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Ein Jahrhundert Kamenz von oben

Mit Luftbildern zeichnet eine neue Ausstellung die rasante Entwicklung der Stadt nach. Darunter sind noch nie gezeigte Fotos aus einem schottischen Archiv.

Von Reiner Hanke
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Der Kamenzer Oberbürgermeister Roland Dantz und Kuratorin Ragnit Michalicka zeigen ein Stickbild, wie es um 1920 typisch war. Es wird in der neuen Ausstellung im Malzhaus zu sehen sein.
Der Kamenzer Oberbürgermeister Roland Dantz und Kuratorin Ragnit Michalicka zeigen ein Stickbild, wie es um 1920 typisch war. Es wird in der neuen Ausstellung im Malzhaus zu sehen sein. © René Plaul

Kamenz. Im Malzhaus in Kamenz entsteht in diesen Tagen eine ganz besondere Ausstellung. Die Tafeln sind bereits platziert, nur die Vitrinen in der Mitte noch weitgehend leer, aber die Exponate  schon da. Dazu gehören geheimnisvolle Dielenbretter und weitere Schätze wie ein Stickbild, das Kuratorin Ragnit Michalicka aus dem städtischen Museumsfundus zutage gefördert hat. 

Anlass für die Ausstellung sind 30 Jahre deutsche Einheit. Die Schau legt den Fokus aber nicht nur auf das Jubiläum oder die Gründung des Freistaates Sachsen vor drei Jahrzehnten. Sie nimmt ein ganzes Jahrhundert in den Blick - und besonders Kamenz. 

Dabei hatten die Städtischen Sammlungen ursprünglich gar keine Ausstellung zu dem Thema auf dem Zettel, vor allem mangels Fotomaterial aus den Wendezeiten 1989/90. Der Anstoß kam von Oberbürgermeister Roland Dantz (parteilos): „Es war für mich undenkbar, zu diesem Ereignis nichts zu machen.“ Aber was? Noch dazu mit Bezug zu Kamenz.  Jetzt ist es eine Jahrhundertschau geworden.  Ragnit Michalicka,  Leiterin des Bereichs Stadtgeschichte, durchforstete dafür in nur sechs Monaten etliche Archive und Fototheken.  

Ein Ausspruch des Königs gab der Schau den Titel

Die Ausstellung trägt den Titel „Ihr seid mir schöne Republikaner“. Den Ausspruch lieh sich die Stadt von Sachsens letztem König Friedrich August III. Die 100 Jahre nach seinem Rückzug beschreiben den Zeitraum ab der Novemberrevolution 1918 - und welche Entwicklung die Stadt  Kamenz in dieser Zeit genommen hat: von der  Weimarer Republik über die NS-Zeit mit Krieg und Fackelzügen in Kamenz, die DDR-Zeit bis in die Gegenwart. „Die Ausstellung zeigt, welche Lebensleistung hinter der Entwicklung  steht“, sagt Roland Dantz.

So werden die Besucher überrascht sein, wie die Ausstellung den Blick auf diese 100 Jahre und gerade auf Kamenz weitet. Dabei bleiben die überregionalen Ereignisse nicht ausgespart. Sie werden mit speziellen Ausschnitten aus der lokalen Historie verwoben.  Die Kuratorin wählte das Luftbild als Mittel, um zu zeigen, wie rasant es  mit der Stadt voranging.

1912 lagen an der Macherstraße noch Felder

Den Impuls dafür gab die Aufnahme eines Ballonfahrers aus dem Jahr 1912, als Kamenz noch ein vergleichsweise kleiner Flecken war. Als an der heute dicht bebauten Macherstraße noch Felder lagen, an Plattenbausiedlungen nicht zu denken und das Gewerbegebiet Bernbruch weites Land war. Dort, wo jetzt die Werke von Daimler und  Jägermeister stehen. Mit einem Schlückchen des Likörs soll die Ausstellung eröffnet werden. 

Ein Glücksfall war es, dass der Kontakt zum schottischen historischen Archiv (Historic Environment Scotland)  zustande kam. Die Aufnahmen aus Schottland sind wohl durch Flieger der Alliierten entstanden und zeigen die Region vor Ende des Zweiten Weltkrieges, im August 1944. Das seltene Material wird erstmals in Kamenz zu sehen sein. So gibt es auch einen besonders interessanten Blick auf Biehla, der das Panzerübungsgelände zeigt, sagt Kuratorin Ragnit Michalicka. Es sei ihm wichtig gewesen,  die Entwicklung der Ortsteile in die Ausstellung zu bringen, so Roland Dantz.

Luftbilder aus DDR-Zeiten sind Raritäten.  Ein Foto hat Ragnit Michalicka dennoch aufgestöbert. Es zeigt ein Transportflugzeug im Februar 1982  über den Wolken. Die verhüllen allerdings dezent und absichtsvoll, was damals nicht gezeigt werden sollte. Für die aktuellen Fotos gingen Pilot Bernd Ohlhoff und Reinhard Kärbsch, ehemaliger Redakteur der Sächsischen Zeitung, in die Luft. Das Ergebnis lässt interessante Vergleiche zu.

Dielenbretter verraten etwas über harte Zeiten

Besonders schwierig sei es gewesen, Exponate zu finden, die zur Ausstellung passen. So werden auch Dielenbretter aus den 1940er-Jahren mit verblüffenden Anmerkungen von Bewohnern aus harten Zeiten zu sehen sein: "Alles Sch…“, heißt  es da zum Beispiel, „Stundenlohn 93 Pfennige“.  Ein Batteriesystem von Accumotive wird zu sehen sein und einige Raritäten mehr.

Mit dem Ausstellungskonzept gelang es der Stadt sogar, 15.000 Euro an Fördermitteln zu erhalten, sonst wäre das Projekt kaum möglich gewesen. Ein Ziel sei es, die Besucher auch "ein bisschen stolz auf das zumachen, was entstanden ist, und auf die demokratischen Prozesse nach 1998", sagt Roland Dantz. Es seien so unglaubliche Fortschritte für unser Leben zu verzeichnen, und „es gebe doch so eine breite Unzufriedenheit“, stellt er fest. So erinnere die Ausstellung daran, wie Menschen früher lebten:  "Und wie leben wir heute? Vielleicht regt es an, eigene Positionen zu hinterfragen", so der OB.

Dem Besucher werde die Freiheit gegeben, sich selbst aus historischer Distanz ein Bild zu machen. Wenn er Widersprüchliches entdecken sollte, dann soll das zum Nachdenken anregen. Sylke Kaufmann, die Leiterin der Städtischen Sammlungen, sagt: „Geschichte wird eben immer wieder neu interpretiert.“ 

Die Ausstellung wird am 15. September, 19 Uhr, im Malzhaus eröffnet. Sie  ist bis Ende Dezember zu besichtigen.

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