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Neues vom toten Starautor Hermann Kant

Der Band „Therapie“ vereint unbekannte Texte und das letzte Interview vom „Aula“-Autor.

Von Rainer Kasselt
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Der Schriftsteller und langjährige Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes Hermann Kant hier 2016 kurz vor seinem Tod.
Der Schriftsteller und langjährige Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes Hermann Kant hier 2016 kurz vor seinem Tod. © dpa-Zentralbild

Und dabei hätte ich schon so schön tot sein können. So lautet der erste Satz der Krankenhaus-Geschichte „Ein strenges Spiel“, 2014 zunächst als Privatdruck veröffentlicht. Freunde und ein guter Arzt retteten Hermann Kant. Das ohnehin schwache Herz wollte nicht mehr. Sieben lange Wochen am Schlauch dauerte die Therapie. Der Mediziner riet ihm, sich den Computer bringen zu lassen. Jeden Tag schrieb der Patient ein bisschen. „Der Arzt hatte den klugen Blick dafür, wie mir zu helfen war“, sagte der Autor später. „Literatur, das ist ein anderes Wort für Ausweg.“

Oft bei Honecker vorgesprochen

Am kommenden Montag wäre Hermann Kant 95 geworden, er starb im August 2016. Der Band „Therapie“ vereint weitgehend unbekannte Erzählungen und Essays, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind. Die ehemalige Literaturredakteurin der Zeitung Neues Deutschland Irmtraud Gutschke hat sie zu einer Zeit- und Lebensreise zusammengestellt und ein biografisches Nachwort verfasst. Im Gespräch mit ihr zieht Kant im Dezember 2014 selbstkritisch Bilanz, weicht keiner Frage aus. Mauer? „Mit eingesperrten Leuten kann man keinen Sozialismus aufbauen. Wer eine Mauer ziehen muss, damit die Leute nicht weglaufen, hat schon sein Scheitern eingebaut.“ DDR? „Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten. Diesem Traum bin ich treu geblieben.“

Kant begriff sich als politischer Schriftsteller, er saß in der Volkskammer der DDR und im ZK der SED. Nach 1989 entstand der Eindruck, der langjährige Präsident des Schriftstellerverbandes sei nach Honecker und Mielke der drittbestgehasste Mann der DDR gewesen. Der Theologe Friedrich Schorlemmer forderte, alle drei vor ein Tribunal zu stellen. Kant sei „IM Martin“ und „Kettenhund der Stasi“ gewesen, schrieb das Magazin Der Spiegel. Das wies der Beschuldigte in fünf Gerichtsprozessen zurück. Solange er Partei- und Verbandsfunktionen innehatte, „gab es Gespräche mit Vertretern dieser Behörde“, erklärte er. Aber er habe nie einen Bericht geschrieben, „eine Verpflichtung für das MfS fand in keiner Form statt“, notiert er im Briefwechsel mit dem westdeutschen Kollegen Hermann L. Gremliza.

Kant verstand sich „allen Ernstes“ als Mittelsmann und Brückenbauer zwischen Staat und Schriftstellern. Eine Illusion: „Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, oder man zahlt selber drauf dabei.“ Auch wenn er oft zu Honecker vorgelassen wurde, überschätzte er seinen Einfluss auf jenen. Er musste drei Jahre warten, ehe sein Roman „Das Impressum“ 1972 erscheinen durfte. Nicht nur der berühmte erste Satz des Buches „Ich will aber nicht Minister werden!“ verärgerte die Oberen.

Ohne DDR ist das Leben des Hamburger Arbeitersohnes und Arme-Leute-Kindes schwer denkbar. Das war sein Staat, der ließ ihn studieren, den wollte er behalten und besser machen. Es wird heute gern übersehen, dass Kant in Büchern und Referaten kräftig wider den Stachel löckte. Staatsnähe hinderte ihn nicht an Staatskritik. Er schrieb gegen Missstände und Fehlentwicklungen an. Die Erzählung „Bronzezeit“ (1986) bezeichnet Heiner Müller als „die schärfste DDR-Satire“.

Kein Zungenlahmer

Seit 1994 wohnte Kant allein in seinem Bungalow im mecklenburgischen Prälank, die Ehefrau hatte ihn verlassen. Noch jeder Situation gewinnt der Sprachmächtige eine spöttische Bemerkung ab. „Wohl kostet es erheblich, allein zu sein; doch habe ich nie vernünftiger eingekauft.“ An der Schreibmaschine lebt er auf, der Wortzauberer liebt das Abschweifen, er erzählt so präzise und vergnüglich wie möglich. Er beobachtet eine Fledermaus im Garten, nennt sie zärtlich „Batmans kleine Schwester“, erfindet immer neue Namen für sie: liliputanisches Flugtier, windgebeutelter Doppeldecker oder – ganz Karl-May-Verehrer – Jung Fledderhand. Selbst sein gegnerischer Großkritiker Marcel Reich-Ranicki applaudierte: „Aber schreiben kann er.“

Im Interview mit Irmtraud Gutschke sagt Kant: „Der schrecklichste Lebensabschnitt für mich war die Gefangenschaft.“ Über vier Jahre Gefängnis und Lagerhaft in Polen schrieb er seinen wichtigsten Roman „Der Aufenthalt“. Der glücklichste Lebensabschnitt war für ihn „die Arbeiter-und-Bauernfakultät“ in Greifswald. In seinem populärsten Roman „Die Aula“ ist jene Zeit, die weit vergangen ist, so frisch wie damals nachzuerleben. Auch jenen, die von Kant keine Zeile kennen, ist der schmale Band zu empfehlen. Auf kleinem Raum hat man den ganzen Mann, der alles andere als ein zungenlahmer Autor war: ein Ironiker vor dem Herrn, an den er nicht glaubte. Er wusste: Mit Humor und ohne Selbstmitleid ist vieles zu ertragen. Selbst Angriffe, Alter und Alleinsein.

Hermann Kant: Therapie. Herausgegeben von Irmtraud Gutschke, Aufbau Verlag, 160 Seiten, 22 Euro