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Sein "Dagegen" wird fehlen: Zum Tod von Peter Sodann

Er war Dresdner "Tatort"-Kommissar, rettete DDR-Bücher und kandidierte als Bundespräsident. Ein Nachruf auf den Schauspieler Peter Sodann.

Von Peter Ufer
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Peter Sodann (1936 - 2024)
Peter Sodann (1936 - 2024) © picture alliance / dpa

Wer ihn vor Jahren auf dem ehemaligen Rittergut von Staucha besuchte, der begegnete einem alten Mann, der ziemlich unwirsch reagierte, als hätte er etwas dagegen. Besucher traf ein skeptischer Blick, der ihnen sagen sollte, da kommt schon wieder jemand, der keine Ahnung hat.

In seinem Bücherrefugium lief der 1936 in Meißen geborene Schauspieler oft wie ein Getriebener unruhig zwischen den Regalen umher. Nach Stationen in Halle und Merseburg hatte er die auf etwa vier Millionen Bände angewachsene Büchersammlung 2012 in der Gemeinde in der Nähe seiner Geburtsstadt angesiedelt. In der restaurierten Scheune führen Stufen in ein Foyer, in dem mehrarmige Leuchter made in GDR an der hohen Balkendecke baumeln.

Denn auch Lampen sammelte Sodann, „damit den Leuten ein Licht aufgeht“. An der Wand hinter den Leuchten fliegt die Friedenstaube von Picasso als großrahmiges Fresko. Über der Bühne, auf der es einmal Lesungen gab, die aber in den vergangenen Jahren oft zugestellt war mit aufeinander gestapelten Stühlen, steht ein Spruch in schwarzen Lettern: „In den Bananenkisten des Westens schlummert das Wissen des Ostens.“

Der Retter der "Russenschwarten"

Als die Wende kam, da hat Peter Sodann diesen Satz geprägt, weil er Menschen nicht leiden konnte, die etwas anderes vernichten. Eine Art „Büchersturm“ hatte ab 1990 begonnen, die alten „Russenschwarten“ müssten weg, hörte er, aber wollte es nicht glauben, sondern hatte etwas dagegen. Dass jetzt Wissen aus dem Sozialismus ein altes Rittergut belastet, empfand der Sachse durchaus als witzige Fußnote der deutschen Geschichte. Wie viele Bücher, Kataloge, Zeitschriften und Zeitungen in der Bibliothek, die sich über drei Etagen in zwei Gebäuden erstreckt, wirklich gelagert sind, wusste der Schauspieler meistens nie so genau.

Viel war weder sortiert und erst recht nicht katalogisiert. Nur dass der Deutsche seine Bücher gern wegschmeißt und sein Gehirn gleich mit, das ließ der Antiquar aus Leidenschaft jeden wissen, am liebsten die, die ihn nicht danach fragten. Alle Bücher eines Landes in Regale zu stopfen, dürfte selbst eine Kompanie von Archivaren überfordern. Das begriff Sodann irgendwann, wollte aber sein einmal begonnenes Projekt nicht aufgeben, verzweifelte gelegentlich daran, wirkte für die, die ihn nicht näher kannten wie ein Zonen-Messi, der sich mit einer Mauer aus antiquarischen Druckwerken umstapelte, um sich vor der Gegenwart zu schützen.

"Tatort" Dresden: An der Seite von Bernd Michael Lade als Hauptkommissar Kain spielter Peter Sodann von 1992 bis 2007 die Rolle des Hauptkommissars Bruno Ehrlicher.
"Tatort" Dresden: An der Seite von Bernd Michael Lade als Hauptkommissar Kain spielter Peter Sodann von 1992 bis 2007 die Rolle des Hauptkommissars Bruno Ehrlicher. © MDR/Ch. Köfer

Der gebürtige Meißner fand schon immer einen Weg, sich gegen die Merkwürdigkeiten der Zeit zu wehren. Er war dagegen. In der DDR trieb er mit dem „Der Rat der Spötter“ die Genossen vor sich her. Nach einer Werkzeugmacherlehre und einem Ausflug ins Fach Jura studierte er an der Leipziger Theaterhochschule und leitete das Studentenkabarett der Universität. Das war 1961, dem Jahr des Mauerbaus. Da wurde jeder kleine Spaß zur Provokation und Sodann landete wegen „staatsfeindlicher Hetze und Vorbereitung der Konterrevolution“ in Stasi-Haft. Gebrochen hat ihn das nicht, sondern ganz im Gegenteil seinen Sinn für Gerechtigkeit wachsen lassen. Vier Jahre musste er sich „in der Produktion bewähren“. Helene Weigel holte ihn danach ans Berliner Ensemble, er spielte kurz in Berlin, in Erfurt, Magdeburg und Karl-Marx-Stadt.

Ein durch und durch politischer Sachse

Aber er wollte gern selbst ein Theater aufbauen, ging nach Halle, wo er aus einer sanierungsbedürftigen Bühne ein „neues theater Halle“ erschuf. Nicht auf einmal, sondern nach und nach legte er selbst Hand an, setzte seinen Willen durch, werkelte mit seinem Ensemble an Premieren und am Gebäude. Eine „Kulturinsel“, ein Volkstheater im besten Sinne entstand, das zwischen die frisch verputzten Fugen immer wieder ein „Dagegen“ legte. Er war Initiator, Antreiber, Gestalter, Chef und Mitarbeiter in Personalunion.

„Was du nicht selber tust, das tut für dich kein anderer“, steht über dem Bühneneingang. Peter Sodann wäre gern dort geblieben, aber 2005, ein Jahr vor seinem 25-Bühnenjubiläum und seinem 70. Geburtstag, wurde „das Theater von mir losgesagt“, meinte Sodann. Er ging enttäuscht über so viel „opportunistisches Gebaren und Frechheiten, dass man einen einfach vergrault nach so vielen Jahren.“

Peter Sodann kennen die meisten als "Tatort"-Kommissar, den er 45-mal von 1992 bis 2007 spielte und lebte. Der Ermittler hieß Ehrlicher und war sein Programm. Der lief mit ausgebeulter Jacke durch den Krimi, unprätentiös, gefühlig, nah an den kleinen Leuten. 2008 trat Peter Sodann für die Nachfolger der einst verspotteten Genossen als Kandidat für den Posten des Bundespräsidenten an. Zur Wahl im Frühjahr 2009 hatte er zwar keine Chancen, aber am Ende zwei Stimmen mehr, als die Linke ihm in der Bundesversammlung hätte geben können.

Ein durch und durch politischer Sachse, der sich nicht festlegen ließ, der gegen den Strom schwamm, der nicht spielte, sondern Schauspieler war und als freier Geist geistige Freiheit als sein wichtigstes Lebensziel empfand. Er sei ein „betender Kommunist“, sagte Sodann einmal über Sodann. Auf jeden Fall war er einer von hier. Sein „Dagegen“ wird fehlen.

Die ARD ändert wegen Peter Sodanns Tod das Programm und sendet an diesem Sonntag um 23:35 Uhr seine letzte "Tatort"-Folge "Die Falle". Der Film ist auch in der ARD-Mediathek zu finden.