Es ist nur eine Tonscherbe. Aber was für eine! Ein Stück aus einem großen Vorratsgefäß, verziert mit einem winzigen Henkel ohne praktische Funktion und mit Fingereindrücken versehen. Als diese Scherbe im April 2016 zusammen mit anderen tönernen Bruchstücken bei Bauarbeiten auf der Festung Königstein gefunden wurde, wussten die Archäologen, die solche Arbeiten an geschichtsträchtigen Orten begleiten, sofort Bescheid: Der Bagger hatte einen Leitungsgraben ausgeschachtet und dabei eine Siedlungsgrube aus der späten Bronzezeit freigelegt. „Es war für uns der erste handfeste Beweis, dass der Königstein schon vor 3.000 Jahren besiedelt war“, sagt Markus Bitterlich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Festung. „Zu sehen war eine völlig unberührte Schicht, ein Scherbenhorizont. Das war einst eine Abfallgrube.“
Etwa 60 Scherben wurden geborgen und sind nun Grund genug, dass die Museumsleute der Festung gemeinsam mit dem sächsischen Landesamt für Archäologie die Sonderausstellung „Viel früher als gedacht“ einrichteten, in der die Bronzezeit auf dem Königstein betrachtet wird. Über diese Epoche, die sich in Mitteleuropa von 2.200 bis 800 v. Chr. erstreckt und in der die Metallgegenstände aus Bronze hergestellt wurden, gibt es keine schriftlichen Zeugnisse. Nur archäologische Funde können Auskunft geben über das Leben der Menschen, über den Handel, über Siedlungen, Ackerbau, Viehzucht, Handwerk. Damals ließen sich die Menschen überwiegend an Flüssen nieder. Dass sie auch auf dem Felsplateau 240 Meter über der Elbe eine Siedlung errichteten, ist durchaus überraschend.
Bronze - haltbar, hart und wieder verwendbar
Auch ein Erdwall am Fuß des benachbarten Pfaffensteins und Funde am Lilienstein lieferten Hinweise auf die Bronzezeit. Allerdings hat auf den Bergen niemand gewohnt, aber es könnte dort oben eine Kultstätte gegeben haben. Auf dem Plateau des Königsteins jedoch hielten sich Menschen über einen längeren Zeitraum auf. Sonst hätte man dort keine Abfallgrube gefunden. Warum sollten Menschen ihren Müll auf einen Berg tragen, noch dazu auf einen so unzugänglichen?! Was sie da hinauftrieb, wie lange sie blieben und wie groß ihr Dorf war, ist ungewiss.
Doch zu Spekulationen lassen sich die Ausstellungsmacher nicht hinreißen. Sie stützen sich auf den Forschungsstand und zeichnen anhand diverser Leihgaben aus Museen in Kamenz, Riesa, Dečin und dem Landesamt für Archäologie Sachsen ein Bild des Lebens vor 3.000 Jahren in der Region und erzählen von der sogenannten Lausitzer Kultur. Die existierte in der späten Bronze- und der frühen Eisenzeit , also von 1.350 bis 500 v. Chr. zwischen dem heutigen Sachsen-Anhalt und der Slowakei.
Charakteristisch für diese Kultur sind Buckelgefäße aus Keramik. Auch die markante Königsteiner Scherbe gehörte zu einem großen Vorratsgefäß, wie ein vergleichbares prominent am Beginn der Schau präsentiert wird. Es wurde aus Einzelteilen gepuzzlet, die man beim Bau der Autobahn A17 fand. Doch die Bronzezeit bekam ihren Namen natürlich nicht wegen der Tongefäße, sondern weil – im Gegensatz zur Steinzeit davor und zur Eisenzeit danach – Bronze der Werkstoff der Epoche war: haltbar und hart, und wenn man die Bronze einschmolz, auch wieder verwendbar. Man stellte Äxte und Sicheln her, Lanzen- und Pfeilspitzen, Armreifen und Ringe, Gewandnadeln und Rasiermesser.
Körperpflege vor 3.000 Jahren
Rasiermesser?! Markus Bitterlich sagt: „Die Menschen der Bronzezeit waren sesshafte Bauern und Viehzüchter, keine verwilderten Nomaden. Sie haben sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gepflegt.“ Deshalb tragen die Figürchen in dem Modell eines bronzezeitlichen Siedlungsplatzes tatsächlich sogar so etwas wie Frisuren. Bronzene Schmuckstücke wie Ringe oder Spiralen für Hals, Arm und Bein und aufwendig gestaltete Gewandnadeln zeugen davon, dass die, die es sich leisten konnten, auch etwas aus ihrer Erscheinung machten. Ob Mann oder Frau diese Schmuckstücke trug, bleibt ihr Geheimnis.
Überhaupt ist die Ausstellung sehr anschaulich. In Videos führen Handwerker von heute vor, wie damals Bronzewerkzeuge gegossen wurden. Wozu und wie man tönerne oder steinerne Webgewichte benutzte, sieht man an einem Webstuhl. Und auch für den Bau der Häuserwände aus Lehm gibt es ein Modell.
Es bleibt jedoch die Frage: Wie kamen die Menschen auf den Königstein? Wie brachten sie ihr Vieh auf das unzugängliche Felsplateau? Welche Wege nutzten sie, welche Aufstiege legten sie sich an? Und warum ließen sie sich da oben nieder, wo es doch mehr Sinn macht, fruchtbares Land unten am Elbufer zu beackern? Die Sächsische Schweiz war vor 3.000 Jahren eine unwirtliche Durchgangsregion.
Die Funde, die in ganz Sachsen gemacht wurden, haben den Archäologen schon viel verraten über das Leben der Menschen in der Bronzezeit. Aber manches Detail wird wohl immer ein Geheimnis bleiben.
Die Ausstellung „Viel früher als gedacht!“ in der Magdalenenburg auf der Festung Königstein ist täglich geöffnet von 9 bis 18 Uhr. Eintritt: 12/9 Euro. Zur Ausstellung erschien ein Begleitheft. (3 Euro).