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So wird Dresden zur Leinwand

Lobbyarbeit von der Elbe für Europa: Die AG Kurzfilm wird 20 Jahre alt und lädt Bürgerinnen und Bürger zum filmischen Stadtrundgang.

Von Oliver Reinhard
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Wird auch "Salidas" in Dresden gezeigt? Passen würde es: Der Film erzählt mit den Mitteln des Flamenco vom Leben und Sterben in einer Industrieruine in Ostdeutschland.
Wird auch "Salidas" in Dresden gezeigt? Passen würde es: Der Film erzählt mit den Mitteln des Flamenco vom Leben und Sterben in einer Industrieruine in Ostdeutschland. © Foto: AG Kurzfilm

Ein bisschen subversiv klingt das schon: Am Montag reiste eine Hamburger Künstlertruppe in Dresden an und machte sich insgeheim auf die Suche nach geeigneten Wänden für ihre Kunst. Was verdächtig nach Spraydosen und Graffiti riecht, ist tatsächlich ungleich rückstandsloser: „A Wall is a Screen“ heißt die Künstlergruppe und heißt ihr Prinzip: Wo sie hinkommt, macht sie Wände und Fassaden zur Leinwand für Kurzfilme, spielt damit, nimmt Untergrund und Umgebung ins Motiv auf. Ist der Film zuende, geht es weiter zur nächsten Station des kurzfilmerischen Stadtrundgangs.

Es wird der Höhepunkt sein einer runden Jubiläumsfeier: Am Dienstag vollendet die in Dresden ansässige AG Kurzfilm ihr 20. Lebensjahr. Was ihre Bestimmung ist? „Unermüdlich macht sich die AG Kurzfilm von Dresden aus für die Interessen der Kurzfilmschaffenden in ganz Deutschland stark.“ So sieht es die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth.

Überall in Deutschland zeigt die Hamburger Künstlergruppe "A Wall is a Screen", dass tatsächlich Wände und Fassaden zu Leinwänden werden können.
Überall in Deutschland zeigt die Hamburger Künstlergruppe "A Wall is a Screen", dass tatsächlich Wände und Fassaden zu Leinwänden werden können. © Claudia Hoehne

Unter dem Dach der AG organisiert sind Filmfestivals, Film- und Kunsthochschulen, Verleih- und Vertriebsunternehmen sowie Institutionen der Film- und Kinoszene. Sie vertritt national und international den deutschen Kurzfilm, verknüpft die Branche mit der Politik, organisiert mit der Kurzfilmtour und dem bundesweiten Kurzfilmtag am 21.12. zwei aufwendige und beliebte Events, sie ist die Lobby-Institution für den Kurzfilm schlechthin.

„Dem Kurzfilm, diesem experimentierfreudigen, facettenreichen, ausdrucksstarken Format, haben wir nicht nur herausragende Nachwuchstalente zu verdanken“, sagt Claudia Roth in ihrer Glückwunschadresse. „Sondern auch die Fortentwicklung der Filmkultur in Deutschland.“ Dass ausgerechnet Dresden die Ehre zuteil wurde, Sitz der AG zu werden, wird gerne erklärt mit der langen Kurzfilmtradition der Stadt vor allem durch das einst hier ansässige Defa-Trickfilmstudio und dem Dresdner Kurzfilmfestival.

Bundeskulturministerin Claudia Roth würdigt das Wirken der Dresdner Ag Kurzfilm.
Bundeskulturministerin Claudia Roth würdigt das Wirken der Dresdner Ag Kurzfilm. © Archiv/Michael Kappeler/dpa

Tatsächlich mischte auch der Zufall mit. Als die Politik um die Jahrtausendwende einen konkreten Ansprechpartner für den deutschen Kurzfilm wünschte, dachte man beim Standort „zunächst an die Branchen-Städte Oberhausen oder Hamburg und aus politischen Gründen an Berlin“, erinnert sich Jutta Wille, Geschäftsführerin der AG. Entscheidend war aber eine Personalie. Und eine Geburt.

2002 kam die ehemalige (und heute erneute) Leiterin des Dresdner Filmfestes aus dem Mutterschaftsurlaub zurück und hatte außer Zuwachs bekommen auch Zeit, Interesse und Ahnung vom Kurzfilm und seiner Branche. Das Filmfest stellte ihr in dessen Räumlichkeiten einen Schreibtisch zur Verfügung, eine erste Förderung von 9.000 Euro trudelte ein, so fing es an. Heute hat die AG längst ein eigenes Büro, fünf Angestellte und zwei Projektmitarbeiterinnen, beträgt das aktuelle Jahresbudget 850.000 Euro, alles in allem.

Das Filmfest Dresden gehört zu den wichtigsten Einrichtungen in Sachsen, die den Kurzfilm präsentieren und fördern.
Das Filmfest Dresden gehört zu den wichtigsten Einrichtungen in Sachsen, die den Kurzfilm präsentieren und fördern. © Olaf Berndt

Eine leuchtende Karriere also? „Unser größter Erfolg ist, dass wir seit 20 Jahren immer noch da sind und unsere Arbeit machen können“, sagt Jana Cernik, die sich mit Jutta Wille die Geschäftsführung teilt. „Der Kurzfilm steht nicht an oberster Stelle bei der deutschen Filmförderung und Filmpolitik. Cernik spricht sogar von „struktureller Ausgrenzung“, was ihre Kollegin Wille bestätigt: „Die gesamte Förderpolitik ist am traditionellen langen Spielfilm ausgerichtet, auch die Dokumentarfilmbranche leidet darunter.“ Für das Engagement in Sachen Kurzfilm, ergänzt Jana Cernik, „brauchst du einen langen Atem“.

Schon das Label „Kurzfilm“ macht die Sache nicht eben einfach. In manchen Ohren klingt die Vorsilbe „kurz“ gegenüber dem Nur-Film leichter, luftiger, also letztlich unerheblicher und irrelevanter. „Das sind Dramen, Tragödien, Komödien wie längere Filme auch“, sagt Jutta Wille, zumal die Werke laut den Kriterien des deutschen Kurzfilmpreises „bis 78 Minuten“ dauern dürfen. Insofern ist diese Kategorisierung zwar nicht als Stigma beabsichtigt, „sie wirkt aber so“, fürchtet Wille. „In keiner anderen Kultursparte gibt es das. In der Malerei wird ja auch nicht zwischen der Wertigkeit von großformatigen und kleinformatigen Gemälden unterschieden.“

Das Dresdner Team der AG Kurzfilm (v. l.): Greta Markurt, Franziska Kache, Felix Völkel, Anne Turek, Jutta Wille, Lisa Hering, Jana Cernik. Ebenfalls im Team, aber nicht im Bild: Romy Stein.
Das Dresdner Team der AG Kurzfilm (v. l.): Greta Markurt, Franziska Kache, Felix Völkel, Anne Turek, Jutta Wille, Lisa Hering, Jana Cernik. Ebenfalls im Team, aber nicht im Bild: Romy Stein. © AG Kurzfilm

Dass die Lobby-Arbeit der AG Kurzfilm trotz aller Herausforderungen Früchte trägt, ist unübersehbar. In vielen Städten haben engagierte Kinos ihre Programmfenster für den Kurzfilm geöffnet, die Kosten werden zu 80 Prozent vom Bund subventioniert. Nur die Großkinos fallen noch weg, weil bei inzwischen regulären Filmlängen von über zwei Stunden plus eine halbe Stunde Werbung einfach kein Platz mehr bleibt. Auch einige wenige TV-Sender gönnen dem Kurzfilm kleine Biotope, beim Mitteldeutschen Rundfunk heißt das Magazin „Unicato“.

Überhaupt gehört Sachsen zu den Ländern, in denen man sich recht liebevoll um den Kurzfilm kümmert. Beim Leipziger Dokfest, dem Neisse-Filmfest im Dreiländereck und dem Dresdner Filmfest sowieso gehört er fest zum Programm. Das größte Kino-Open-Air Deutschlands zeigt seit Jahren am Dresdner Elbufer jeden Sommer vor ausgewählten Haupt- entsprechend ausgewählte Kurzfilme. An einem Kinoabend pro Saison gibt es sogar nur sie bei den Filmnächten. „Auch der Kurzfilmtag und die Kurzfilmtour haben immer tolle Besucherzahlen in Dresden“, sagt Jutta Wille. Gut möglich also, dass auch der filmische Stadtrundgang „A Wall is a Screen“ am Dienstagabend vor lauter Mitgängerinnen und Mitgängern zur Demo für den Kurzfilm wird.