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In der Osterreiter-Schule: Hier lernen Anfänger mehr als das Pferde-Einmaleins

Pětr Bobka und seine Tochter Franciska haben eine Mission: Beim Unterricht auf ihrem Reiterhof in Miltitz gibt es neben Reittipps auch ganz viel sorbisches Osterreiter-Vokabular.

Von Miriam Schönbach
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Cornelius Korch ist in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Osterreiterprozession in Wittichenau dabei. Zuvor lernte er das Wichtigste dafür in der Osterreiterschule in Miltitz.
Cornelius Korch ist in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Osterreiterprozession in Wittichenau dabei. Zuvor lernte er das Wichtigste dafür in der Osterreiterschule in Miltitz. © Matthias Schumann

Miltitz. Den Schimmel interessiert der Unterricht in seinem Stall in Miltitz bei Nebelschütz gar nicht. Immer wieder zupft sich das weißgraue Pferd duftendes Heu aus der frischen Futterportion heraus. Schmatzend zermalmt der Vierbeiner in seiner Box das scheinbar schmackhafte Mahl, während sechs Jungen auf jedes Wort von Pětr Bobka hören. Es ist ihre letzte Unterrichtsstunde vor ihrem großen Tag am Ostersonntag. Dann steigen sie als junge Osterreiter – meist erstmals – auf die Pferde und tragen die Botschaft von der Auferstehung Christi über das Land.

Pediküre beim Pferd: Pětr Bobka zeigt Cornelius Korch, wie die Hufe gesäubert werden.
Pediküre beim Pferd: Pětr Bobka zeigt Cornelius Korch, wie die Hufe gesäubert werden. © Matthias Schumann

Pětr Bobka ist in seinem Element, zur Seite steht ihm in der Osterreiter-Schule seine Tochter Franciska. Zuerst heißt es für die jungen Reiter geduldige Pferde striegeln, Hufe saubermachen und Zaumzeug anlegen. Lenny Michauk kümmert sich um die Pediküre von Lumpak. Der setzt seinen Hinterhuf auf die Hufspitze auf – und döst noch ein bisschen, bevor die Schüler mit dem Hufauskratzer kommen. „Fasse das Bein so an und stelle dich gerade hin“, sagt die Reittrainerin, die selbst erst 17 ist und seit der frühesten Kindheit im Sattel sitzt. Die Leidenschaft hat sie vom Vater übernommen.

Trainer ist Osterreiter seit 1984

Der 53-jährige Landwirt und Trainer behält seine Osterreiter-Schüler ebenso im Blick. Seine Hinweise gibt er auf Sorbisch, seine Muttersprache. „Es gibt rund um das Pferd viele Begrifflichkeiten, die wir an die jungen Osterreiter weitergeben – auch, damit sie nicht verloren gehen. Sorbische Osterreiter brauchen sorbische Reitbegriffe“, sagt der Miltitzer.

Auf dessen elterlichen Hof in Räckelwitz stehen schon in den 1980er-Jahren Osterreiter-Pferde. Bobka ist fasziniert von den Tieren wie der Tradition und setzt sich beim ersten Ritt als knapp 14-Jähriger 1984 gegen den Willen seines Vaters durch. Er sagt: Du musst erst das Reiten lernen. Eine Saison später erfüllt er den Wunsch und wird Mitglied im Reitverein.

Hufpflege, Striegeln, Nähe zum Pferd herstellen - das alles sind Lektionen für die jungen Osterreiter, bevor es aufs Pferd geht.
Hufpflege, Striegeln, Nähe zum Pferd herstellen - das alles sind Lektionen für die jungen Osterreiter, bevor es aufs Pferd geht. © Matthias Schumann

Die Kunst im Umgang mit dem Pferd ist Pětr Bobka und seiner Tochter Franciska in Fleisch und Blut übergegangen. Seit drei, vier Jahren geben sie ihr Wissen, das Einmaleins sozusagen, gern an die Osterreiter-Schüler weiter. Der diesjährige Jahrgang sind acht Jungen aus unterschiedlichen Prozessionen. Fünfmal gab es für sie Reit- und Sprachtraining in Miltitz.

„Wir üben Trensen, Satteln, bevor wir auf das Pferd steigen. Osterreiter müssen wissen, was zu tun ist. Schließlich ist Ostersonntag immer Stress. Stress mögen Pferde gar nicht“, sagt Franciska Bobka. Die Abiturientin des Sorbischen Gymnasiums in Bautzen ist unter anderem Sächsische Vielseitigkeits-Vizemeisterin. Die Vielseitigkeit ist ein Mehrkampf aus den drei Teilprüfungen Dressur, Geländeritt und Springen.

Osterreiter-Schule in Miltitz: Franciska Bobka (2.v.r.) übt mit fünf Schülern alle Handgriffe rund um das Pferd beim Osterreiten, vorn sitzt Lenny im Sattel.
Osterreiter-Schule in Miltitz: Franciska Bobka (2.v.r.) übt mit fünf Schülern alle Handgriffe rund um das Pferd beim Osterreiten, vorn sitzt Lenny im Sattel. © Matthias Schumann

Die Osterreiter reiten an ihrem großen Tag dagegen meist im Schritt – aber eben auch das muss geübt werden. Vorher erklären Pětr Bobka und seine Tochter das Anlegen und Anpassen des Osterreiter-Geschirrs. Lumpak lässt das Üben gemütlich über sich ergehen. „Du musst den Gurt hier lang führen, sonst schränkst Du das Lenken ein“, erklärt die junge Lehrerin. Lenny Michauk und Luis Suchy machen Handgriff für Handgriff. So leicht, wie es aussieht, ist aber eben nicht. Nach einer guten halben Stunde geht es aber hinüber in die Reithalle.

Wie das Osterreitergeschirr richtig angelegt und ein Pferd gesattelt wird, zeigt Pětr Bobka in der Osterreiterschule.
Wie das Osterreitergeschirr richtig angelegt und ein Pferd gesattelt wird, zeigt Pětr Bobka in der Osterreiterschule. © Matthias Schumann

Der Mini-Reiterklasse folgen Cindy Michauk mit dem zweijährigen Martin Johan. Der Kleine würde wohl auch schon gern seinem großen Bruder Lenny nacheifern. Aber dazu braucht es wohl noch etwas Zeit. Den Osterreiter-Crashkurs findet die Mutter sinnvoll – für das Kind und das Pferd. Am Ostersonntag wird ihr Großer mit einem kleinen grünen Kranz an der Brust erstmals neben seinem Vater Felix reiten. Jener ist inzwischen zum 20. Mal dabei, der Großvater – Bäckermeister Clemens Bresan aus Sollschwitz – trägt dagegen den goldenen Kranz für die 50. Teilnahme. Auch ein zweiter Enkel ist in Grün dabei.

In der Wiederholung liegt die Vertiefung, sodass am Ostersonntag die Handgriffe auch alle sitzen. Hier erklärt Franciska Bobka, wie das Zaumzeug richtig angelegt wird.
In der Wiederholung liegt die Vertiefung, sodass am Ostersonntag die Handgriffe auch alle sitzen. Hier erklärt Franciska Bobka, wie das Zaumzeug richtig angelegt wird. © Matthias Schumann

Für die Neulinge heißt es jetzt volle Konzentration im Rund. „Es ist wie in der Schule. Manches kann der eine besser, anderes der nächste“, sagt Franciska Bobka. Auf Sorbisch kommt das Kommando „Aufsitzen“ – und zwar in den „sedło“. Das ist der Sattel, das Osterreiter-Prunkgeschirr heißt „graty“, die dazugehörige Schweifschleife ist die „sekla“, die eben an den Schweif – wopuš – gehört. Das Hufeisen wiederum heißt auf Sorbisch pódkoj. Das sind nur einige Begriffe, die die Jungreiter lernen – und vielleicht an die nächste Generation Osterreiter weitergeben, damit sie erhalten bleiben.

Wenig Aufregung vor dem ersten Osterritt

Aufsitzen: Die Osterreiterschüler setzen das linke Bein in den Steigbügel, rechtes Bein über den Pferderücken. Die nächste Übungseinheit heißt ordentlich Sitzen und dafür zu sorgen, dass der Vierbeiner dort hingeht, wo er hin soll. Eine weitere Schwierigkeit für die Osterreiter ist die einhändige Zügelhaltung, denn in die zweite Hand kommen die Liedtexte. Darüber hinaus reitet ein Osterreiterzug immer in Paaren. Auch das muss geübt werden.

Jan Laurin Suchy ist 16 und gemeinsam mit seinem Bruder Luis auf dem Miltitzer Reiterhof zum Osterreiter-Unterricht.
Jan Laurin Suchy ist 16 und gemeinsam mit seinem Bruder Luis auf dem Miltitzer Reiterhof zum Osterreiter-Unterricht. © Matthias Schumann

Lenny hat kurz Pause. „Du musst die Zügel zusammenhalten, ein bisschen in der Luft“, rät Franciska dem Schüler. Er nimmt den Hinweis hin, Aufregung scheint der 14-Jährige noch wenig zu spüren. „Ich finde es super hier“, sagt er. Dann schnappt er sich seinen kleinen Bruder und schaut den anderen bei ihrem Übungsritt zu.

Aufs Pferd steigt der Schüler in der größten Prozession, die von Wittichenau nach Ralbitz führt. Um 5 Uhr beginnt der Gemeinschaftsgottesdienst der Osterreiter mit deutschem und sorbischem Gesang in der Katholischen Pfarrkirche in Wittichenau, Abritt ist gegen 9.20 Uhr. „In Sollschwitz am Stall segnen wir vorher unsere Osterreiter aus. Für seinen ersten Ritt hat sich Lenny das Geschirr seines Urgroßvaters ausgesucht. Es ist ganz schlicht“, sagt Cindy Michauk.

Ihr Sohn ist derweil schon wieder auf dem Weg ins sandige Rund für die nächste Lektion. Auf dem Stundenplan steht jetzt Rückwärtsrichten, ein geübter Rückwärtsgang der Vierbeiner und hilfreich in den Prozessionen. Das linke Bein kommt wieder in den Steigbügel, mit dem rechten Bein geht es über den Pferderücken. Hände an die Zügel statt auf die Schulbank. Er herrscht kurz Klassenarbeits-Schweigen wie nach der Verteilung der Mathe-Aufgaben – und dann volle Konzentration in der Osterreiter-Schule in Miltitz.