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Wie der Lockdown ein Projekt für Behinderte ausbremst

In Kamenz arbeiten psychisch kranke Menschen Markenware auf. Zurzeit ist das nicht möglich. Für ihre Betreuer gleich in mehrfacher Hinsicht ein Problem.

Von Reiner Hanke
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Andrea Wachtel, Beate Buchholz und Tamara Czapka arbeiten derzeit allein Markenware in der Kamenzer Werkstatt "Mangelware" auf. Denn ihr Behinderten-Projekt ist im Lockdown.
Andrea Wachtel, Beate Buchholz und Tamara Czapka arbeiten derzeit allein Markenware in der Kamenzer Werkstatt "Mangelware" auf. Denn ihr Behinderten-Projekt ist im Lockdown. © René Plaul

Kamenz. Die Einkaufsstraßen sind derzeit wie ausgestorben. Die meisten Geschäfte im Corona-Lockdown dicht. In der "Mangelware" auf der Bautzner Straße in Kamenz ist das nicht anders, aber es brennt hinter der verschlossenen Tür trotzdem manchmal Licht.

Beate Buchholz und Andrea Wachtel haben einen Berg Kinderbekleidung vor sich auf dem großen Arbeitstisch hinter dem Verkaufsraum liegen. Mit flinken Händen schneiden sie Marken-Label aus der Bekleidung. Die bekommen sie kostenlos von einer sehr bekannten Bekleidungskette, die nicht erkannt werden soll, als Unterstützung für ihr Sozialprojekt für Menschen mit Handicap. Das läuft unter dem Dach der Louisenstift gGmbH mit Sitz in Königsbrück.

Kleiderwerkstatt mit therapeutischem Effekt

Es handelt sich um neuwertige Ware, die nicht mehr verkauft werden konnte, aber auch um Retouren mit Mängeln. Winterjacken, Pullover, Handschuhe, Babykleidung, sogar Schmuck. „Wir haben mittlerweile Stammkundschaft“, sagen die beiden Frauen. Zumal die Mode zu sehr günstigen Preisen zu bekommen ist – ein Geheimtipp. Doch im Vordergrund stehe der therapeutische Effekt für die Menschen in dem Projekt. Sie begutachten die Ware und bereiten die Modeartikel für den Verkauf vor – flicken eine Naht oder nähen Knöpfe an.

Die gemeinnützige Gesellschaft hat mehrere Standbeine. Dazu gehört auch HiBB – die ambulante Behindertenhilfe, ein kleines Team mit pädagogischen Fachkräften. Sie begleiten und unterstützen rund 30 Menschen mit Behinderungen, insbesondere mit psychischen Erkrankungen. Sie helfen ihnen, alltägliche Probleme und Krisen zu bewältigen. Sie gehen mit ihnen zum Arzttermin oder zu Behörden. Angedockt ist jetzt die Kleiderwerkstatt mit Verkauf in den Räumen der "Mangelware".

Dort trifft sich eine kleine Gruppe von sieben Leuten, meist Frauen, aus dem HiBB-Projekt normalerweise regelmäßig zur Arbeit. Sie kommen bis aus Laußnitz, Pulsnitz, Panschwitz. Durch Corona läuft das alles derzeit allerdings nicht. Die Arbeit in Kamenz ist derzeit nicht möglich, der Verkauf sowieso nicht.

Trotz Corona kommen aber regelmäßig die Warenlieferungen. Vier große Europaletten jeden Monat. Etwa 1.500 bis 2.000 Teile. Vieles allerdings so schadhaft, dass es nicht mehr verwendbar ist und entsorgt werden müsse. Aber etwa die Hälfte sei schicke Bekleidung, die derzeit allein von den Betreuern aufgearbeitet wird.

Betroffene sitzen daheim ohne Kontakt

Für die Menschen, die sie betreuen, sei das schon eine schwere Zeit: „Sie sitzen daheim und haben fast null Kontakte“, sagt Sozialpädagogin Beate Buchholz. „Sie sind alle immer mit heller Begeisterung dabei gewesen.“ Umso schlimmer sei die Pause. Wegen der Einschränkungen halten die Betreuer derzeit viel telefonischen Kontakt. So ein Gespräch kann dann auch länger dauern, wenn die Betroffenen ihr Herz ausschütten.

Es brauche aber oft viel Geduld, ehe sich Vertrauen aufbaue, sagt Beate Buchholz: „Wir sind menschlich sehr nah dran, es ist reine Beziehungsarbeit, wir geben ein Stück von uns selbst, sonst wäre kaum etwas zu erreichen. Aber die Dankbarkeit für die Zuwendung ist groß.“

Dabei habe eben auch die Arbeit in der Gruppe viele positive Effekte, sagt Beate Buchholz. Die Betroffenen wachsen in ihrer Persönlichkeit durch die Kontakte, gewinnen an Selbstwertgefühl. Jeder für sich habe ein schlimmes Schicksal, Missbrauchsopfer gehören dazu. Oder die junge Frau, die als Kind schwere Verbrennungen im Gesicht erlitt. Inzwischen führe sie sogar Verkaufsgespräche und gehe allein vor die Tür. In der Runde erleben sie, dass auch andere Menschen Furchtbares durchlitten haben. Sie lernen, mit Konflikten umzugehen, schwatzen miteinander unter dem Dach der „Mangelware“.

Neustart vielleicht in zwei kleinen Gruppen

Die startete 2017 eigentlich als Dienstleistungsprojekt für die Kamenzer Innenstadt. Das Christliche Sozialwerk CSW mit der Werkstatt für behinderte Menschen St. Nikolaus draußen am Flugplatz gehörte zu den treibende Beteiligten. Citymanagerin Anne Hasselbach habe die Partner damals zusammengebracht, erinnert sich Werkstattleiterin Barbara Wobser: „Es sollte ein kleines Dienstleistungszentrum werden. Wir wollten mit unserer Wäscherei und Mangel näher an die Leute ran.“

Die Werkstatt des CSW habe sich inzwischen zurückgezogen, das HiBB-Projekt ist der Hauptakteur : „Wir arbeiten aber weiter zusammen“, versichert Barbara Wobser. Vorausgesetzt der Lockdown würde gelockert, könne nach wie vor Wäsche abgegeben werden – zur Reinigung und zum Mangeln. Auch der Büchertausch im Geschäft laufe weiter, ebenso der Nähmaschinen-Reparatur- und der Nähservice.

Der Fokus liegt aber mittlerweile auf der Kleiderwerkstatt - und der Name „Mangelware“ über dem Eingang hat noch eine ganz neue Bedeutung bekommen. Die Mädels seien sehr traurig über die Zwangspause für den Werkstatt-Treff und fragten jede Woche, wann es wieder losgeht. Vielleicht erst einmal geteilt in zwei kleinen Gruppen im Februar, das hofft jedenfalls Beate Buchholz.

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