteshaus tagsüber sicher offenstehen kann.

Doch Schäfer-Garten leistet viel mehr, als durch bloße Anwesenheit zu glänzen oder, wie andernorts mitunter zu erleben, Fotoverbote auszusprechen. Sie ist da: für gemeinsames Schweigen, für ein offenes Ohr, für ein gemeinsames Gebet. "Dabei ist es wirklich nicht wichtig, ob jemand christlich ist", betont sie. Da begegne sie oft einer Schwellenangst.

"Die Menschen suchen die Ruhe"

Natürlich unternehme sie mit Neugierigen auch Kirchenführungen oder spiele schon mal Guide, wenn Tipps zu Stadt und Umgebung gefragt sind. "Viele Kamenzer erzählen mir von ihren Erinnerungen. Wie sie hier konfirmiert oder gar getraut wurden. Das ist immer wieder schön."

Zentrales Anliegen ist ihr aber die Seelsorge. Dabei ist sie alles andere als ein Profi. Die gelernte Restaurantfachfrau hat in der Gastronomie gearbeitet und befindet sich gerade in einer Auszeit. Durchatmen, auf ihr eigenes Inneres hören. Auch daraus schöpft sie Kraft für die vielen Gespräche, die sie mit Menschen zusammenbringt, die oft nicht mehr können.

"Ich sehe das den Leuten an. Manche, die hereinkommen, atmen einmal tief aus, wenn sie sich auf der Kirchenbank niedergelassen haben. Solch eine Last fällt von ihnen." Dann tritt sie diskret auf die Menschen zu, signalisiert ihre Bereitschaft. "Diese Ruhe!", höre sie oft. "Die Leute können hier dem Alltag entfliehen, sie finden zu sich", berichtet sie.

"Solche Gespräche machen auch etwas mit einem"

Wenn sie annimmt, dass der Gast reden möchte, wenn es scheint, als drohe der Andere im dröhnenden Schweigen zu versinken, fragt sie: "Wie fühlen Sie sich gerade?" Ein Schlüsselsatz, dem sich viele öffnen, manche auch mit Erschütterung. Die Frage löse in den Menschen etwas völlig anderes aus als das eher floskelhafte "Wie geht es Ihnen?".

Für das, was dann passiert, gibt es keine Regeln. Manchmal genügt es den Menschen, wenn Schäfer-Garten sie einfach nur leicht am Arm berührt. Andere vertiefen sich leise mit ihr ins Gespräch, teilen sich mit. Vielleicht ist es diese Intuition, der feine selbstlose Zug an ihr, der Vertrauen schafft.

Dabei herrscht keineswegs Einseitigkeit. "Es gibt mir ganz, ganz viel zurück. Solche Gespräche machen auch etwas mit einem", gesteht sie und deutet ein traumatisches Erlebnis an, das ihr Leben vor wenigen Jahren von einem Augenblick auf den anderen für immer veränderte. "Einer trage des anderen Last." Sie erwähnt das biblische Motto nicht, aber handelt danach.

"Ohne das Ehrenamt würde es vieles nicht geben"

"Dieser geschützte Raum wäre ohne das Ehrenamt nicht möglich", betont Schäfer-Garten. "Ohne das ehrenamtliche Engagement gerade am Rande der Gesellschaft, ob in Hospizen, Obdachlosenheimen oder Pflegeheimen, würde es vieles nicht geben. Das sind nämlich die eigentlichen Alltagshelden", sagt sie bescheiden.

Da passt es, dass sie im Pfarrhaus in Cunnersdorf wohnt. Obwohl, wie erwähnt, kein Kirchenmitglied, betreut sie dort die örtliche Pfadfindergruppe und gestaltet auch Gottesdienste mit. Früher, als ihre heute 16 und 21 Jahre alten Kinder noch klein waren, half sie bei der Christenlehre mit aus, schmierte Brote, kochte oder gestaltete Freizeiten. "Ich habe der Kirche viel zu verdanken und erfahre selbst große Dankbarkeit." Auch daraus schöpft sie Kraft, um völlig Fremden ein Tröster zu sein.

Die Kamenzer Hauptkirche St. Marien hat außerhalb der Gottesdienstzeiten am Wochenende von 13 bis 16 Uhr geöffnet. Wochentags ist sie, außer montags, von 10 bis 16 Uhr offen. Das sind grobe Richtwerte, betont Sandra Schäfer-Garten: "So lange die Leute kommen, gucke ich auch nicht auf die Uhr." Sie selbst ist einmal in der Woche und am Wochenende im Einsatz - als guter Engel von Kamenz.