SZ + Feuilleton
Merken

Frisches Design trifft Barock

Am Montag wird der Sächsische Staatspreis für Design 2020 vergeben. Die nominierten Arbeiten sind im Kunstgewerbemuseum in Schloss Pillnitz zu sehen.

Von Birgit Grimm
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
"Vaio", das sind Essgeräte und Tischgefäße für alle Sinne, entworfen von Judith Anders.
"Vaio", das sind Essgeräte und Tischgefäße für alle Sinne, entworfen von Judith Anders. © SMWA/Julian Hoffmann

Kunstgewerbe begegnet Design aus Sachsen, und Zeitgenössisches misst sich an der Geschichte, mitunter sogar an direkten historischen Vorbildern: Ins Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sind Arbeiten junger Designer eingezogen. Sie verteilen sich über die Räume im Wasser- und im Bergpalais von Schloss Pillnitz. Museumschef Thomas Geisler hat die 29 Arbeiten, die für den Sächsischen Staatspreis für Design 2020 nominiert wurden, sehr gern in einen Dialog mit den historischen Exponaten der Dauerausstellung gebracht. Sie sprengen hier und da eine Grenze, aber nie die des guten Geschmacks.

Um den geht es ganz direkt in der Arbeit von Judith Anders aus Weißenberg. Sie hat ein Service gestaltet, das auf der barocken Tafel im Watteau-Saal des Bergpalais natürlich sofort ins Auge fällt. Es scheint, als würden die Essgefäße aus einer fremden Kultur kommen. Aber vielleicht will die Designerin nur zum langsamen Essen, zum Zelebrieren der Mahlzeit und zum Genießen verführen?! Klassisches Besteck? Teller? Tassen? Alles Fehlanzeige. Ihr Service besteht aus ovalen und konvexen Formen, aus denen man die Speisen, wenn nicht mit Stäbchen, dann vielleicht mit den Fingern zupft oder gleich mit dem Mund schlürft.

Plauener Spitze neu gedacht: Magdalena Sophie Orland hat für diesen Brautschleier 10.000 Punkte von Hand "aufgeklebt".
Plauener Spitze neu gedacht: Magdalena Sophie Orland hat für diesen Brautschleier 10.000 Punkte von Hand "aufgeklebt". © SMWA/Julian Hoffmann

Eine „kopflose“ E-Gitarre versteckt sich in der kleinen, feinen Musikinstrumentensammlung des Museums. Tim Walter aus Burgstädt hat sie entwickelt und die Stimmer in die Brücken am Korpus integriert. Weniger Gewicht, mehr Balance, außerdem ein tief ausgeschnittener rechter Cutaway. Musiker werden das zu schätzen wissen, wenn sie volle zwei Oktaven spielen.

Um Musik dreht sich auch die Arbeit des Leipziger Studios Doppeldenk, die für das Dresdner Label Uncanny Valley Plattencover entwarfen und dafür eine neue Schrift entwickelten.

Das Dresdner Magazin "Veto" will Engagierte aus den verschiedensten Bereichen sichtbar machen. Das Design der Hefte, die viermal im Jahr erscheinen, entwirft Mandy Münzner.
Das Dresdner Magazin "Veto" will Engagierte aus den verschiedensten Bereichen sichtbar machen. Das Design der Hefte, die viermal im Jahr erscheinen, entwirft Mandy Münzner. © SMWA/Julian Hoffmann

Eine Kohle-Urne vom Studio Schupplerschwarz aus Leipzig, die sich im Erdreich irgendwann auflösen soll, steht in einer Vitrine mit mexikanischen Bucáros. Sie wurden aus einem besonderen Ton hergestellt, der als gesundheitsfördernd galt und sogar gegessen wurde. Nachhaltigkeit in jeder Lebenslage ist ein Aspekt, der ein großes Thema für das Design der Zukunft und vielen der für den Sächsischen Designpreis 2020 nominierten Beiträge eigen ist.

Dieser Preis wird aller zwei Jahre in diversen Kategorien vergeben: Produktgestaltung, Kommunikationsdesign und Design im Handwerk vergeben. Zusätzlich wird in jeder Kategorie innovatives Nachwuchsdesign aus Sachsen gewürdigt. Einen Sonderpreis 2020 gibt es in der Kategorie „Design macht Arbeitsschutz attraktiv“. Dass erst jetzt der 2020er-Jahrgang gekürt wird, daran ist Corona schuld. Die Preisjury tagte online und hat die Herausforderung, die Dinge nicht leibhaftig in Augenschein nehmen zu können, gut gemeistert. Auch die Interventionen im Kunstgewerbemuseum sind am richtigen Platz. Allerdings hätte man gern auf das hellblaue Kreuz auf dem Fußboden verzichten können. Der informative Aufsteller an jedem Werk genügt voll und ganz. Außerdem macht Suchen und Entdecken nicht nur Kindern Spaß.

Ein Exoskelett aus der Reihe "Paexo" von Ottobock Industrials kann Menschen helfen, gelenk- und wirbelschonend schwere Arbeiten zu verrichten. Das Design stammt von Emese Papp, TU Dresden.
Ein Exoskelett aus der Reihe "Paexo" von Ottobock Industrials kann Menschen helfen, gelenk- und wirbelschonend schwere Arbeiten zu verrichten. Das Design stammt von Emese Papp, TU Dresden. © SMWA/Julian Hoffmann

Absolut nicht zu übersehen ist die Regenbekleidung für Radfahrerinnen: Ein Overall, wasserdicht, dünn und leicht, der sich im Nu in einen Parka verwandeln oder in einer Gürteltasche verstauen lässt. Lydia Kluge von Texlock in Leipzig hat ihn erfunden, und ihre Mitstreiterin Elkana Stöckel liefert ein Fahrradschloss dazu. Es hat einen Stahlkern, der von Hightechfasern ummantelt ist. Unzerstörbar ist es sicher nicht. Aber durch die Länge und die Flexibilität lassen sich Laufräder mit Rahmen und einem Fahrradständer verbinden.

Ein Regenoverall für Radfahrerinnen und ein flexibles Fahrradschloss kommen aus der Leipziger Designschmiede Texlock .
Ein Regenoverall für Radfahrerinnen und ein flexibles Fahrradschloss kommen aus der Leipziger Designschmiede Texlock . © SMWA/Julian Hoffmann

Das macht es Dieben schwerer. Schickes Design taugt nichts ohne eine gute Funktionalität. Es sei denn, es handelt sich um einen Brautschleier, dessen Schönheit nicht nach Notwendigkeit fragt. Magdalena Sophie Orland hat das Thema Plauener Spitze neu interpretiert. Spielspaß aus Holz kommt aus Schneeberg von Luise Ullrich. Sie schuf aus nachhaltig produziertem Holz eine witzige „Erzclique“, Figuren, die nicht nur zu Weihnachten erfreuen.

Die "Erzclique" von Luise Ullrich aus Schneeberg ist aus nachhaltig produziertem Holz, macht einfach Spaß und taugt nicht nur für die Weihnachtszeit.
Die "Erzclique" von Luise Ullrich aus Schneeberg ist aus nachhaltig produziertem Holz, macht einfach Spaß und taugt nicht nur für die Weihnachtszeit. © SMWA/Julian Hoffmann

Die Ausstellung der Nominierten für den Sächsischen Designpreis 2020 ist bis zum 9. August im Wasser- und im Bergpalais von Schloss Pillnitz zu sehen.