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Dresden und andere Orte des Todes

„Luftkrieg“: Der ukrainische Filmer Sergej Losnitza erzählt eine Naturgeschichte der Zerstörung, in der es fast nur deutsche Opfer gibt. Das irritiert.

Von Oliver Reinhard
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Auch Dresden und der 13. Februar 1945 kommen im Dokumentarfilm "Luftkrieg" vor.
Auch Dresden und der 13. Februar 1945 kommen im Dokumentarfilm "Luftkrieg" vor. © SZ Photo/SZ Photo

Wüssten wir nicht, was sie bedeuten, wären diese Bilder nur schön statt auch schrecklich: Überall im tiefen Schwarz funkeln Feuer, grelle Kugeln platzen auf und glühen aus, Lichtkaskaden steigen empor, alles wirkt wie ein flammender Teppich aus Lava und Schlacke. Doch man hört die Explosionen, mal dumpf und tief, mal hell und bellend, eingebettet in eine Ebene aus sphärischen Klängen, klassischer Musik, Ambient-Sound.

Immer wieder sieht man, was dort unten wirklich ist: brennende Städte im Bombenregen. Und weiß: Dort sterben gerade Menschen. In jedem Feuerball. Hunderte. Tausende. Ist das silberne Band die Elbe bei Dresden? Oder bei Hamburg? Der Rhein bei Düsseldorf? Nur manchmal ist der Ort klar erkennbar, etwa, wenn die Explosionen den Kölner Dom umtanzen. Das Schicksal der Städte war letztlich ohnehin fast immer gleich, überall, im „Luftkrieg“, wie der neue Film von Sergej Losnitza heißt.

Die Schatten britischer Bomber über Deutschland – für „Luftkrieg“ hat Regisseur Sergej Losnitza eine Vielzahl faszinierender historischer Filmaufnahmen gesucht, gefunden und zu einem ganz eigenen Filmkunstwerk choreografiert.
Die Schatten britischer Bomber über Deutschland – für „Luftkrieg“ hat Regisseur Sergej Losnitza eine Vielzahl faszinierender historischer Filmaufnahmen gesucht, gefunden und zu einem ganz eigenen Filmkunstwerk choreografiert. © Foto: Progress Film

Eine "Naturgeschichte der Zerstörung"

„Eine Naturgeschichte der Zerstörung“ will der ukrainische Regisseur mit seiner Mischung aus Dokumentation und Experiment erzählen. Seine Mittel sind eine beeindruckende Unmenge an historischen und vielfach restaurierten Originalaufnahmen, eine intensive Nachvertonung, eigens komponierte Musik, wenige Worte. Und natürlich: Schnitt und Komposition. Technisch ist das so perfekt, dass man „Luftkrieg“ auch „Sinfonie des Grauens“ untertiteln könnte, hätte das nicht schon F. W. Murnau bei seinem Stummfilmdrama „Nosferatu“von 1922 getan.

Zum zweiten Mal nach „Austerlitz“ nahm sich Losnitza ein Buch des Schriftstellers W. G. Sebald zur Vorlage seiner Interpretationen. „Luftkrieg und Literatur“ heißt dessen berühmtes Werk von 1999, in dem Sebald das seltsame Schweigen und Verdrängen des Themas in der deutschen Nachkriegsliteratur bilanzierte und kritisierte.

Bis zu 600.000 Menschen fielen dem Luftkrieg zum Opfer

Immerhin fielen dem Luftkrieg der Alliierten hierzulande zwischen 1942 und 1945 bis zu 600.000 Menschen zum Opfer, allein bis zu 25.000 davon in Dresden, schätzungsweise 34.000 in Hamburg, bis zu 50.000 in Berlin. Ohne wirklichen geschweige denn angemessenen Niederschlag samt Reflexion und Verarbeitung in Büchern, woran sich erst seit 2005 etwas geändert hat.

Dem deutschen Film, sieht man ab vom ZDF-Zweiteiler „Dresden“ aus dem Jahr 2006, kann man diese Lücke erst recht attestieren, bis heute. Auch „Luftkrieg“ ist kein Füller dieser Leere. Künstlerisch und materiell tut er das schon, nicht aber reflektierend, denn Losnitza bearbeitet das Thema nur, ohne es zu verarbeiten.

Mit nassen Tüchern versuchten sich die Menschen vor dem Staub und Rauch zu schützen.
Mit nassen Tüchern versuchten sich die Menschen vor dem Staub und Rauch zu schützen. © Foto: Progress Film

„Moral Bombing“ war schon damals ein Kriegsverbrechen

Das war auch nicht sein Anliegen. „Meine Filme sind Einladungen, über Themen und Fragen nachzudenken, zu denen auch ich keine klare Antwort besitze“, sagte der Wahlberliner unlängst der dort ansässigen Tageszeitung taz. „Wenn ich mich in einem Film einer Fragestellung widme, ist es, weil sie für mich selbst eine ungelöste ist.“

Das muss man ihm glauben, obwohl „Luftkrieg“ etwas anderes nahelegt: die klare These, dass das gezielte Bombardieren von Zivilisten, wie die Briten es mit der Strategie des „moral bombing“ über Deutschland exekutierten, schon damals ein Kriegsverbrechen war, obwohl das internationale Recht erst nach Kriegsende dahingehend entsprechend konkretisiert wurde – auch unter dem Eindruck des Schicksals von Dresden.

Schaurig ästhetische Aufnahmen: Ein Bomber wird abgeschossen und explodiert in der Luft.
Schaurig ästhetische Aufnahmen: Ein Bomber wird abgeschossen und explodiert in der Luft. © Foto: Progress Film

Die Deutschen kommen fast ausschließlich als Opfer vor

Das Heikle an „Luftkrieg“: Die Deutschen kommen darin fast ausschließlich als Opfer des Krieges vor und fast nicht auch als Täter. Losnitza beginnt mit idyllischen Land- und Stadtbildern einer scheinbar ungetrübten Vorkriegszeit. Nur allmählich und sporadisch sieht man Hakenkreuzfahnen und Uniformierte. Nicht als Besonderheit oder Einbruch inszeniert, vielmehr als Alltag und Normalität.

Bis wie aus buchstäblich heiterem Filmhimmel die Bomben fallen und man bald auch die ersten Toten sieht, irgendwann deren massenhafte Aufbahrung, schließlich sogar ein Baby; das härteste von vielen harten Bildern, fast ein Tabubruch.

Ob Hamburg, Köln, Berlin oder Dresden: Die Bilder der flammenden Infernos sind austauschbar.
Ob Hamburg, Köln, Berlin oder Dresden: Die Bilder der flammenden Infernos sind austauschbar. © Foto: Progress Film

Zivilisten als Hauptziel von Luftmarschall „Bomber“ Harris

Doch Sergej Losnitza illustriert auch die andere Seite. Englische Städte in Trümmern nach der Heimsuchung durch die Luftwaffe, die ausgebrannte Kathedrale von Coventry, und vor allem: Britinnen und Briten in der Rüstungsproduktion. Bomber um Bomber wird ausgerüstet, rollt an den Start, hebt ab Richtung Deutschland.

Auf der Insel halten Churchill und Armeechef Montgomery Mutmach-Reden, erklärt Air Marshall Arthur „Bomber“ Harris seine Strategie der Terror-Angriffe gegen Zivilisten. In Deutschland klagt Propagandaminister Goebbels diese Art Kriegsführung an, fährt Luftmarschall Göring durch die Trümmer, dirigiert Wilhelm Furtwängler sein berühmtes Kraft-durch-Freude-Propagandakonzert im AEG-Werk.

„Meine Filme sind Einladungen, über Themen und Fragen nachzudenken, zu denen auch ich keine klare Antwort besitze“, sagte der ukrainische Wahlberliner Sergej Losnitza..
„Meine Filme sind Einladungen, über Themen und Fragen nachzudenken, zu denen auch ich keine klare Antwort besitze“, sagte der ukrainische Wahlberliner Sergej Losnitza.. © Foto: Progress Film

Losnitzas Heimat leidet unter Putins Terror-Luftkrieg

2021 hat Sergej Losnitza „Baby Yar. Context“ gedreht über ein Massaker der Deutschen an ukrainischen Juden. Fünf Jahre zuvor war „Austerlitz“ ins Kino gekommen, der ebenfalls vom Holocaust erzählt. Vielleicht glaubte der Ukrainer, damit genug über deutsche Täterschaft erzählt zu haben, und damit über die Mit-Verantwortung der Deutschen auch für das, was ab 1942 über sie kam.

Doch mit dem nahezu gänzlichen Ausblenden dieses Kontextes in „Luftkrieg“ stößt sein Konzept des künstlerischen Erzählens und ergebnisoffenen Fragestellens an eine Grenze. Dass Losnitzas Heimat gerade selbst durch Russland mit Terror-Luftkrieg gegen Zivilisten überzogen wird, könnte seine Perspektive erklären, änderte aber nichts an der zu großen Leerstelle in seinem Film. Was bleibt, ist das bemerkenswerte ästhetische Erlebnis.

"Luftkrieg" läuft im Dresdner Kino Schauburg.