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Er war Stalins Mann für die DDR

Und nicht nur das: Mauerbauer Walter Ulbricht war zu seiner Zeit der erfolgreichste Kommunist Deutschlands, wie eine neue Biografie belegt.

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Als .1967 die VI. Deutsche Kunstausstellung der DDR in Dresden eröffnete, war Walter Ulbricht mit Gattin (Bildmitte) selbstverständlich anwesend, dahinter Erich Honecker, Willi Stoph und Kurt Hager.
Als .1967 die VI. Deutsche Kunstausstellung der DDR in Dresden eröffnete, war Walter Ulbricht mit Gattin (Bildmitte) selbstverständlich anwesend, dahinter Erich Honecker, Willi Stoph und Kurt Hager. © ZB/Hans-Joachim Spremberg

Den Leserinnen und Lesern dieser Zeitung ist Ilko-Sascha Kowalczuk sowohl als Historiker der DDR-Geschichte als auch als streitbarer Publizist bekannt. Immer wieder meldet er sich mit Beiträgen zur Zeitgeschichte zu Wort, in denen er auch häufig die fehlende Vermittlung von DDR- und Kommunismus-Geschichte an den Universitäten beklagt. Eine solche Vermittlung sei leider nicht der „Normalfall“, sondern eher „zufällig“, monierte Kowalzcuk erst kürzlich. Angehende Lehrerinnen und Lehrer würden ihren künftigen Schülerinnen und Schülern somit diesen Teil der Geschichte gar nicht vermitteln können.

Träfe dieser Befund zu, wäre das wirklich ein Skandal. Doch das hat mit der Realität gerade an der Dresdner Universität nichts zu tun. Seit mehr als 20 Jahren ist hier die Vermittlung von Wissen über die DDR und den deutschen Kommunismus viel eher der „Normalfall“. Manche Lehrveranstaltung bezieht sich auf Walter Ulbricht gar im Titel, womit wir bei Kowalczuks neuer Biografie angelangt sind.

Eine Biografie vom Verlagsleiter der Sächsischen Zeitung

Um es vorwegzusagen: Sie ist eine Zumutung, aber eine, die sich lohnt zu lesen. Wobei das Wort Zumutung vor allem etwas mit dem Umfang des Buches zu tun hat: Bereits der erste Band der auf zwei Teile angelegten Biografie umfasst etwas mehr als 1.000 Seiten und veranschlagt dabei nur die Jahre bis 1945. Der zweite Teil dürfte wohl kaum schmaler ausfallen, wird doch dort nicht mehr nur „Der deutsche Kommunist“ geschildert, sondern „Der kommunistische Diktator“.

Kowalczuks Studie ist nicht die erste über Ulbricht. Bereits zu DDR-Zeiten haben sich etwa Johannes R. Becher oder Heinz Voßke in legitimatorischer Absicht ihrem Protagonisten genähert, während im Westen mit Carola Stern eine kommunistische Renegatin eine Biografie in gegenteiliger Absicht vorlegte. Im Jahre 2001 veröffentlichte dann Mario Frank, ein Jurist, Publizist und Leiter des Verlagshauses der Sächsischen Zeitung eine erste größere Biografie, die mit über 500 Seiten auch aus den bislang verschlossenen Archiven im Osten schöpfen konnte.

Dämonisierungen gegen den Strich gebürstet

Ilko-Sascha Kowalczuks Arbeit stellt alle bisherigen biografischen Veröffentlichungen weit in den Schatten. Es sind dabei zwei Argumente, die er für seine voluminöse Studie geltend macht. Zum einen nennt er Ulbricht den „erfolgreichsten Kommunisten in der deutschen Geschichte“, der den „kommunistischen deutschen Staat“ begründete und überlebte. Das ist in der Tat richtig, wenn man bedenkt, dass Ulbricht bereits als „starker Mann“ der KPD nach 1945 die SED entscheidend prägte und später einflussreicher SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR wurde.

Zum anderen moniert Kowalczuk, dass „Ulbrichts Bild in der Öffentlichkeit“ bis „heute eine Konstruktion entweder seiner Gegner oder seiner Anhänger“ sei. Auch dieses Argument ist durchaus nachvollziehbar, da auch Franks Studie keine völlige Dekonstruktion dieser Klischees beinhaltet. Dagegen bemüht sich Kowalczuk, herabsetzende Wertungen beziehungsweise Dämonisierungen, wie sie gerade in der Renegatenliteratur der alten Bundesrepublik wie bei Wolfgang Leonhard und Carola Stern zu finden sind, „gegen den Strich zu bürsten“.

Panorama des deutschen Parteikommunismus vor 1945

Der Autor will sich nicht an Ulbricht „abarbeiten“, er will ihn und seine Zeit „verstehen“ und die „erste vollständig aus den Quellen erarbeitete Ulbricht-Biografie vorlegen“. Dafür hat er beinahe „jeden Stein umgedreht“ und jedes noch so schmale Dokument aufgetan. Ilko-Sascha Kowalczuk erkundet mit diesem ersten Band der Ulbricht-Biografie zudem für ihn neues Terrain: Er, der sich bislang als einer der besten Kenner der DDR-Geschichte ausgewiesen hat, musste sich in die Zeiten des späten Kaiserreiches, der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ erst einarbeiten.

Das ist ihm hervorragend gelungen: Seine Biografie weitet sich schnell zum eindrucksvollen Panorama des deutschen Parteikommunismus vor 1945. Dabei gelingt es ihm, die ideologischen Grundgehalte und Begriffe (Marxismus, Bolschewismus, Diktatur des Proletariats usw.) anschaulich und trotzdem differenziert darzustellen, sodass sich selbst weniger mit der Materie Vertraute schnell zurechtfinden können. Das haben vor ihm höchstens Hermann Weber und Klaus-Michael Mallmann vermocht.

Ein Apparatschik als klassischer sozialer Aufsteiger

Kowalczuk hat ein neues, differenziertes Bild von Ulbricht gezeichnet, das dem späteren DDR-Staatsratsvorsitzenden wohl eher gerecht wird. So erscheint der „erfolgreichste Kommunist in der deutschen Geschichte“ nicht mehr als Zerrbild – nämlich allein als eiskalter Apparatschik mit Spitzbart und Fistelstimme samt unangenehmem sächsischen Dialekt – sondern auch als klassischer sozialer Aufsteiger.

Ihm, der 1893 in eine Leipziger Schneiderfamilie geboren wurde und selbst Tischler lernte und als solcher arbeitete, bescheinigt Kowalczuk eine „hohe soziale Intelligenz und ein außerordentlich breites Wissen auch schon in jungen Jahren“. Er hatte vor dem Ersten Weltkrieg das Leipziger Arbeiterbildungsinstitut der SPD absolviert und war ein „großer Bücherfreund“ mit Vorliebe für Geschichte.

Dass Ulbricht nach 1918 in der jungen KPD schnell reüssieren konnte, hing aber auch mit anderen Fähigkeiten zusammen, nämlich „sehr diszipliniert, zielstrebig, unermüdlich und sehr gut strukturiert“ zu arbeiten. Der Workaholic war gewiss kein großer Rhetoriker, aber ein Redner, der sich mit anderen messen konnte. Dabei kam das Familienleben zu kurz, dem Kowalczuk erstmals breiteren Raum schenkt; die Kapitel zu „seinen“ drei Frauen gehören zu den interessantesten des Buches.

Als „Genosse Zelle“ in der Weimarer Republik aktiv

Wirkliche Leidenschaft entwickelte er fürs Bergsteigen. All diese Fähigkeiten ebneten ihm den Weg an die Spitze der KPD vor 1945. Er, der nach 1914 zu den Kriegsgegnern in der SPD gehörte und sich bis 1918 politisch radikalisierte, zählte Anfang 1919 zu den KPD-Gründern in Leipzig. Bereits im April 1921 wurde er vom Parteivorsitzenden Heinrich Brandler zum Bezirkssekretär für Thüringen berufen.

Zwei Jahre später berief ihn Brandler in den ZK-Apparat nach Berlin, wo er als bewährter Organisationsfachmann aus der Provinz den kompletten Apparat reorganisieren sollte, und das hieß 1923 Umstellung der Partei auf eine Betriebszellenorganisation. „Genosse Zelle“ arbeitete effektiv und stützte Brandlers „rechten“ Kurs in der Partei, der für eine „Arbeiterregierung“ mit der SPD plädierte.

Ulbricht denunzierte die SPD als „sozialfaschistisch“

Nach der Niederlage der KPD im „Deutschen Oktober“ 1923 und dem von Moskau befohlenen Abgang Brandlers schlug sich Ulbricht auf die Seite der „Mittelgruppe“ in der KPD, um Jahre später den „ultralinken“ Kurs der Thälmann-Führung zu unterstützen, der die SPD als „sozialfaschistisch“ denunzierte. Diese Wendigkeit und seine zeitweilige Arbeit im Apparat der Kommunistischen Internationale in Moskau halfen ihm bei der Karriere.

Ab 1926 war seine Immunität zuerst als sächsischer Landtagsabgeordneter, dann als Reichstagsabgeordneter gesichert. Als Mitglied des ZK-Sekretariats und als KPD-Bezirkschef von Berlin-Brandenburg gehörte er vor 1933 zu den Entscheidern in der Partei. Hatte er noch 1931 mit Joseph Goebbels öffentlich die Klinge gekreuzt, wurde er ab Frühjahr 1933 mit Haftbefehl gesucht. Im Exil in Prag, Paris und Moskau rückte er allmählich und nach mörderischen internen Kämpfen an die Spitze der Partei.

Er betrieb die Bolschewisierung der Partei rigoros

Ulbrichts Biografie ist gewiss nicht die komplette Geschichte des deutschen Parteikommunismus vor 1933 oder 1945. Hier haben andere Protagonisten eine wichtige und zeitweilig bedeutendere Rolle gespielt – wie etwa Ernst Meyer, Heinrich Brandler, Ruth Fischer oder Ernst Thälmann. Daran zu erinnern, tut Kowalzcuks Werk keinen Abbruch. Aber Ulbricht war eben durch seine Wendigkeit und seine enorme Apparat-Kenntnis der erfolgreichere von ihnen. Und er hatte früh gelernt, in Moskau Fürsprecher zu finden und auf den dort bald unangefochtenen Führer Josef Stalin zu setzen.

Die von Moskau geforderte Bolschewisierung der Partei betrieb Walter Ulbricht mit der ihm eigenen Rigorosität. Genau das ist der Grund, aus dem er nach 1945 Stalins Mann für die Sowjetische Besatzungszone wurde. Ilko-Sascha Kowalczuks Biografie ist zweifellos ein Meilenstein der Erforschung des deutschen Parteikommunismus. Der zweite Band seiner Ulbricht-Geschichte darf daher mit Spannung erwartet werden.

Ilko-Sascha Kowalczuk: Walter Ulbricht. Der deutsche Kommunist, C.H. Beck, 1.006 Seiten, 58 Euro

Unser Autor Mike Schmeitzner ist Historiker am Dresdner Hannah-Arendt-Institut und lehrt seit über 20 Jahren Geschichte an der TU Dresden.