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Endlich wieder ABBA live – sogar in Sachsen

Wer nicht die Digital-Klone von ABBA in London besucht, kann immerhin die Musik in Riesa auf der Bühne hören.

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Mega-Kult seit fast 50 Jahren: Benny Andersson, Anni-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus (v.l.). Als ABBA verkauften sie über 400 Millionen Platten und prägten das Popgeschäft. Unlängst erschien nach Jahrzehnten ein neues Album.
Mega-Kult seit fast 50 Jahren: Benny Andersson, Anni-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus (v.l.). Als ABBA verkauften sie über 400 Millionen Platten und prägten das Popgeschäft. Unlängst erschien nach Jahrzehnten ein neues Album. © Arte

Von Karsten Kriesel

Sie gelten als Mitbegründer des internationalen Pop und sind eine der erfolgreichsten Bands aller Zeiten: 50 Jahre ABBA feiert die Musikwelt 2022. Nach 40 Jahren gibt es erstmals ein neues Album und ABBA (fast) live. Für die seit Jahrzehnten florierende Tribut-Industrie ist das wohl größte Comeback der jüngeren Musikgeschichte ein Segen – und auch ein bisschen Bürde. Am Ende definieren sie sogar die Zeit neu: 50 Jahre ABBA feiert die Welt dieses Jahr, obwohl sie de facto nur zehn Jahre als Band existierten. Die knapp 40 Jahre dazwischen, nur eine "Pause".

Doch selbst in dieser Zeit gelang es den vier Schweden, beständig Popgeschichte zu schreiben, der Weg von ABBA ist gepflastert mit Superlativen: Um die 400 Millionen verkaufte Tonträger machen sie zu einer der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte. Die auf ihren Songs basierenden "Mamma Mia!"-Musicals sind unter den erfolgreichsten Bühnenshows der Welt, ihre Verfilmungen brachen Kinorekorde.

Stockholm ohne ABBA? Geht nicht!

Hinreichend glamouröse Größe scheint auch für die stetig florierende Tribut-Industrie unerlässlich. Normalerweise ist ein rundes Bandjubiläum hier der Jackpot, die Menschen wollen ABBA hören und sehen. Entsprechend sprüht auch Hauke Wendt vor Enthusiasmus. Er ist Leiter und Dirigent von "ABBAmania – The Show", der seit über zehn Jahren weltweit größten Tribute Show, die nach unfreiwilliger Corona-Pause 2022 endlich wieder touren und am 13. März auch nach Riesa kommen soll.

Wendt sieht es durchaus als Herausforderung, nicht nur zum Jubiläum dem Phänomen ABBA gerecht zu werden und dabei "nicht nur ein bunter Abklatsch zu sein". Der Anspruch der internationalen Produktion: Einem ABBA-Konzert so nah wie nur irgend möglich kommen. Mit dabei sind mit Katja Nord und Camilla Dahlin nicht nur Schwedens bekannteste ABBA Doubles seit den 1990ern, sondern mit Saxofonist Ulf Andersson und Gitarrist Janne Schaffer auch ehemalige ABBA Bandmitglieder. "Da sind zwei, die lange live und im Studio mit dabei waren und durchaus Einfluss hatten", schwärmt Wendt.

Weltkulturgut aus Schweden

Mit dem neuen ABBA Album kann auch ABBAmania auf der kommenden Tour neues Material präsentieren, und doch schwingt hier auch eine Bürde mit: Wie geht man als Tribut-Show mit einer Reunion um? Soll ich mir als Fan wirklich eine Nachahmung anschauen, wenn es die Band leibhaftig wieder gibt? Was macht es mit dem kulturellen Gedächtnis, wenn Künstler diesem, entgegen vieler Erwartungen, plötzlich ein weiteres Kapitel hinzufügen? Im Fall von ABBAmania ist Wendt optimistisch, allein schon, weil man deutlich unter den stolzen Preisen der ABBAtar-Show bleibt und mit "echten Menschen" auf Tour vielen näher kommt als London.

Und er sieht sich nicht allein in der Bringschuld: "Auch ABBA in echt müssen etwas liefern, über den Nostalgie-Faktor hinaus." Der indes hat es in sich. ABBA verhalfen der CD und dem Konzept Musikvideo zum Durchbruch, überhaupt gilt das Quartett aus den ehemaligen Paaren Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus sowie Anni-Frid Lyngstad und Benny Andersson als einer der Prototypen der internationalen Popmusik. Da ihnen dieser Erfolg außerhalb der damals vorherrschenden amerikanischen und britischen Dominanz des Musikbusiness gelang, sind sie anerkanntes schwedisches Kulturgut. Ein Besuch in Stockholm, ohne in ABBA-Spuren zu treten, ist kaum möglich.

Für die Kürze der Kostüme galt "No Limits"

Es gibt ABBA-Reiseführer für die Stadt, nach Besuch des ABBA-Museums kann man stilecht im ABBA-Hotel übernachten oder gehoben in Bennis "Rival". Man kann sich im Kronenberg Atelier in dieselbe Kulisse stellen, in der das Cover des legendären "Visitors"-Albums genauso kladestin und ungeheizt entstanden ist, wie sich der Raum heute noch präsentiert, oder sich im Königlichen Nationalstadtpark küssen wie 1975 Benny und Frida für das weltbekannte Foto ihres dritten Albums. Auch ehemalige Wegbegleiter leben noch hier und können Pionier- und Meisterleistungen bezeugen.

So wissen etwa Kostümdesigner Owe Sandström und Moderator und ehemaliger ABBA-Soundmixer Claes af Geijerstam anekdotenreich davon zu berichten, wie viel von dem, was ABBA in ihrer erfolgreichsten Zeit von 1974 bis 1981 tat, in der Popindustrie zum ersten Mal geschah und später Standard wurde, künstlerisch, optisch, technisch und bühnenorganisatorisch. Wie für den fantasievollen Glamour und die Knappheit der Kostüme "No Limits" galten. Wie man auf den ersten Welttourneen improvisieren musste, weil es dafür noch keine einheitlichen Prozedere gab. Wie die ABBAmania trotzdem um dem Globus schwappte, auch, wenn Jubel bei Konzerten in Japan anfänglich verboten war. Einmal den Popolymp erreicht, war ABBA stets eine verlässliche Gelddruckmaschine.

Sogar die Trennungen verliefen ohne Schlammschlacht

Selbst wenn gerade die beiden Herren der Band darin stets gut waren, schafft man erfolgreiche Kunst nicht nur als Geschäftsmann. Hinter allen Superlativen steckt neben taktischem Geschick in erster Linie Leidenschaft für Musik. Den erstaunlich vielseitigen ABBA-Sound kann man technisch und künstlerisch betrachten, beides geht über die Gassenhauer hinaus, die heute noch über die Tanzflächen nudeln. Vor allem ist das Phänomen ABBA eins der Breite, bunt, aufregend, visionär und zugleich domestiziert, skandalfrei, familientauglich.

Mit ABBA kann man in die Pop- und Diskowelt eintauchen, ohne, dass der metaphorische Teufel mit Sex, Drogen und Abstürzen winkt. Selbst die kurz aufeinanderfolgende Trennung Anfang der 1980er, erst der Paare, dann für lange Zeit der Band, verlief ohne Schlammschlacht. Nun wollen sie es nach langem Zehren vom eigenen Erbe wieder wissen. Oder noch wissen? Ihr Ende 2021 erschienenes Album "Voyage" zeigt zehn neue Songs lang: Sie können es noch, stecken aber klar im Soundkleid der großen Vergangenheit. Altersmilde kann man die Abwesenheit von Popbombast nennen oder aber die fehlende Produktionsvielfalt beklagen, für die ABBA einst stand.

Auf der Londoner Bühne spielen ABBAtare in 3-D

Umso größer der Schlag, zu dem sie live ausholen, und das gerade, weil man dafür auf ABBA persönlich verzichten muss. Auf der Bühne der eigens dafür in London errichteten Halle stehen ab Mai digitale Abbilder aus ihren erfolgreichsten Zeiten. Dreidimensionale Ava-, besser ABBAtare, die aus den echten, mit modernster Präzisionstechnik abgefilmten Bewegungen der vier Mittsiebziger in Motion Capture Anzüge entstanden sind. Sie geben der Musikwelt damit etwas Neues und bleiben doch so erhalten, wie Millionen sie kennen und lieben, für immer 1979. Da das zu Lebzeiten in dieser Form noch niemand getan hat, ist ihnen erneut ein Eintrag in die Musikgeschichtsbücher sicher. Ob das nun genial oder größenwahnsinnig ist, ist dabei fast egal, ABBA hätte auch ohne Comeback niemandem mehr das Wasser reichen müssen.

  • ABBAmania – The Show: am 13. März in Riesa, Sachsen-Arena. Tickets ab 50,40 Euro an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
  • A4U – Die Abba-Revival-Show: 28. April im Boulevardtheater Dresden. Karten gibt es über das Theater oder beim SZ-Ticketservice.