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Flut-Baby Karl geht seinen eigenen Weg

Der heute 20-jährige junge Mann erblickte auf abenteuerliche Weise in den Wirren der Flutkatastrophe im August 2002 bei Liebstadt das Licht der Welt.

Von Daniel Förster
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Steht nach der Ausbildung auf eigenen Beinen: Karl Bobe, geboren am 13. August 2002 in Berthelsdorf, hat seinen Platz im Leben gefunden.
Steht nach der Ausbildung auf eigenen Beinen: Karl Bobe, geboren am 13. August 2002 in Berthelsdorf, hat seinen Platz im Leben gefunden. © Daniel Förster

Er liebt es, Motorrad zu fahren, lebt seit Kurzem in den eigenen vier Wänden, hat eine feste Freundin und steht nach abgeschlossener Ausbildung am Anfang seines Berufslebens: Karl Bobe aus Berthelsdorf bei Liebstadt.

Als vor 20 Jahren zunächst kleine Nebenflüsse der Elbe wie die Seidewitz im Osterzgebirge in Minutenschnelle über die Ufer traten und zu reißenden, zerstörerischen Fluten wurden, die Region im Chaos und in den Wirren des Jahrhunderthochwassers versank, erblickte er unter außergewöhnlichen, turbulenten Umständen das Licht der Welt. „Ich wurde bei uns in der Wohnküche geboren“, erzählt er. Die ersten Stunden und Tage seines Lebens bleiben für immer mit der Katastrophe verbunden. „Es gibt einige, die mich als Hochwasserkind kennen“, sagt Karl.

Franziska Bobe und ihr Söhnchen Karl. Mitten in der Jahrhundertflut im August 2002 erblickt er in der heimischen Wohnküche das Licht der Welt.
Franziska Bobe und ihr Söhnchen Karl. Mitten in der Jahrhundertflut im August 2002 erblickt er in der heimischen Wohnküche das Licht der Welt. © Daniel Förster

Aus dem damaligen Baby ist ein 1,80 Meter großer, schlanker und sportlicher Mann geworden. „Was während meiner Geburt ringsherum so alles passiert ist, habe ich natürlich nicht bewusst erlebt und als kleiner Stift noch gar nicht realisiert. Ich kenne es nur von Erzählungen aus meiner Familie, aufgeschriebenen Erinnerungen von meiner Mutter oder von Schilderungen aus einem Bildband.“ Schon in seiner Schulzeit habe er des Öfteren das Buch angeschaut, weil es ihn interessierte. „Es ist krass, was Wasser so anrichten kann – so völlig aus dem Nichts von einem auf den anderen Tag.“

Es war der 12. August 2002, als die Flut alle überraschte. Es regnete in Strömen, unaufhörlich. Bäche wurden zu Sturzfluten. Die Wassermassen ergossen sich in die Täler. Im höher gelegenen Berthelsdorf gab es zwar kaum nennenswerte Zerstörungen, dennoch war der 90-Seelen-Ort mit einem Mal von der Außenwelt abgeschnitten. Es gab kein Wegkommen mehr. Die Straßen waren überspült und unpassierbar. Für den Notarzt war schon in Pirna-Zehista Schluss.

Wie vielerorts war der Strom ausgefallen, sodass weder Telefon noch Handy funktionierten. Just in dieser Zeit regte sich der kleine Karl im Bauch seiner damals 26-jährigen Mutter Franziska, um auf die Welt zu kommen.

Werdender Vater schlägt sich nach Hause durch

Heute hält sie sich mit Schilderungen der damaligen Erlebnisse zurück, lässt ihren Spross, der nun das Alter hat, berichten. „Am Abend setzten erste Wehen ein. Mein Vater Frank, der bei der Geburt dabei sein wollte, saß nach der Arbeit in Heidenau fest.“ Später habe sich Frank Ulbricht in Pirna-Copitz von seiner Mutter ein Fahrrad geliehen. „Es war praktisch. Falls es nicht weiterging, konnte er damit wenigstens irgendwie nach Berthelsdorf radeln.“

Im Dorf waren insbesondere Karls Tante Diana und Uroma Gretel in großer Sorge um die hochschwangere „Franzi“. Weder eine Hebamme noch ärztliche Hilfe war zu erreichen. Aber irgendjemand muss doch der jungen Frau bei der Geburt helfen können. „Die beiden haben mitten in der Nacht in der Nachbarschaft Leute rausgetrommelt, die ein Satelliten- oder Nottelefon hatten.“

Rettungshubschrauber dreht wieder ab

Irgendwie gelang es ihnen, in Liebstadt Hausarzt Dr. Frank Hertting zu kontaktieren. Der hatte noch nie eine Geburt durchgeführt, hatte sich jedoch wenigstens sein Stethoskop geschnappt und sich sogleich im Dunkeln zu Fuß durch kniehohes Wasser und Schlamm auf den Weg gemacht. Parallel wurde die Leitstelle informiert. Alles hoffte auf einen Rettungshubschrauber, der auch in Aussicht gestellt worden war.

„Damit der Pilot eines Helikopters sieht, wo er landen muss, hat das halbe Dorf irgendwelche Planen und Decken zusammengesucht und auf dem Feld ausgebreitet.“ Die Maschine kam zwar in hörbare Nähe, drehte jedoch im Anflug wieder ab. Die Besatzung sollte kurzfristig Bewohner von den Dächern ihrer überfluteten Häuser in Schlottwitz evakuieren.

Hausarzt, Oma und Nachbarin als Geburtshelfer

Familie Bobe und Dr. Hertting waren auf sich selbst gestellt. In dieser Situation wurden Nachbarin Steffi Maidel und Karls Uroma zu wahren Geburtshelfern, wussten, was zu tun ist, und hätten nach Plan gehandelt. Inzwischen war es dem werdenden Vater gelungen, sich nach Hause durchzuschlagen. Die Wohnküche wurde zum Lager für seine Lebenspartnerin.

Kerzenlicht erhellte das Zimmer. Der Kaminofen wurde geheizt, Wasser warm gemacht. Plötzlich Panik: Der Hausarzt konnte die Herztöne des Babys nicht mehr vernehmen. „Ich hatte eine unbeschreibliche Angst, dass das Baby vielleicht nicht mehr lebt“, sagte Franzi damals.

Doch um 12.40 Uhr tat Karl seinen ersten Schrei. Alle waren erleichtert und glücklich, dass es keine Komplikationen gegeben hatte und der Junge gesund zur Welt kam, Freudentränen kullerten. Etwas später war dann doch ein Helikopter des Bundesgrenzschutzes (heute Bundespolizei) hinter dem Gehöft gelandet. Er brachte die frisch gebackene Mutter und ihr Söhnchen in die Dresdner Uniklinik.

Zwei große Lieben: Freundin und Motorrad

Inzwischen ist die Zeit wie im Flug vergangen. „Erst war ich in einem Kindergarten in Pirna-Copitz, das letzte Jahr vor der Einschulung dann in Liebstadt. Dort besuchte ich auch die Grundschule und habe dann in Bad Gottleuba die Realschule abgeschlossen.“ Sport war Karls Leidenschaft. „Ich habe einige Jahre lang Karate trainiert, war beim Pirnaer Ruderverein 1872 und zuletzt beim Kickboxen.“

Nach seiner Ausbildung steht er nun seit fast einem halben Jahr im Arbeitsleben. Wenn es seine Zeit erlaubt, geht er ins Fitnessstudio. Neben seiner ersten festen Freundin ist das Motorradfahren seine große Liebe. „Ein motorisiertes Zweirad war bei mir schon immer präsent“, muss Karl schmunzeln. Als Sechsjähriger schenkten ihm seine Eltern zu Weihnachten zunächst ein Pocket-Bike, und er war begeistert. „Damit bin ich auf unserem Hof und auf nahen Feldwegen rumgekurvt. Mit 14 hatte ich gleich ein Moped und den Führerschein gemacht.“ Jetzt ist er mit einer gebrauchten KTM SMC-R unterwegs. Allerdings ist die noch auf 40 PS gedrosselt. Demnächst will er den Schein für die offene Klasse machen.


Mit dem Job nach der Ausbildung stand „Flutbaby“ Karl ganz schnell auf eigenen Beinen. „Im Frühjahr bin ich ausgezogen. Nicht weil ich musste, sondern weil ich es so wollte, auch, um rasch selbstständig zu werden …“ Dabei ist er dem ländlichen Raum treu geblieben. „Mal zu Kumpels oder zu einer Party in die Stadt fahren, ist okay. Aber sonst bin ich nicht so der Stadtmensch. Ich mag eher eine dörfliche Umgebung…

Mit dem Job nach der Ausbildung stand „Flutbaby“ Karl ganz schnell auf eigenen Beinen. „Im Frühjahr bin ich ausgezogen. Nicht weil ich musste, sondern weil ich es so wollte, auch, um rasch selbstständig zu werden …“ Dabei ist er dem ländlichen Raum treu geblieben. „Mal zu Kumpels oder zu einer Party in die Stadt fahren, ist okay. Aber sonst bin ich nicht so der Stadtmensch. Ich mag eher eine dörfliche Umgebung…"