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Sind wir wirklich gleichberechtigt?

Warum die Behauptung, Männer und Frauen seien gleichgestellt, nicht nur falsch, sondern auch gefährlich ist. Ein Gastbeitrag von Alexandra Zykunov.

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Mütter leisten immer noch den Hauptanteil der Hausarbeit und widmen den Kindern viel mehr Zeit als Väter.
Mütter leisten immer noch den Hauptanteil der Hausarbeit und widmen den Kindern viel mehr Zeit als Väter. © www.plainpicture.com

Von Alexandra Zykunov

Frauen können doch arbeiten, Männer gehen doch in Elternzeit, wir hatten doch jetzt 16 Jahre eine Kanzlerin – was wollt ihr denn noch alles?

Viele solcher Aussagen sammeln sich in meinem Mailfach, sammeln sich in den Kommentarspalten der Zeitungen oder werden hier und da auf Familienfeiern fallen gelassen. Viele solcher Sätze erreichen seit Jahren auch mich, so viele, dass ich 25 von ihnen in meinem Buch "Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!" sammeln musste – um sie dort zu zerlegen.

Und es klingt ja auch so schön plausibel, so naheliegend, so einfach: "Was regt ihr euch eigentlich so auf, wir sind doch schon alle längst gleichberechtigt." Wodurch dieser Bullshitsatz in Bezug auf die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Grunde der größte und gefährlichste von allen ist. Warum? Weil er einen Missstand verschleiert, weil er das Patriarchat verschleiert, weil er so tut, als wäre die Diskriminierung gar nicht mehr da – und damit werden alle Menschen, die auf diesen Missstand hinweisen, automatisch diskreditiert.

Bemuttern - warum nicht bevatern?

Was an diesem Satz aber so falsch ist? Oder: Was man darauf ein für alle Mal antworten kann? Das sage ich euch gern. Hier kommt sie, die absolute Zerlegung dieses Satzes, zum Ausreißen, Auswendiglernen und zum Fußgängerzonen-damit-Zupflastern. Wir sind also alle längst gleichberechtigt? Ich habe da mal was vorbereitet:

95,4 Prozent dieser Mütter nehmen mehr als zehn Monate.

7,6 Prozent aller Väter nehmen mehr als zehn Monate.

Die obligatorischen zwei Monate nehmen 75,4 Prozent der Väter.

Wie viele Mütter nehmen nur zwei Monate? 0,7 Prozent.

Bei einem heterosexuellen Paar, 34 Jahre alt, mit Kindern, care-arbeitet ein Mann heute pro Tag 2 Stunden 31 Minuten, eine Frau 5 Stunden 18 Minuten. Das ist einCare-Arbeits-Gap von 110,6 Prozent.

Frauen haben im Verlauf der Corona-Wellen immer mehr Kinderbetreuung übernommen, der Wert stieg kontinuierlich von 52 Prozent im April 2020 auf 69 Prozent im Juli 2021. Die Verantwortlichkeit der Väter sank im gleichen Zeitraum von sowieso schon niedrigen 12 Prozent auf schlappe 7.

Der Ökonom Hans Rusinek geht davon aus, dass der Gender-Pay-Gap nicht bei den offiziellen 19 Prozent liegt, sondern dass durch all die Gelder, die Frauen durch die umsonst geleistete Care-Arbeit durch die Lappen gehen, die Lücke zwischen Männern und Frauen eigentlich bei rund 45 Prozent liegt.

58 Prozent aller Väter gehen gar nicht in Elternzeit. Nur 2 Prozent aller Mütter gehen nicht in Elternzeit.

Von den Professuren an deutschen Hochschulen sind 75 Prozent von Männern besetzt.

Unter den zehn größten überregionalen Zeitungs- und Nachrichtenredaktionen befinden sich in den Chefpositionen zu 75 Prozent Männer.

Es gibt das Wort "bemuttern", aber nicht "bevatern".

30 Prozent der Männer haben absichtlich zwei linke Hände

Mütter müssen rund ein Drittel mehr Bewerbungen schreiben, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, als Frauen ohne Kinder. Männer werden genauso oft zu Gesprächen eingeladen, völlig egal, ob sie Kinder haben oder nicht.

Unter allen OECD-Ländern tragen die Frauen in Deutschland mit 22,4 Prozent am allerwenigsten zum Familieneinkommen bei und sind damit OECD-Schlusslicht. Mehr als 60 Prozent aller Mütter hierzulande arbeiten in Teilzeit, bei den Vätern sind es weniger als 10 Prozent.

Nur etwa zwölf Prozent aller Mütter, die nicht erwerbstätig sind, haben sich freiwillig dafür entschieden. Und: Nur 12 Prozent der Mütter, die Teilzeit arbeiten, gaben an, dass sie das freiwillig tun.

30 Prozent der Männer in Partnerschaften gaben an, bei der Hausarbeit absichtlich schlecht zu performen, um hinterher damit nicht noch mal belästigt zu werden.

Es gibt das Wort "verbrüdern", aber nicht "verschwestern".

Unter verheirateten Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren haben nur 6 Prozent ein eigenes Nettoeinkommen von mehr als 2000 Euro.

63 Prozent aller verheirateten Frauen zwischen 30 und 50 haben ein Einkommen von weniger als 1000 Euro netto.

Bei Kika, Super RTL, Nickelodeon und Disney Channel sind 72 Prozent der dort auftretenden Protagonist*innen männlich. Tierfiguren in Cartoonproduktionen sind zu 87 Prozent männlich, und selbst Fantasiepflanzen hören zu 88 Prozent auf männliche Namen.

Alleinerziehende Frauen verdienen 1873 Euro netto, alleinerziehende Väter 2461 Euro netto. Gleichzeitig leben in neun von zehn Trennungsfällen die Kinder bei der Mutter.

Berechnungen zeigen, dass 70 bis 80 Prozent der getrennten Väter, die angeben, kein Geld für Unterhalt zu haben, diesen sehr wohl aufbringen könnten, sich aber "arm" rechnen.

Eine Frau mit Kind wird in ihrem Leben 40 Prozent weniger verdienen als ein Mann. Eine Frau mit drei Kindern verliert sogar fast 70 Prozent ihres potenziellen Vermögens. Bei Männern wirken sich statistisch gesehen Kinder weder auf ihr Gehalt noch auf das Vermögen aus.

52 Prozent der Väter geben an, dass sie weniger arbeiten wollen, aber nur 6,9 Prozent tun das auch.

Frauen mit Kindern werden vom Arbeitsmarkt systematisch unterdrückt, diskriminiert, degradiert und schlechter bezahlt als Frauen ohne Kinder.

Männer mit Kindern verdienen hingegen sogar mehr als Männer ohne Kinder.

Eltern verbringen mehr Zeit damit, mit Jungs über Geldanlagen zu sprechen, als mit Mädchen. Söhne bekommen hierzulande elf Prozent mehr Taschengeld als Töchter.

Frauen verhandeln ihre Gehälter genauso oft wie Männer – nur blitzen sie öfter ab.45 Prozent der Väter geben an, dass sie sich eine partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung wünschen, nur 17 Prozent machen das auch so.

Bei mehr als 100 fiktiven Bewerbungen von Gleichqualifizierten auf Ausbildungsplätze schneiden Frauen um eine ganze Schulnote schlechter ab.

58 Prozent der Teenagermädchen gehen heute davon aus, später für die Familie im Beruf deutlich kürzerzutreten, während es bei den Jungs 16 Prozent sind.