Von Hasko Weber
Momentan lässt sich schwer voraussagen, wie sicher und umfänglich sich die öffentliche Finanzierung von Kunst und Kultur in den nächsten Jahren entwickeln wird. Das provoziert Ängste und Spekulationen. Prognosen sind nur unscharf zu treffen, weil die Pandemie alle gesellschaftlichen Rahmen verschoben hat.
Besonders Bildungs- und Kulturpolitik stehen neben der Schadensbewältigung auch vor den Herausforderungen einer konfliktgeladenen Zukunft, in der es um nichts Geringeres als um die Fortschreibung unserer demokratischen Lebensformen geht. Das ist in anderen öffentlichen Bereichen ebenso relevant, wie beispielsweise im Gesundheitswesen und im Pflegesektor.
Auch unsere Wirtschaft muss sich grundsätzlichen Fragen stellen, wenn unser Gemeinwesen in einer akzeptablen Balance bleiben soll. Dafür stehen alle politischen Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen, aber auch wir selbst in der Verantwortung.
Als Intendant eines großen Mehrsparten-Theaters und eines Orchesters sehe ich meine wichtigste Aufgabe darin, mich unmissverständlich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft einzusetzen: zum einen im konkreten Sinne unserer künstlerischen Arbeit, die ohnehin auf Gemeinsamkeit basiert, für die es aber zeitgemäßer Regelungen bedarf, um Respekt und aufgeklärte Kommunikation zu gewährleisten; zum anderen mit der Vermittlung unserer Kunst, unserer Konzerte, unserer Inszenierungen, unseres gesamten Programmangebots in alle Bereiche des Stadtraums und der angrenzenden Regionen.
Diese Vermittlung schließt selbstverständlich alle Altersgruppen, alle Herkünfte und auch alle sozialen Stellungen ein. Aus den Erfahrungen der Pandemie heraus zweifle ich allerdings daran, ob diese bewährte und spezialisierte Konzeption weiterhin tragfähig sein wird, weil sie zu viele Menschen ausschließt. Damit finden wir uns mitten in einem umfassenden Thema wieder, das uns alle betrifft.

Es ist ein dringender Bedarf an Gemeinsamkeit und sozialem Miteinander entstanden, welchen wir auf dem Weg in die Mitte des 21. Jahrhunderts nicht erwartet hätten. Deshalb brauchen wir die gedankliche Öffnung für unsere Gesellschaft als Ganzes.
Die Frage nach der finanziellen Absicherung von Kunst und Kultur gilt es selbstverständlich zu beantworten, aber vielleicht nicht zuallererst, auch wenn um viele öffentliche Haushalte bereits jetzt gerungen wird. Es bedarf vielmehr der Vorschläge, wofür wir die Mittel in Zukunft verwenden und wie wir sie einsetzen wollen.
Im Zentrum unserer Bemühungen muss die Belebung und Entwicklung unseres gesellschaftlichen Interesses an Kunst und Kultur insgesamt stehen. Auf welches Fundament kann sich unser demokratisches Gemeinwesen langfristig stützen? Welchen Konsens streben wir für unsere Lebensgemeinschaft an? In diesem Zusammenhang spielt die Bildung ebenfalls eine entscheidende Rolle.
Insofern ergeben sich aus meiner Sicht zwei dringende politische Forderungen: Bildung und Kultur als einen eng verknüpften Komplex zu behandeln und in einen zielgerichteten Austausch zu treten. Die strukturelle und zuweilen strikte Trennung in voneinander unabhängige Ressorts muss unbedingt überwunden werden, vor allem durch das Wissen und die Erfahrung aller direkt Beteiligten.
Chance und Herausforderung
Aber die Bereitschaft und das breite öffentliche Bedürfnis, Kunst und Kultur als unverzichtbaren Teil unseres alltäglichen Lebens und damit als selbstverständlich zu erachten, werden sich nicht allein aus kulturpolitischen Entscheidungen und Austausch ableiten. Diese liefern bestenfalls erste Voraussetzungen für einen Wandel.
Es bedarf unserer eigenen Fantasien und Anstrengungen für die Mitgestaltung einer offenen und zugewandten Atmosphäre in den jeweiligen Stadtgesellschaften, einer Beteiligungskultur, aus dem das Selbstbewusstsein einer Bürgerschaft erwachsen kann, welche sich auf die Lösung bisher nicht gekannter Probleme einzustellen hat und dafür einen konstruktiven Background braucht. Wenn dies gelingt, wird es jedem Parlamentarier und jeder Parlamentarierin leichter fallen, Entscheidungen für die langfristige Sicherung der vielen verschiedenen Bildungs- und Kulturinstitutionen und für die dynamische Entwicklung freier und soziokultureller Einrichtungen zu treffen.
Ich sehe es deshalb als Chance und Herausforderung für uns selbst an, als Künstlerinnen und Künstler sowie Verantwortliche Vorschläge zu machen und Ziele zu formulieren, wie die Arbeit unserer Theater und Orchester auch zukünftig als sinnstiftend, anregend und vor allem als gemeinsamkeitsstiftend wahrgenommen werden kann. Und zwar jetzt.
Vernetzung und Teilhabe
Es mag unterschiedlich aufzufassen sein, wenn mitten in der Pandemie, im Wahnsinn der Regelungen, plötzlich die verschiedenen Bereiche des öffentlichen Lebens in einem Zug genannt und somit unmissverständlich in Verbindung gebracht wurden: Museen, Fitnessstudios, Theater, Kinos, Sportveranstaltungen, Gastronomie und viele andere. Die Unfreiwilligkeit dieser Erfassung ändert aber nichts an ihrer Richtigkeit. Kultur setzt sich im alltäglichen Leben aus sehr unterschiedlichen Segmenten zusammen und wir sollten daraus konstruktive Schlüsse ziehen.
Es geht um Zusammenhalt. Es geht um Vernetzung. Es geht um Teilhabe.
Für mich steht außer Frage, dass sich die Theater und Orchester unserer Republik in ihren künstlerischen, strukturellen und finanziellen Ressourcen als Teil eines kulturellen Netzwerkes definieren müssen. Nicht nur die Schwellen unserer eigenen Wahrnehmbarkeit gilt es abzusenken, sondern auch die Fähigkeit zu entwickeln, sich mit ganz unterschiedlichen Bereichen der Lebenskultur zu identifizieren und gemeinsam zu handeln.
Günstige Gelegenheit
Dies könnte in allen öffentlichen Bereichen Möglichkeiten eröffnen, auch unser gemeinsames Verständnis von Kultur in einer Stadt, in einer Region, in unserer Gesellschaft insgesamt zu erneuern und zu manifestieren. Feste Verabredungen zwischen Theatern und Museen, Kinos und Orchestern, Hochschulen und Kulturzentren bedürfen der Kontaktaufnahme und der Verständigung. Dazu ist die Gelegenheit gerade im Augenblick sehr günstig, weil alle nach gangbaren Wegen auf der Suche sind.
Ich stelle mir neben gemeinsamen Veranstaltungen und konzeptionellen Verknüpfungen auch neue Formate für ein potenziell gemeinsames Publikum vor. Schon heute werden verschiedenste Kulturangebote von vielen als gleichwertig angesehen. Ein Kinobesuch, ein Konzert, eine Einladung zum Essen, ein Sportevent, ein Abend im Theater rangieren auf gleicher Höhe nebeneinander. Ein kombiniertes Angebot aus sportlichem Ausgleich, Theater- und Konzertbesuchen sowie Ausstellungseröffnungen wäre im Sinne eines Abonnements naheliegend und individuell gestaltbar, wenn Fitnessstudio, Theater und Galerien sich zusammenschließen und sich von einer überholten Kirchturmpolitik verabschieden.
Die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur wird vor allem von unserer eigenen Bereitschaft zu Veränderung und der Erneuerung unseres Selbstverständnisses abhängen. Kultur sollte sich mit der ganzen Kraft ihrer beteiligten Künstlerinnen und Künstler und aller bestehenden Institutionen als Motor dieses gesellschaftlichen Umbruches verstehen: offen, frei und risikobereit, so wie es unsere Spielpläne bereits ausdrücken.