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Der unaufhaltsame Aufstieg eines Feiglings

Alfred Jarrys „König Ubu“, einst ein Skandalstück, wird an den Landesbühnen Sachsen grotesk umgesetzt und neu gelesen.

Von Rainer Kasselt
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Karoline Günst (l.) und Maria Sommer spielen das Diktatorenpaar Ubu mit Witz und viel körperlichem Einsatz.
Karoline Günst (l.) und Maria Sommer spielen das Diktatorenpaar Ubu mit Witz und viel körperlichem Einsatz. © Landesbühnen/Jungnickel

Erst will er nicht, schlottert vor Angst, dann will er doch. Den König stürzen und sich die Krone aufsetzen. Der französische Dramatiker Alfred Jarry schildert in „König Ubu“ den unaufhaltsamen Aufstieg des Kleinbürgers zum Monarchen. Ubu träumt von Macht und Reichtum. Er errichtet ein Terrorregime, tötet die Adligen, entlässt die Richter und verdoppelt die Steuern. Scheitert am Widerstand der Bauern. Seine Armee wird im Krieg geschlagen, er muss fliehen. Auf einem Floß rettet er sich an neue Ufer.

Die Ubus sterben nicht aus. So die Botschaft der zweistündigen Aufführung, die am Freitag im halb gefüllten Haus der Landesbühnen Sachsen Premiere hatte. Es werden keine Namen genannt, doch weltweit herrscht bekanntlich kein Mangel an Diktatoren. Jarrys Stück wurde 1896 bei der Pariser Uraufführung zum Skandal. Der Autor, gerade 23 Jahre alt, machte Schluss mit den Konventionen des bürgerlichen Theaters, wurde ein Wegbereiter der Moderne. Er schockte das Publikum, entlarvte die Scheinmoral der Gesellschaft. Am meisten erregte man sich über das verhohnepipelte Wort „Merdre“, deutsch „Schreiße“. Was damals für Empörung sorgte, löst heute höchstens ein Schulterzucken aus.

Die verdoppelten Diktatoren mit angeklebten Bärten

Chefdramaturgin Ruth Heynen hat das Stück neu übersetzt und bearbeitet. Bei Jarry gibt es „Vater Ubu“ und „Mutter Ubu“, sie ist das böse Weib, das den etwas trotteligen, aber brutalen Mann zum Königsmord anstachelt. Eine Rollenvorstellung, so die Bearbeiterin, „die wir aber heute nicht mehr für vertretenswert halten“. Deshalb agieren im Stück zwei Menschen, die beide machtbesessen, egoistisch und eifersüchtig sind. Der eine ist nicht besser als der andere, sie tricksen sich aus, am meisten aber haben ihre Untergebenen zu leiden. Die verdoppelten Diktatoren werden von zwei guten Darstellerinnen mit angeklebten Bärten gespielt: Karoline Günst ist die clevere Kurzzeit-Königin. Maria Sommer agiert ängstlicher, umso mehr berauscht sie sich an eingebildeter Tapferkeit.

Regisseur Jan Meyer inszeniert den zweistündigen Abend konsequent als Groteske. Ubu sitzt verkehrt auf dem Pferd und reitet mit Regenschirm in die Schlacht. Alle Figuren werden karikiert, sind Typen, keine Feingeister, sondern grobe Personen. Sie sprechen absurde Dialoge und verdrehen die Wörter. Tragen bunte Sportklamotten: Trainingsanzüge, Turnhosen, Shirts, Leggins, rennen im Kreis um die Wette. Temporeiches, witziges Turn- und Sporttheater mit Nebelschwaden, Videos und Live-Kamera, als wär`s ein Gruß von Frank Castorf.

Hamlets Geist eine Rache-Mumie

Die Szenen werden mit Songs der Schweizer Band „Zeal & Ardor“ kommentiert, einer Mischung aus Black Metal und Gospel: laut dröhnend, brachial, bedrohlich. Klingt hammerhart wie Rammstein. Ausstatter Ralph Zeger stellt auf die Drehbühne einen zweistöckigen Holzbau, der als Festplatz, Tribüne, Königspalast, Ratssaal, Guillotine oder Erdhöhle dient. Alfred Jarry parodiert urkomisch die blutrünstigen Dramen Shakespeares: Ubu ein Westentaschen-Macbeth, der gestürzte König ein Mini-Lear, Hamlets Geist eine Rache-Mumie. Das elfköpfige Ensemble ist mit Feuereifer dabei. Die Schauspieler werden mehr physisch als psychisch gefordert. Einige verkörpern mehrere Rollen. Gleich siebenfach ist der dauerpräsente, stimmkräftige Alexander Wulke gefordert. Ein Höhepunkt ist die Falltür-Szene. Grian Duesberg spielt in rasendem Tempo alle Blaublütler, die im Minutentakt mit einer Fliegenklatsche erschlagen werden. Julia Rani trägt eine tote Soldatenpuppe vor sich her, marschiert im Stechschritt vor den Augen des Hofes, eine Armee markierend.

Verdienstvoll, dass sich die Landesbühnen Sachsen an das selten gezeigte Stück wagen und ihr ästhetisches Repertoire vergrößern. „König Ubu“ war zuletzt 1990 am Dresdner Staatsschauspiel zu sehen. Keine Frage, Alfred Jarry bleibt eine Herausforderung. Das Radebeuler Theater hat sie beachtlich gemeistert. Vielleicht trauen sich bei den nächsten Aufführungen ein paar Besucher mehr ins Haus.

Wieder am 28. 3. sowie 7., 12., 14., 21. und 27. 4.; Kartentel. 0351 8954321