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Sind ostdeutsche Frauen die besseren Politikerinnen?

Die Dresdner Filmemacherin Sabine Michel porträtiert Manuela Schwesig, Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas, Anke Domscheit-Berg und Frauke Petry.

Von Oliver Reinhard
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Um sie geht es in Sabine Michels neuem Film „Frauen in Landschaften“: Anke Domscheit-Berg (o. l.), Yvonne Magwas (o. r.), Manuela Schwesig (u. l.) und Frauke Petry.  Fotos: Wikipedia, dpa, Fotostand, Robert Michael
Um sie geht es in Sabine Michels neuem Film „Frauen in Landschaften“: Anke Domscheit-Berg (o. l.), Yvonne Magwas (o. r.), Manuela Schwesig (u. l.) und Frauke Petry. Fotos: Wikipedia, dpa, Fotostand, Robert Michael © [M] SZ/dpa

Die gebürtige Dresdner Regisseurin und Grimmepreisträgerin Sabine Michel (52) hat ihr großes Thema gefunden: In den meisten ihrer Filme geht es um Frauen, genauer – um Ostfrauen in der DDR und in der Bundesrepublik. Ihr neuestes Werk „Frauen in Landschaften“ nähert sich vier sehr unterschiedlichen ostdeutsche Politikerinnen: Manuela Schwesig, Frauke Petry, der sächsischen Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas und Anke Domscheit-Berg von der Linkspartei. Wir fragten Sabine Michel, was ostdeutsche Frauen auszeichnet und ob sie die besseren Politikerinnen sind.

Sabine Michel, sind Frauen die besseren Menschen?

Nein, natürlich nicht. Darum geht es mir auch nicht, sondern darum, dass Frauen gleichberechtigt ihre Chancen bekommen sollen und Positionen und Möglichkeiten, Entscheidungen für sich und ihre spezifischen Lebensbedingungen zu treffen. Ich höre oft: „Ihr Frauen macht das doch gar nicht besser als die Männer.“ Lustige Denke, dass Frauen jetzt die Fehler der Männer korrigieren und die Welt in Ordnung bringen. Nein, natürlich müssen sie auch dieselben Fehler machen dürfen wie Männer.

Lässt sich nicht immerhin statistisch belegen, dass Frauen weniger straffällig werden, weniger gewalttätig sind und weniger zu radikalen und extremistischen Einstellungen neigen?

Absolut. Deswegen halte ich auch feministische Außenpolitik für eine interessante Idee. Es ist belegbar, dass Frauen oft die besseren Verhandlungspartner sind und Vereinbarungen, die sie aushandeln, länger halten. Wobei wir auf der anderen Seite sehen, dass Frauen, die in hohe Positionen etwa der Wirtschaft und der Politik gekommen sind, sich mit eher als typisch männlich beschreibbaren Eigenschaften durchgesetzt haben. Es ist also nicht per se so, dass weibliche Führungskräfte menschlicher und empathischer wären.

Sind Ostfrauen die stärkeren Frauen?

Wie kommen sie auf diese Frage?

Weil im Ost-West-Diskurs oft behauptet wird, sie seien emanzipierter, selbständiger aufgewachsen, würden sich Männern gegenüber eher durchsetzen …

In der DDR sozialisierte Frauen haben natürlich andere Erfahrungen gemacht, und ich würde mir wünschen, dass eben diese Erfahrungen stärkere Bestandteile im gesellschaftlichen Diskurs wäre. Und das es tiefer im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert wäre, dass die DDR ein Gleichstellungsexperiment durchgeführt hat, in der vieles für Frauen nachweislich besser funktioniert hat, anderes aber auch nicht. Zum Beispiel gab es in der DDR dadurch, dass die allermeisten Frauen in Vollzeit gearbeitet und sich zusätzlich um die Erziehung gekümmert haben, eine Mehrfachbelastung. Das Problem hat auch unsere heutige Gesellschaft nicht gelöst: Menschen mit Kindern sind strukturell benachteiligt, finanziell, zeitlich und karrieremäßig.

Ostfrauen sind ihr Thema. Warum?

Irgendwie hat das Thema auch mich gefunden. Es war ja nicht so, dass ich damals im Studium beschlossen habe, Chronistin der Ostfrauen zu werden. Und ich habe ja auch Filme über andere Themen gemacht. Aber ja, in den letzten 15 Jahren ging es mir hauptsächlich um Frauen. Das hat sich auch deshalb so ergeben, weil die Geschichten der Frauen und ihre Perspektiven noch immer völlig unterbelichtet sind beziehungsweise zu wenig vorkommen.

Bei „Frauen in Landschaften“ geht es jetzt wieder um vier Spitzenpolitikerinnen aus dem Osten: Yvonne Magwas, Manuela Schwesig, Frauke Petry und die Linke Anke Domscheit-Berg. Wie kam es zu dieser Auswahl?

Ich habe nicht auf Parteien-Proporz geachtet, sondern in den Parteien nach Frauen gesucht, in denen sich eine möglichst große Breite an biografischen Erfahrungen widerspiegelt. Ein Spektrum, das zeigt: Man kann den Osten und erst recht nicht die Ostfrauen über einen Kamm scheren, auch wenn das immer wieder gerne versucht wird. Und es sollte deutlich werden, dass Frauen mit sehr ähnlichen gesellschaftlichen Prägungen sich sehr unterschiedlich entwickeln und vor allem auch entschieden haben in ihren Leben.

Was mir auffiel: Gerade die Politikerin mit den meisten Kindern und dem größten Betreuungsaufwand, setzt sich am wenigsten für Frauenthemen ein. Waren Sie davon überrascht?

Stimmt, bei Frauke Petry hatte ich schon so einige Überraschungsmomente, ich glaube, man merkt das auch im Film an meinen Reaktionen und Nachfragen. Sie nimmt eine derart hyperliberale Haltung ein, sie will keine gesonderte Unterstützung für Frauen, auch bei denen gilt für sie „Jede ist ihres Glückes Schmied“. Aber auch sie hat sich im Lauf des Drehs immer wieder geöffnet, und war sehr ehrlich, auch privat.

Sabine Michel hat ihr großes Thema gefunden - und das Thema sie: Ostfrauen in Geschichte und Gegenwart.
Sabine Michel hat ihr großes Thema gefunden - und das Thema sie: Ostfrauen in Geschichte und Gegenwart. © Foto: Marco Urban

Bei Yvonne Magwas geht das so weit, dass sie in einer Szene kurz vorm Tränenausbruch steht und abbrechen will.

Ja, als es darum ging, dass sie eine wichtige Zoom-Sitzung leiten musste und währenddessen erfuhr, dass es ihrem Sohn sehr schlecht ging. Sie war kurz hin- und hergerissen, hat sich dann aber entschieden, die Sitzung abzubrechen und sich um ihr Kind zu kümmern. Und diesen Schmerz, der sie beim Erzählen noch einmal einholt und den man sehr deutlich sieht, den kennt jede berufstätige Mutter. Auch über diesen Schmerz müssen wir reden. Der gehört zu Politikerinnen dazu, der hat nichts mit Schwäche zu tun und sollte auch nicht so ausgelegt werden.

Bei Männern auch nicht?

Ich glaube, es wird bei männlichen und weiblichen Führungskräften von den meisten Menschen nicht gerne gesehen. Soweit sind wir leider noch nicht, dass das Zeigen von Gefühlen als Stärke verstanden wird statt als Schwäche. Und ich finde, man sieht im Film, welche Härte und eiserne Disziplin der Job auch den Frauen abverlangt, egal, ob sie das wollen oder nicht: Ohne Härte geht es für sie nicht.

Dritte provokante Frage: Sind Ostfrauen die besseren Politikerinnen, weil sie mehr gelernt haben, im Beruf neben Männern zu bestehen?

Sie haben schlicht andere Erfahrungen gemacht, die gerade auch für politische Entscheidungen heute wichtig wären: Bei den Frauen, die wie ich der dritten Generation Ost angehören, die also um die Wendezeit ihr Abitur gemacht haben, gehört nicht nur die Berufstätigkeit ihrer Mütter, sondern auch die Erfahrungen von Brüchen zu ihrem Aufwachsen. Und der Mauerfall und die Jahre danach waren für sehr viele Menschen mit tiefen Brüchen verbunden. Es gab kaum eine Familie im Osten, in der nicht Arbeitslosigkeit und Umschulungen für die Eltern an der Tagesordnung waren.

Geradezu typisch wirkt das Schicksal von Manuela Schwesigs Vater.

Ja, leider. Für einen nicht geringen Teil der Männer war es das. Die Existenz ihres Vaters wurde durch die Wende total erschüttert, er hat beruflich nie wieder richtig Fuß gefasst. Und Frauke Petry war mit ihrer Familie schon vor dem Mauerfall in den Westen gegangen, hat da aber an der Schule Diskriminierungserfahrungen gemacht und ihre ostdeutsche Herkunft dann lange verschwiegen. Und Yvonne Magwas wurde umgekehrt dadurch geprägt, dass ihr Vater nach 1989 einen Aufstieg geschafft hat, und ich finde, das merkt man ihr auch an. Anke Domscheit-Berg wiederum gehörte in der DDR noch zu den Rebellinnen, zu den Aufmüpfigen. Also ja: Die Erfahrungen solcher Brüche und Veränderungen führen bei vielen Menschen schon dazu, dass sie generell auf Krisen und Konflikte etwas anders reagieren, vielleicht pragmatischer.

Wir erleben gerade eine Rückbesinnung vieler Ostdeutscher auf ihr Ostdeutsch-Sein, auch in Abgrenzung zu „dem Westen“. In ihrem Film aber ist davon nichts zu sehen. Woran liegt das?

Mich wundert immer, dass so erbittert um nur die eine „richtige“ Perspektive, die eine „richtige“ Erinnerung gerungen wird. Letztlich könnte man das Ganze auch etwas entspannter nehmen. Auch die Erinnerung an den Osten ist wie die Gegenwart ein buntes Mosaik, wo jeder seinen Stein dazu legen kann. Und am Ende kann sich jeder aus all diesen vielen kleinen Steinen sein eigenes Bild zusammenfügen. Da passt nicht immer alles wie genormt zueinander, also lassen wir das doch einfach mal nebeneinanderstehen. Das gilt meines Erachtens auch für andere gesellschaftliche Bereiche. Das „Andere“ darf sein, solange es verfassungsrechtlich ist. Wenn wir das schaffen, dann müsste vieles zum Beispiel auch nicht als Protestzeichen auf dem Wahlzettel ausgetragen werden, davon bin ich überzeugt. Es wird sich schon herausstellen, was davon Bestand hat und was nicht.

Der Film „Frauen in Landschaften“ läuft in der Dresdner Schauburg.