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Karel Gott bekommt ein Staatsbegräbnis, und...

Die großartige tschechische Schauspielerin Vlasta Chramostová ist verstorben. Die Trauerarbeit in Prag ist beschämend.

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Vlasta Chramostová (1926 - 2019)
Vlasta Chramostová (1926 - 2019) © Imago images/CTK

Von Hans-Jörg Schmidt, Prag

Der Abschied der Tschechen von ihrer Schlagerikone Karel Gott am vergangenen Wochenende hatte Ausmaße einer regelrechten Hysterie, die befürchten ließ, dass sich die Uhren im Nachbarland ohne Gott nie mehr weiterdrehen werden.

Deutlich stiller verlief die Trauer um einen zweiten „nationalen Verlust“: Fast gleichzeitig mit Karel Gott war die Schauspielerin Vlasta Chramostová gestorben. Die verehrenswürdige alte Dame wurde 92. Die beiden Toten hatten nie miteinander zu tun, was nicht nur daran lag, dass sie als Künstler in grundverschiedenen Sparten überaus erfolgreich waren. Ein ernsthaftes Gespräch wäre spätestens beim Thema Politik gescheitert: Chramostová gehörte zu den Erstunterzeichnern der Bürgerrechtsdeklaration Charta 77. Karel Gott verdammte als Redner einer vom kommunistischen Regime anberaumten großen Künstlerversammlung die Charta 77 in Bausch und Bogen. Chramostová stellte sich an die Seite der Dissidenten um Václav Havel, Gott wollte mit seiner Ehrerbietung gegenüber dem Regime seine Privilegien erhalten. Dazwischen liegen Welten.

In Deutschland werden nur wenige Menschen etwas mit dem Namen Chramostová anfangen können. Auf ihn stößt man, wenn man etwas über die „Neue Welle“ der tschechoslowakischen Kinematographie liest. Über „unangepasste“ Filme, die in der Zeit des gesellschaftspolitischen Reformversuchs, des Prager Frühlings, gedreht wurden.

Die Chramostová spielte an der Seite des berühmten Rudolf Hrušínský die weibliche Hauptrolle in dem morbiden Horror-Streifen „Spalovač mrtvol“ (deutsch: „Der Leichenverbrenner“), den der slowakisch-jüdische Regisseur Juraj Herz 1968 inszenierte. Hrušínský verkörpert dort hinter der Maske eines Biedermanns den Leichenverbrenner Karel Kopfrkingl, der 1939 im Krematorium von Prag die Leichen in den Ofen schiebt und davon träumt, dass seine gewissenhafte Arbeit demnächst schon in den Krematorien der nationalsozialistischen Vernichtungslager gefragt sein wird. Er kehrt im Laufe des Films sein böses Innerstes immer mehr nach außen und schreckt letztlich nicht mal vor der Ermordung seiner jüdischen Frau (Chramostová) und seiner Kinder zurück.

Der Film war ursprünglich für einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film nominiert, wurde jedoch vorher, kurz nach seiner Premiere, von den Prager Machthabern verboten. Erst nach der Revolution kam der „Tresorfilm“ erneut in die Kinos.

Die Chramostová half im Schicksalsjahr 1968 ihrem Partner Stanislav Milota, die Okkupation ihres Landes zu filmen. Man drängte sie, sich von Milota loszusagen. Mit ihrem Festhalten an der Ehe machte sich Chramostová bei den neuen Herrschern um Gustáv Husák gänzlich unbeliebt. Sie wurde – auch von regimetreuen Kollegen, die später die Revolution schadlos überdauerten – gemobbt, bis sie von sich aus das renommierte Prager Theater auf den Weinbergen verließ. Zuletzt verkörperte sie Brechts „Mutter Courage“ zwar genial, aber an einem Provinztheater. Die folgenden 17 Jahre hatte sie Berufsverbot. Sie blieb dem Theater dennoch treu.

Sie stellte ihre Wohnung für bislang nie da gewesene Kammer-Aufführungen verbotener Autoren, wie etwa Pavel Kohout, zur Verfügung. Nach der Revolution kehrte sie auf die „richtige“ Bühne zurück, ans Prager Nationaltheater. 2010 verabschiedete sie sich, drehte aber noch den Film „Odchazeni“ (deutsch: „Der Abschied“) in der Regie von Václav Havel, der damals schon nicht mehr Präsident war.

In einem Buch über ihr Leben gestand sie, in ihrer Jugend eine kurze Zeit von der Prager Stasi zur Zusammenarbeit gezwungen worden zu sein. Sie hat sich dafür geschämt und um Entschuldigung gebeten.

Nach ihrem Ableben brach ein Streit darüber aus, ob die Chramostová „mit ihrem Rückgrat“ nicht vielmehr als „der rückgratlose“ Karel Gott ein Begräbnis mit staatlichen Ehren verdient hätte. Besonders der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Pavel Rychetský, selbst ein Unterzeichner der Charta 77, sprach sich dafür aus. Was wütende Proteste bis in höchste Kreise auslöste, etwa von Präsident Miloš Zeman. Auch in der Regierung, die sich nur wenige Stunden nach dem Tod des Lieblings der Massen, Karel Gott, ohne Absprache mit der Familie Gott für ein Staatsbegräbnis und einen Tag Staatstrauer entschieden hatte, war man verärgert. Zahlreiche Kommentatoren jedoch stellten sich hinter Rychetský.

Verwundern konnte das nicht. Tschechien ist im Rückblick auf die kommunistische Ära und auf 30 Jahre Samtrevolution tief gespalten. Zum Staatsfeiertag am 17. November wollen 300 000 Menschen gegen Premier Andrej Babiš und Präsident Zeman demonstrieren. Zeman seinerseits hat verkündet, dass er den 17. November ignorieren wird.

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