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Mit Merkel in den Kampf: als der Krieg endlich "Krieg" genannt wurde

Das Militärhistorische Museum in Dresden zeigt mit der Schau „Krieg und Frieden“: Die Zeitenwende für die Bundeswehr hat lange vor Putins Ukraine-Krieg begonnen.

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In Ihrer Regierungszeit wurde die "Friedensmission" der Bundeswehr in Afghanistan zum Krieg und auch so genannt: Bundeskanzlerin Angela Merkel an Bord eines Kampfhubschraubers.
In Ihrer Regierungszeit wurde die "Friedensmission" der Bundeswehr in Afghanistan zum Krieg und auch so genannt: Bundeskanzlerin Angela Merkel an Bord eines Kampfhubschraubers. ©  AP/dpa

Dass aus innenpolitischen Gründen ein Krieg nicht „Krieg“ genannt werden soll, auf diese Idee ist nicht erst Kreml-Diktator Wladimir Putin gekommen. Auch die Bundesregierung hat das Eingreifen der Bundeswehr in Afghanistan jahrelang mit dem Euphemismus „Kampfeinsatz“ ummäntelt, ohne das Problemkind beim wahren Namen zu nennen. Schließlich beteiligte sich Deutschland offiziell an einer „Friedensmission“. Schon dafür gab es wenig Unterstützung im Land, umso heftiger scheute die Politik den Begriff „Krieg“.

Selbst als der Dammbruch endlich kam, verpackte Verteidigungsminister zu Guttenberg ihn in einen sprachlichen Eiertanz und kommentierte das tödliche Karfreitagsgefecht nahe Kundus am Ostersonntag 2010 so: „Auch wenn es nicht jedem gefällt, so kann man angesichts dessen, was sich in Afghanistan, in Teilen Afghanistans abspielt, durchaus umgangssprachlich – ich betone umgangssprachlich – von Krieg reden“.

Hochemotionales Exponat: In diesem „Mungo“ starben 2008 fünf afghanische Kinder und zwei Bundeswehrsoldaten, als ein Terrorist sich vor ihrem Kleinlaster in die Luft sprengte.
Hochemotionales Exponat: In diesem „Mungo“ starben 2008 fünf afghanische Kinder und zwei Bundeswehrsoldaten, als ein Terrorist sich vor ihrem Kleinlaster in die Luft sprengte. © MHM Dresden

Kameraden sterben, aber das Wort "Krieg" ist tabu

Das hatten große Teile der Bevölkerung freilich längst so gehandhabt; im Gegensatz zu Putins Russland musste man hierzulande schon damals nichts befürchten, wenn man zum Krieg „Krieg“ sagte. Für einen etwas früheren verbalen Dammbruch steht im Militärhistorischen Museum (MHM) der Bundeswehr in Dresden nun auch das Wrack eines 2008 in Afghanistan zerstörten „Mungo“. Fünf afghanische Kinder und zwei Bundeswehrsoldaten starben, als ein Terrorist sich vor ihrem Kleinlaster in die Luft sprengte. Verteidigungsministers Franz Josef Jung nannte sie „Gefallene“, was Signalwirkung hatte, denn so etwas gibt es nur im Krieg.

Das Wrack des „Mungo“ ist ein extrem emotionales Exponat und symbolisiert eindringlich, was Krieg eigentlich bedeutet. „Es geht uns um die persönlichen Schicksale, die damit verbunden sind“, präzisiert Kristiane Janeke, die Wissenschaftliche Leiterin des Museums, „und wie solche Ereignisse auf die Soldatinnen und Soldaten wirken. Wie ist das für sie, wenn ringsum Kameraden sterben, sie aber das Wort ,Krieg‘ nicht benutzen dürfen?“

©  [M] dpa / SZ

Kein Panzerlied mehr bei Stubenparties!

Zusammen mit dem Potsdamer Zeithistoriker Sönke Neitzel hat Janeke die Sonderschau „Krieg und Frieden 2005 – 2021“ kuratiert, der es um „Die Bundeswehr in der Ära Merkel“ geht. Also um eine Phase, die für sie zur schleichenden Zeitwende wurde: Der Afghanistan-Einsatz mündete in einen Krieg und endete als Katastrophe. Die Wehrpflicht entfiel, die Streitkräfte schrumpften und wurden heruntergewirtschaftet, nach dem Rückzug aus Afghanistan galten sie vielen als komplett überflüssig. Zugleich definierte das Weißbuch neue Herausforderungen für die Bundeswehr inklusive Klimawandel, Migration, Cyberwars und Einsätze im Inneren.

Obendrein klärte der „Traditionserlass“ 2018 ein für alle Mal, dass die Wehrmacht in keinster Weise als Bezugspunkt für die Streitkräfte taugt, nicht in Kasernen-Namen, nicht in einschlägigen Aufklebern am Spind, nicht im Panzerlied bei Stubenparties. Was etliche Kameradinnen und Kameraden immer noch anders sehen, wie Aufdeckungen rechtsradikaler bis -extremer Vorfälle zeigen; auch das thematisiert „Krieg und Frieden“, etwa unter der Rubrik der soldatischen „Selbstbilder“.

Auch das Thema "Rechtsextremismus bei der Bundeswehr" wird von der Ausstellung nicht ausgespart.
Auch das Thema "Rechtsextremismus bei der Bundeswehr" wird von der Ausstellung nicht ausgespart. ©  Screenshot Twitter

"Warum sind wir nach Afghanistan gegangen?

Ihr optisch dominantes Generalthema indes bleibt Afghanistan. Gewissermaßen gerahmt wird die Ausstellung an zwei Seiten durch großformatige Fotos von Soldaten und Zivilisten, von Burkas verhüllte Frauen erinnern an die humanitären Ziele der Mission, Menschen mit Prothesen und eine Soldatenwitwe an deren Preis. „Natürlich kommt an mehreren Stellen die Frage auf: Warum sind wir nach Afghanistan gegangen?“, sagt Kuratorin Janeke. „Und man muss das so klar sagen: Weil die USA reingegangen sind.“ Mit dem Grund dafür endete bislang der chronologische Rundgang der Dauerausstellung: dem 11. 9. 2001.

„Krieg und Frieden“ schließt nun direkt daran an, als provisorische Verlängerung der Museumserzählung bis hinein in die Gegenwart, als eine Art Vorgeschmack auf die neue, in Planung befindliche Dauerausstellung des MHM, auch in Sachen Design: Trotz Gedrängtheit der Exponate ist die Sonderschau heller, mit neuem, offenerem Vitrinenkonzept und der Leitfarbe Blau. Das wirkt zugleich irgendwie „bundeswehriger“ und lässt ein wenig mehr an Infostand-Ästhetik von Marine oder Luftwaffe denken als an Museum.

In Afghanistan setzte die Bundeswehr unbewaffnete Drohnen ein. Mit Blick auf mögliche künftige Kampfeinsätze wird diskutiert, ob Deutschland auch bewaffnete Drohnen besitzen sollte.
In Afghanistan setzte die Bundeswehr unbewaffnete Drohnen ein. Mit Blick auf mögliche künftige Kampfeinsätze wird diskutiert, ob Deutschland auch bewaffnete Drohnen besitzen sollte. ©  [M] dpa / SZ

Wenn die Zeit die Ausstellung überholt

Was das MHM von Anbeginn im Jahr 2012 auszeichnet und Wesenskern seines Konzepts ist, macht auch den großen Reiz von „Krieg und Frieden aus“: der diskursive Ansatz, der unbedingte Wille zum Hinterfragen und Hinterfragenlassen, auch wenn es um das Selbstverständnis der Bundeswehr geht, oder besser: gerade da. „Es ist zum Beispiel auch nicht unsere Aufgabe, zu zeigen, ob der Afghanistan-Einsatz letztlich ein Erfolg oder ein Misserfolg war“, stellt die Kristiane Janeke klar. „Es gibt viele Antwortmöglichkeiten darauf. Unsere Gäste sollen sich selbst zwischen ihnen entscheiden.“

So sind auch die fünf Schlüsselobjekte der Ausstellung mit Fragen übertitelt: eine beschossene Fahrzeugtür mit „War Deutschland im Krieg?“ Ein Hubschraubermodell mit „Warum ist Rüstung ein Problem?“ Eine Drohne mit „Nur Aufklärung oder auch Waffe?“ Rettungswesten mit „Humanitäre Hilfe – eine Aufgabe für die Bundeswehr?“ Dass in der knappen Spanne nach dem Ende ihres Zeitrahmens 2021 schon wieder eine neue Ära begonnen hat und „Krieg und Frieden“ damit zumindest teilweise überholt ist, zeigt das Schlüsselexponat unter der Frage „Auf dem Weg in einen neuen Kalten Krieg?“

In diesem "Dingo" starben 2010 bei Kundus drei deutsche Soldaten. Fallschirmjäger stellten das Wrack sicher und erinnerten mit dem Spruch "Treue um Treue" an ihre Kameraden. Doch das wurde 2014 mit verboten: Der Spruch wurde durch die Fallschirmspringen d
In diesem "Dingo" starben 2010 bei Kundus drei deutsche Soldaten. Fallschirmjäger stellten das Wrack sicher und erinnerten mit dem Spruch "Treue um Treue" an ihre Kameraden. Doch das wurde 2014 mit verboten: Der Spruch wurde durch die Fallschirmspringen d ©  [M] dpa / SZ

Der Reifen eines ukrainischen Jeeps, in dem ein russisches Panzerfaust-Projektil von 2016 steckt, hätte Dresden fast nicht mehr erreicht. Von einem Museum in Kiew als Leihgabe zugesagt, drohten die russischen Bombardements nach dem 24. Februar vorübergehend, den Transport unmöglich zu machen.

Panzer von der Wunschliste der Ukraine

Es zeigt die Außergewöhnlichkeit unserer Gegenwart, dass die Ereignisgeschichte den Ausstellungsmachern mit einer Geschwindigkeit davongelaufen ist, gegen die sie machtlos waren. Als Ergebnis ist „Krieg und Frieden“ selbst inzwischen in Teilen Historie geworden: Die Zustimmungswerte für die Bundeswehr sind aus dem Kabul-Keller wieder emporgeschossen, ein noch im Januar politisch undenkbares 100-Milliarden-Paket wurde ihr zugesprochen, die Begriffe „Landesverteidigung“ und „Bündnisfall“ sind aus der Sphäre des Unwahrscheinlichen gefallen und zumindest die Frage der Schau, ob ein neuer Kalter Krieg droht, hat eine recht eindeutige Antwort gefunden.

Der rasante Lauf der Geschichte sorgt für noch mehr Kuriositäten: Auf dem Außengelände des MHM wurden einige Panzer geparkt, gebaut oder konzipiert im Kalten Krieg, darunter Leopard, Marder, Gepard, Panzerhaubitze 2 000. Gedacht war an ein Projekt, das lediglich zeigen sollte, welche Waffensysteme sich einst in Ost und West gegenüberstanden. Doch was Vergangenheit erzählen wollte, illustriert nun Gegenwart: Leopard und Marder stehen noch auf der Wunschliste der Ukraine, Gepard und Panzerhaubitze sind bereits dort. (SZ)

„Die Bundeswehr in der Ära Merkel – Krieg und Frieden 2005 – 2021“: Militärhistorisches Museum der Bundes- wehr, Olbrichtplatz 2 (DD), geöffnet Mo. 10 – 21 Uhr, Di. bis So. 10 – 18 Uhr, mittwochs geschlossen.