SZ + Feuilleton
Merken

Wagner und das Kanzleramt

Angela Merkel in Bayreuth – das war selbstverständlich. Ein Blick in die Festspiel-Historie zeigt: Ihre Amtsvorgänger zog es nicht hierher.

 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Frau Merkel und Herr Sauer jüngst beim Start der diesjährigen Festspiele
Frau Merkel und Herr Sauer jüngst beim Start der diesjährigen Festspiele © dpa

Von Kathrin Zeilmann

Es hatte Tradition: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begann ihren Sommerurlaub mit einem Besuch bei den Richard-Wagner-Festspielen. Selbst ihr Mann Joachim Sauer, der die Öffentlichkeit eher mied, begleitete sie nach Bayreuth. Wenn ihre Amtszeit nun bald endet – wird also auch ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin fest den 25. Juli für eine Reise zur Hochkultur nach Franken einplanen? Wer auch immer es ins Kanzleramt schafft, die Einladung aus Bayreuth wird wieder verschickt werden. Der Bundeskanzler oder die Kanzlerin werde von der Stadt Bayreuth grundsätzlich jedes Jahr zur Festspiel-Eröffnung eingeladen, betont eine Rathaus-Sprecherin.

Die Nazi-Zeit wirkte lange nach

Als große Wagner-Enthusiasten sind bislang weder die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) noch die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Erscheinung getreten. Daher ist es gut möglich, dass die Festspiele künftig wieder ohne Kanzler oder Kanzlerin eröffnet werden. Denn vor Merkels Amtszeit war das üblich. Die Regierungschefs machten einen Bogen um Bayreuth. Gerhard Schröder (SPD) wollte 2002 lediglich als Privatmann die Arbeit seines guten Freundes Jürgen Flimm in Bayreuth begutachten, der damals den „Ring des Nibelungen“ inszeniert hatte. Wegen innenpolitischer Turbulenzen sagte er aber ab.

Ein Jahr später kam er in Begleitung des damaligen japanischen Premierministers Junichiro Koizumi – aber erst am 18. August, eine Woche vor dem Festspiel-Finale. Schröder war damit der erste amtierende Regierungschef der Bundesrepublik, der eine Festspiel-Aufführung besuchte. Bundespräsidenten waren deutlich häufiger in Bayreuth zu Gast, so etwa Richard von Weizsäcker, der 1993 mit Michail Gorbatschow Wagner-Klängen lauschte.

Um die lange währende Distanz der Kanzler zum Bayreuther Wagner-Spektakel zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte. Der Nationalsozialismus und die Wagners – es war eine unheilige Allianz. Hitler war Dauergast bei den Festspielen.

Dann kam die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Die Festspiele starteten danach 1951 wieder. Die Idee vom unpolitischen und ganz der Kunst verschriebenen „Neubayreuth“ der Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang sollte die tiefen Verstrickungen der Festspiele und der Familie Wagner mit dem Nazi-Regime übertünchen. Was freilich nicht so ohne Weiteres funktionierte.

In seinem Buch „Richard Wagner und die Deutschen“ schreibt der Historiker Sven Oliver Müller, dass die glühende Hitler-Verehrerin Winifred Wagner, Wielands und Wolfgangs Mutter, auch nach dem Neustart der Festspiele „Prominente der NS-Zeit“ nach Bayreuth eingeladen hatte. Sie hätten „allein durch ihre selbstverständliche Präsenz den von der neuen Leitung angeblich vollzogenen Traditionsbruch infrage“ gestellt.„Hochrangige Bundespolitiker mieden das Forum aus diesem Grund lange Zeit“, so Müller. Der erste amtierende Bundespräsident in Bayreuth war demnach Gustav Heinemann 1969. „Bis ein amtierender Bundeskanzler es wagte, an die Wallstatt des Reichskanzlers Hitler zu kommen, verging noch mehr Zeit“, so Müller. „Die Sorge um Assoziationen mit den Bildern von Hitlers Besuchen der Festspiele hat sich erst in den 1990er-Jahren aufgelöst.“

Merkel bleibt auf Dauer Ehrengast

Wenn heute Promis aus Politik und Gesellschaft über den roten Teppich schreiten, denken wohl die wenigsten an die dunkle Vergangenheit. Bei Angela Merkel kann man davon ausgehen, dass es ihr an den Tagen in Bayreuth um die Oper ging und weniger um die Politik. Auch wenn die viel beachtete Eröffnungspremiere vorbei war, sah man sie noch bei weiteren Aufführungen im Festspielhaus. Und sie wird auch als Ex-Kanzlerin eine Einladung der Stadt Bayreuth zu den Festspielen bekommen. (dpa)