Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Feuilleton
Merken

Ost-Frauen waren nach der Wende einfach stark

Corinna Harfouch ist ein Star und fühlt sich vor allem ostdeutsch. Ein Gespräch über ihren neuen Film, den „Tatort“ und den Zustand der Gesellschaft.

 8 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Corinna Harfouch ist selbst in dem alten Herrenhaus aufgewachsen und möchte es zum kulturellen Zentrum ausbauen.
Corinna Harfouch ist selbst in dem alten Herrenhaus aufgewachsen und möchte es zum kulturellen Zentrum ausbauen. © ddp

Von André Wesche

Seit mehr als 40 Jahren steht Corinna Harfouch auf der Bühne und vor der Kamera. Die 67-Jährige zählt zu den markantesten Schauspielerinnen des Landes. Zurzeit kämpft sie im Kinofilm „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ als Lehrerin Gudrun gegen den Verkauf des örtlichen Waisenhauses an westliche Investoren.

Frau Harfouch, wenn einem eine gute Kollegin ein Drehbuch wie „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ anbietet, ist man dann sehr erleichtert, wenn es wirklich gut ist?

Ich kannte Katharina Marie Schubert vom Deutschen Theater, wo wir in Gorkis „Wassa Schelesnowa“ zusammen gespielt haben. Ich schätze sie sehr, auch als besonders kluge Kollegin. Dann hat sie mir dieses Buch gegeben. Ich hatte das Gefühl, dass das jemand aus dem Osten geschrieben hat. Als gäbe es die Kenntnis einer bestimmten Stimmungslage. Das fand ich sehr beeindruckend. Katharina hat sehr darauf gebaut und vertraut, dass so viele Menschen wie möglich aus dem Osten beteiligt sind. Das Drehen war dadurch auch so herrlich, weil es wie ein Klassentreffen war. Im Film treffen Personen mit unterschiedlichen Blickwinkeln und Ansichten aufeinander.

Fällt es Ihnen mit zunehmender Lebenserfahrung leichter oder schwerer, eine Position einzunehmen?

Schwerer. Erst mal glaube ich, dass mein Beruf darin besteht, mich in sehr verschiedene Ansichten, Leben und Charaktere einzufühlen und einzudenken. Das hat sich inzwischen in einer Art und Weise in mir ausgebreitet, dass es mir sehr schwerfällt, Nein zu sagen. Mich interessieren Fragen wie: „So denkt er, aha. Wie kann das sein? Wie denkt sie? Wo kommt das her?“ Ich höre sehr gern zu. Dinge zu beurteilen, ist heutzutage wirklich ein Sport. Jeder kann irgendwie ganz viel beurteilen. So krass, dass man staunt: „Oh Gott, woher weißt du denn das alles?“

Lehrerin Gudrun (Corinna Harfouch) hält ihre Dankesrede vor den Dorfbewohnern, die sie unterstützen.
Lehrerin Gudrun (Corinna Harfouch) hält ihre Dankesrede vor den Dorfbewohnern, die sie unterstützen. © MDR/if... Productions/Erik Moson

Es wurden unendlich viele und grobe Fehler gemacht

War es für Sie in den 90er-Jahren schwierig mit dem Loslassen und Festhalten?

Dass man das in dieser Zeit so wahrgenommen hätte, glaube ich eben eher nicht. Aber ich denke schon, dass in dieser Zeit unendlich viele und grobe Fehler gemacht worden sind, die man nicht alleine damit entschuldigen kann, dass alles so schnell gehen musste. Kein Mensch weiß, warum das alles so schnell gehen musste und warum alles Mögliche geopfert wurde. Meine Freundin Sabine Michel hat eine Dokumentation über die Frauen im Osten gemacht. Die waren nach der Wende einfach stark. Sie waren fast alle berufstätig, sie hatten etwas vor und haben sich etwas vorgestellt. Und sie dachten selbstverständlich, dass ihre Rechte aus der DDR bleiben und noch ein paar mehr dazukommen. Dafür haben sie auch gekämpft. Sie wurden dann von Männern zurückgescheucht, die damals ja meistens Politik gemacht haben und diejenigen waren, die wirklich etwas zu sagen hatten. Und das auf eine Art und Weise, die sehr verblüffend war. Keine Frau hatte damit gerechnet, dass es so wird, dass du arbeitslos bist, plötzlich eine Hausfrau sein sollst und nicht darüber bestimmen darfst, wann du deine Kinder bekommst und wann nicht. Dass du plötzlich alle möglichen Rechte verlierst. Das war unglaublich.

In einem Höhepunkt des Films spricht Gudrun davon, dass man den Menschen im Osten alles weggenommen hat, was einmal von Wert war, und die Lebensleistung der Menschen nicht gewürdigt wird. Sie stellt die Frage, ob es nicht etwas dazwischen geben kann. Spricht sie Ihnen damit aus der Seele?

Absolut. Und von heute aus gesehen scheint das der Dreh- und Angelpunkt zu sein: Dass der Osten sich nicht so richtig in den Griff kriegen lässt und dass die Leute sich alle möglichen Widerstandsnischen suchen. Als Ostmensch ist die Karriere nicht glatt durchgegangen, bei keinem von uns. Das macht eine Lebenserfahrung aus, dass man nicht grundsätzlich auf „die da“ vertrauen kann. Das konnte man vorher nicht und dann hat sich herausgestellt, dass man es jetzt auch wieder nicht konnte. Diese Erfahrung, die es im Osten sehr, sehr häufig gibt, macht so etwas Widerständiges aus. Ich traue mich kaum, es zu sagen. Aber wir trauen uns ja sowieso im Moment kaum, etwas zu sagen. Das ist auch so schrecklich und erinnert einen furchtbar an alles Mögliche. Die Menschen im Osten empfinden das Gefühl möglicherweise stärker als die im Westen, dass etwas komisch daran ist, dass wir plötzlich alle die gleiche Impfung kriegen und dass plötzlich Worte wie „Solidarität“ auf eine Weise missbraucht werden, dass es einem schaudert und man sich fragt: „Wie kann man denn das ganze Alphabet nach rückwärts drehen? Das kann doch gar nicht sein.“ Natürlich gibt es auch im Osten die Gewohnheit, sich anzupassen. Aber es gibt auch ganz stark die Frage: „Wieso soll ich denn jetzt alles glauben, was mir hier erzählt wird? Und wo ist hier mein Wesen, wo kommt das vor? Wo komme ich vor?“

Corinna Harfouch als Lehrerin Gudrun in einer Szene des Films "Das Mädchen mit den goldenen Händen"
Corinna Harfouch als Lehrerin Gudrun in einer Szene des Films "Das Mädchen mit den goldenen Händen" © WildBunch

Im Westen entwurzelt

Haben Sie Angst vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft?

Angst würde ich das nicht nennen. Angst habe ich persönlich nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das so noch lange gut geht. Wieso sollen sich die Leute das alles wie die Schafe gefallen lassen? In allen möglichen Sparten dieses Lebens gibt es so große Ungerechtigkeit, so großes Alleingelassen-Sein, da wird so viel über den Mund gefahren. Der deutsche Mensch ist leider sehr, sehr träge in seinem Bedürfnis, sich nichts gefallen zu lassen. Wir sind jetzt nicht Frankreich, das kann man wirklich nicht sagen. Wir haben diese große Erfahrung eben nie gemacht, wir haben nie eine große Revolution zustande gebracht. Die Geduld der Leute ist grenzenlos. Ich warte. Ich weiß auch nicht, wie und mit welcher Art von Gewalt der Staat darauf reagiert, wenn die Demonstrationen größer und mehr werden. Ich bin gespannt, was dann passiert. Da habe ich dann doch Angst.

Fühlen Sie sich manchmal entwurzelt?

Ich habe mich entwurzelt gefühlt. Ich hatte eine Zeit lang einen Partner aus dem Westen. Das war ein ganz anderer Lebensstil. Das war in München und da ist mir plötzlich aufgefallen, dass ich mein Zuhause verloren habe. Ich musste wieder wissen, wo ich hingehöre, das braucht man als Mensch. Das war vor 15 bis 20 Jahren ein ganz, ganz starkes Gefühl für mich. Ich habe mir ein Haus in der Schorfheide gekauft und bin hier sehr zu Hause. Dieses Gefühl der Entwurzelung kann ich hier nicht haben, das ist unmöglich. Ich bin umgeben von Familie, Nachbarn und Freunden. Ich habe Projekte hier in der Nähe, meinen Theaterverein. Ich fühle mich hier sehr verbunden.

Haben Sie auch ein geheimes Drehbuch in der Schublade?

Nein. Meine Talente liegen wirklich woanders. Wenn ich in Form bin, kann ich ganz gut erzählen. Ich kann, hoffentlich, da und dort ganz gut spielen. Ich kann auch noch ein paar andere Sachen. Aber ein Drehbuch schreiben? Nein. Das will ich nicht. Ich würde gar nicht erst anfangen, weil ich mich da rumquäle. Ich führe ab und zu am Theater Regie. Es ist gut, das ab und an zu machen, weil man einen absoluten Perspektivwandel hat. Ich komme gerade von einer Arbeit aus Hannover. Ich habe meine Regisseurin mal wieder unendlich bewundert für das, was sie da durchsteht. Das ist einer der schwierigsten Berufe, die ich mir vorstellen kann. Es ist unglaublich, was man da alles zusammenhalten muss, wofür man alles da sein muss und was man können muss.

Nun wartet das Abenteuer „Tatort“ auf Sie. Aufgeregt?

Oh ja! Das war nicht meine Idee. Ich hatte bis dahin schon ab und an eine Kommissarin angetragen bekommen, und ich habe immer Nein gesagt. Mir macht alles Angst, bei dem ich mich festlegen muss. Das ist schon seit der Schule so, als es hieß, man muss sich jetzt einen Beruf wählen. Die Vorstellung, die man damals hatte, war: „Dann macht man das sein Leben lang?“. Da sehe ich ja jetzt schon mein Grab vor mir! Ich habe Angst vor solchen Festlegungen: „Dann drehe ich wer weiß wie lange zweimal im Jahr so ein Ding.“ Nein, so etwas wollte ich nie machen. Jetzt ist es aber so, dass ich eigentlich sehr viel weniger drehen möchte. Ich will mich auf mein Projekt, meine Familie, meine Enkel konzentrieren und immer weiter Theater spielen. Dieses „Tatort“-Angebot, das finde ich fast schon ein bisschen lustig, weil ich doch schon 67 bin. Und dann krauche ich auf die Straßen Berlins und jage Verbrecher. Wir haben ein sehr gutes Konzept. Ich darf natürlich nichts davon verraten, aber ich bin sehr, sehr zufrieden damit, was da entwickelt wird.