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Sammlerin schenkt der Stadt Kamenz ihre Keramik-Kollektion

Rund 400 Teller, Krüge, Vasen aus Kamenzer Produktion hat Helga Luzens zusammengetragen. Ein Großteil davon ist nun in einer Ausstellung zu sehen.

Von Torsten Hilscher
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Sammlerin Helga Luzens hat der Stadt Kamenz ihre Keramik-Sammlung überlassen. Ein großer Teil davon ist jetzt in einer Sonderausstellung im Malzhaus zu sehen.
Sammlerin Helga Luzens hat der Stadt Kamenz ihre Keramik-Sammlung überlassen. Ein großer Teil davon ist jetzt in einer Sonderausstellung im Malzhaus zu sehen. © Fotos: Matthias Schumann, Steffen Unger , Montage: Bildstelle

Kamenz. "Das ist ja eine tolle Idee!" Helga Luzens ist freudig überrascht, als sie am Dienstagabend das Kamenzer Malzhaus am Museum der Westlausitz betritt. Im Sonderausstellungsraum ist ihre Keramiksammlung buchstäblich ausgebreitet: Krüge, Teller, Becher, Vasen, Schalen, Schüsseln hübsch dekoriert am Boden auf Stroh.

Rund 400 solcher Objekte hat Helga Luzens jüngst den Städtischen Sammlungen Kamenz überlassen, berichtet Kuratorin Ragnit Michalicka, während sie die Sammlerin herumführt. "Ich habe die Keramiken nach Epochen geordnet", erklärt sie ihr.

Rundum an den Wänden informieren zahlreiche Texttafeln über die Geschichte des Betriebes Lausitzer Keramik. Denn Kamenz, lernt der Gast, war einmal eine Töpferhochburg so wie viele Orte der Lausitz und des schlesischen Gebiets.

Die Keramik-Exponate werden in der Sonderschau im Kamenzer Malzhaus auf Stroh gebettet präsentiert.
Die Keramik-Exponate werden in der Sonderschau im Kamenzer Malzhaus auf Stroh gebettet präsentiert. © Matthias Schumann

Zu den Industriefirmen, die hier vor und nach dem Ersten Weltkrieg ihre ersten Schritte unternahmen, gehörten auch die der Familien Piesche und Reif. Ihrem Aufstieg ist der erste Teil der neuen Sonderausstellung gewidmet. Es sind Geschichten von Unternehmermut, Existenznöten, Kriegsgewinnlertum und Fremdbestimmtheit in den Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft, die auf jeden Fall Stoff für eine Fernsehserie böten. Gerade die schicksalhaften Verwerfungen in der DDR-Zeit, die systematische Drangsalierung und Bevormundung der Kamenzer Mittelständler der Keramikfertigung bis hin zu Personalfragen schärfen heute den Blick für den untergegangenen Staat.

Und doch macht die Ausstellung Laune. Bilder aus Verwaltung und Produktion zeigen den Alltag der "Keramik-Buden", die Außenstellen auch in Bischofswerda hatten. Dazu das Schamottewerk Thonberg. Zu sehen: die Menschen in ihrer Zeit. An Kleidung und Frisuren sind die verschiedenen Epochen zu erkennen. Es wird viel gelacht, aber auch schwer geschuftet.

Zwischengeschaltet ist Schriftverkehr der jeweiligen Betriebsleitung mit den Behörden. Mal geht es um Steuerforderungen, mal um Zwangsverstaatlichung, mal um Normerhöhungen. Prospekte illustrieren die Teilnahme an der Leipziger Mustermesse kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Nebenher erfährt der Besucher auch jene Geschichte von sinnlosen Kämpfen faschistischer Fanatiker noch in den letzten Kriegstagen aus einer der Fabriken heraus.

Spannende Informationen aus vielen Epochen

Das Ende kam 1993/94. Oder bereits 1991, wie bis heute viele meinen, die mit dabei waren. Im März 1991 nämlich trat die Treuhand in die Firmengeschichte ein, es folgte die Übernahme durch eine Gesellschaft mit Sitz auf den Bahamas, Außenstelle in Vancouver. Die Kanadier verabschiedeten sich, das Werk schloss. Die letzten von 45 verbliebenen Beschäftigten mussten gehen. Bereits zwei Jahre zuvor hatten 100 Kolleginnen und Kollegen des Volkseigenen Betriebes (VEB) Lausitzer Keramik ihre Arbeit verloren, weitere 110 in den Zweigwerken. Der vorläufige Niedergang des Industriestandortes Kamenz begann.

Überhaupt zieht sich Tragik durch die gesamte Firmengeschichte der Kamenzer Keramik-Fabriken. Ein Beispiel: Noch kurz vor dem Ende der DDR bekam der volkseigene Betrieb eine moderne und energiesparende Brennanlage. Große Produkterweiterungen waren geplant, ein neues Fabrikgebäude entstand sogar. Alles in allem flossen zehn Millionen Ost-Mark in die Modernisierung. 1989 war alles fertig. Doch für die Verwendung in der Serienproduktion hätte es aufwändiger Testläufe bedurft, die sich in der Übergangszeit vor und nach der deutschen Wiedervereinigung kein Investor antun wollte.

Was bleibt, ist mehr als Erinnerung. Überlebt haben unzählige Gegenstände in Haushalten und Kleingärten. Museologin Michalicka verweist immer wieder auf die Perfektion der Muster. Schwung und Präzision seien kein Zufall: "Die Keramikmaler hatten in der Porzellanmanufaktur in Meißen gelernt", sagt sie.

Spenderin wurde auf Flohmärkten fündig

Helga Luzens stammt ebenfalls aus dem kreativen Bereich: Sie ist Dekorateurin, Grafikerin, Fotografin. Jahrelang lebte sie in Dresden, jetzt hat sie ihren Wohnsitz in Dürrröhrsdorf-Dittersbach. Ihre Heimatstadt aber ist Kamenz. Daher war die Schenkung nach Kamenz "eine Herzensangelegenheit", wie sie beim Rundgang mit Sächsische.de betont. Sie wohnte nicht nur einst in der Villa Reif, sondern war auch mit den Töchtern Piesche und Reif befreundet.

Die Kamenzer Keramik in dieser Fülle stand allerdings nicht bei ihr daheim. Vielmehr trug sie die Sammlung erst seit 2006 systematisch zusammen. "Ich war unter anderem auf Trödelmärkten", erzählt sie. Eine riesige Obstschale mit einem Uhu-Motiv rettete sie - ganz legal natürlich - aus einem Wirtshaus. Die nächste Kollektion hat sie bereits "in der Mache", wie sie sagt - seit einigen Jahren sammelt sie Villeroy & Boch.

Die Kamenzer Keramik-Schau ist auch für Kinder geeignet. Gibt es doch nicht nur zeitloses buntes Geschirr aus den 1960er-Jahren zu sehen. Im Stroh, zwischen den Tellern, Tassen und Vasen, gilt es, zwei heimliche Besucher zu entdecken.

Die Ausstellung ist bis zum 18. Februar 2024 im Malzhaus Kamenz zu sehen, geöffnet ist Dienstag bis Sonntag, jeweils 10 bis 18 Uhr.