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Mit Gebeten für den Frieden: Die tägliche Fürbitte in der Kamenzer St.-Marien-Kirche

Das Kamenzer Kantorenehepaar Pöche lädt täglich zu einer kurzen Andacht ein. Willkommen sind nicht nur Christen.

Von Torsten Hilscher
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Das Kantorenehepaar Angelika und Michael Pöche lädt wochentags in die Kamenzer St. Marien-Kirche zum Friedensgebet.
Das Kantorenehepaar Angelika und Michael Pöche lädt wochentags in die Kamenzer St. Marien-Kirche zum Friedensgebet. © Matthias Schumann

Kamenz. Wuchtig und trutzig steht sie über der Stadt, weithin sichtbar im Lausitzer Hügelland, gebaut für die Ewigkeit und den Ewigen: St. Marien zu Kamenz. Ganz unten, auf dem Boden der Tatsachen, geht es wochentags inzwischen sehr irdisch zu: Menschen tragen ihre Ängste um den Frieden der Welt vor den Altar.

"Wir spüren, dass die Leute einen Ort dafür brauchen", sagen Angelika und Michael Pöche. Das Kantorenehepaar hat die tägliche Friedensandacht ins Leben gerufen. Von Montag bis Donnerstag, jeweils um 12 Uhr findet sie statt, freitags um 18 Uhr. "Es kann jeder kommen, ob konfessionell gebunden oder nicht", laden beide herzlich ein.

"Manchmal sind wir allein. Doch meist sind so zwischen zwei und zehn Menschen da", so Angelika Pöche. Ihr Mann ergänzt: "Manche Begegnung ergibt sich spontan und zufällig; etwa, wenn eine Gruppe einfach mal nur die Kirche anschauen will. Doch alle, die teilnehmen, sind innerlich berührt." Dieser oder jener zufällige Gast sei allerdings "schmerzfrei": Obwohl um Rücksichtnahme gebeten, fotografierten Besucher der Kirche auch schon mal während der Friedensandacht oder liefen unbeirrt herum.

Ein jeder ist zur Friedensandacht willkommen

Hervorgegangen ist das Mittagsgebet aus Fürbitten in der Corona-Zeit. Was zunächst im ganz kleinen Kreis stattfand - nämlich die stille Einkehr zum Tagzeitenläuten am Tisch der Pöches daheim - wurde öffentlich. Das "Gebet für die Stadt" führte Katholiken, Adventisten und eben Atheisten bei St. Marien zusammen. Gemeinsam beteten sie für verfolgte Christen und Erdbebenopfer.

Seit dem kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine dominiert das Friedensgebet. "Und nun schließt es auch Israel ein", so der Kantor. Den Anfang habe unmittelbar nach der islamistischen Attacke auf den jüdischen Staat eine Fürbitte der Landeskirche gemacht. "Ich habe sie um Bitten für die Menschen im Gazastreifen erweitert", erklärt Michael Pöche.

Sieben Menschen insgesamt sind es am Tag des Besuches von Sächsische.de, die die Andacht besuchen. Fotograf und Reporter mitgezählt. Darunter das Ehepaar Kosinsky aus Lörrach, er Jahrgang 1944, sie Jahrgang 1942. "Wir sind beides also Kriegskinder. Wir wissen, was eine solche Katastrophe mit den Menschen und einem Land anrichtet", beschreiben sie ihr Motiv zur Teilnahme. Beide sind zufällig hier. Ein Kurztrip am Rande des Urlaubs in Dresden hat sie hergeführt.

Nicht zum ersten Mal beim Friedensgebet: Frau Domschke aus Kamenz.
Nicht zum ersten Mal beim Friedensgebet: Frau Domschke aus Kamenz. © Matthias Schumann

Aus Kamenz ist Frau Domschke gekommen, die findet, dass ihr Vorname in dem Zusammenhang keine Rolle spielt. "Ich denke, es ist bitter nötig", sagt sie über das Friedensgebet. "Ich komme viel zu selten." Dabei sei es doch überhaupt nicht schwer, sich doch mindestens einmal 20 Minuten für den Frieden zu nehmen, der so wichtig sei, wie sie betont. Fehle er doch nicht nur in der großen Welt. "Auch daheim in der Familie braucht es Friede. Und in uns selbst."

Vor dem riesigen holzgeschnitzten Altar haben Pöches Kerzen angezündet. Ein kleiner Stuhlkreis ist aufgebaut, darauf Zettel. Dann schlägt es zwölf. Kantor Pöche lauscht dem schweren Klang der Glocken hinterher.

Mit dem Votum "Gnade sei mit euch und Friede von Gott..." leitet er die Andacht ein. Es folgen kurze Gebete, ein Psalm, die tagesaktuelle Losung aus Herrnhut. Gemeinsam lesen die Anwesenden die Seligpreisung, darunter "Selig sind die, die Frieden stiften".

Wer mag, kann eine Kerze anzünden. Schnell bildet sich ein Kreis, man fasst sich an den Händen. Stille.

Gebet für Israel, aber auch Palästina

Den Kern der Mittagsandacht bilden zwei sorgfältig formulierte Gebete. Eines, das vom Krieg zerrissene Familien, Soldaten und Flüchtlinge in aller Welt einschließt. Doch auch eines, das konkret den Nahen Osten zum Inhalt hat. "Treuer Gott, die Gewalt der Hamas gegenüber deinem Volk macht uns betroffen. Wir fühlen mit ihm. Auch Furcht ergreift uns angesichts dieses neuen Krieges in Israel und Palästina", heißt es darin. Das Gebet vereint die Fürbitte für die Not aller Menschen "in Israel, Gaza und der gesamten Umgebung".

Das Kamenzer Kantorenehepaar hat ein Lied aus Israel vorbereitet. Wechselnd, auf Hebräisch und Deutsch, intonieren sie singend mit ihren Gäste den Wunsch nach Frieden. Es ist ein schwingende Melodie, die angesichts der Ereignisse so gar nicht beschwingt zu klingen vermag. Um so inniger das "Schalom, Schalom" aus dem Mund von Musiklehrerin Angelika Pöche. Den Abschluss bilden das Vaterunser und der Segen auf den Weg.

Bewegt und doch zugleich mit einer gewissen Zuversicht verlassen die Teilnehmer des Friedensgebets die trutzige alte Kirche. Wieder läuten die Glocken, weit über die Stadt hinaus. In zwei Jahren, dann, wenn Kamenz 800 Jahre alt wird, könnte eine weitere Glocke hinzukommen. Erste Spendengelder sind gesammelt, Fördermittel werden beantragt. Die Bestimmung ist bereits klar: Die neue Glocke von St. Marien wird eine Friedensglocke.