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Ärger am Leipziger Flughafen

Die Erweiterung des Drehkreuzes von DHL stößt auf Widerstand. Seit die Ausbaupläne publik sind, wehren sich Anwohner zunehmend selbstbewusst.

Von Sven Heitkamp
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DHL braucht mehr Platz am Leipziger Flughafen.
DHL braucht mehr Platz am Leipziger Flughafen. © imago images

Anfang Juli herrscht am Leipziger Flughafen Alarmstimmung. Am ersten Sonntag funkt ein Kleinflugzeug mit technischen Problemen „Mayday, Mayday!“ Am Boden wird Alarm ausgelöst, die Feuerwehr rückt zur Landesicherung an. Doch die Sache geht noch einmal gut aus. Die private Maschine kann aus eigener Kraft zurückfliegen und landen, niemand wird verletzt. „Aus der Perspektive der Flugsicherheit wurde alles reibungslos abgewickelt“, sagt ein Sprecher der Deutschen Flugsicherung, der den Vorfall bestätigt.

Für die Retter ist der Ablauf Routine. Für den Piloten wahrscheinlich nicht. Am Steuerknüppel, so wird am Flughafen kolportiert, soll ausgerechnet DHL-Manager Markus Otto gesessen haben. Der Konzern äußert sich dazu nicht. Am Flughafen wird indessen angedeutet, dass es sonst gerade die DHL-Spitze sei, die auf einen störungsfreien Ablauf der Express-Sendungen großen Wert legt.

Immerhin ist der Hub in Schkeuditz das weltweit größte Drehkreuz der DHL-Familie: Der gelbe Riese schlägt in Leipzig nach eigenen Angaben bis zu 150.000 Pakete pro Stunde um und absolviert 23.600 Flugbewegungen pro Jahr. Da passe die Geschichte mit dem Kleinflugzeug nicht ins Bild.

Schwimmhalle als Entschädigung?

Fünf Tage später kommt es zu einer neuen Störung, diesmal von außen. Mehr als 50 Klimaaktivisten der Gruppe „Cancel LEJ“ blockieren eine Zufahrtsstraße zum Airport, entrollen Transparente und fordern einen Stopp des geplanten Flughafenausbaus, mehr Klimagerechtigkeit und Nachtruhe für die Anwohner. DHL reklamiert postwendend einen Millionenschaden und meldet Ansprüche an. Zwischenzeitlich heißt es, sogar Impfstoff-Lieferungen seien liegengeblieben.

Ein Vorwurf, der kurz darauf zurückgenommen wird. Mittlerweile steckt DHL noch weiter zurück. Die in der Blockade-Nacht zirkulierende Schadenssumme in Millionenhöhe sei nur eine Schätzung des möglicherweise drohenden Schadens gewesen. „Durch flexibles Reagieren konnten wir einige Verkehre umleiten und zusätzliche Maßnahmen ergreifen, sodass weitere Verspätungen und Kosten vermieden werden konnten“, erklärt Konzernsprecher Hans-Christian Mennenga auf Nachfrage. Die Entscheidung, ob DHL den entstandenen Schaden geltend macht, stehe noch aus.

Die zunehmenden Konflikte fallen in eine Zeit, in der der geplante 500-Millionen-Ausbau des Flughafens auf wachsenden Unmut trifft. Geplant ist, für DHL das Vorfeld der Start- und Landebahn Süd um 66 Hektar zu erweitern. Die Zahl der Stellplätze für Frachtflieger soll – je nach Größe der Maschinen – von 60 auf bis zu 96 wachsen. Die Nachtflüge zwischen 22 und 6 Uhr könnten von 20.000 im Jahr auf 28.000 steigen. Doch das Projekt sorgt für Spannungen am Flughafen und in der Region. Vor gut 15 Jahren war die DHL-Ansiedlung noch als Jobmaschine für die „Armutshauptstadt“ Leipzig gefeiert worden. Seinerzeit konnte der Logistikkonzern die Bedingungen für die Nutzung und die Gebühren des Flughafens in einer Rahmenvereinbarung mit dem Freistaat weitgehend diktieren.

4.000 Einwände und eine Online-Petition

Doch die frühere Harmonie der Region mit ihrem Flughafen schwindet unter dem Eindruck von Fluglärm, Luftverschmutzung und Klimadebatte. Und der Konzern stößt heute auf ein größeres Selbstbewusstsein der boomenden Region: Bürgerinitiativen laufen Sturm gegen den Ausbau und kündigen Klagen an, 4.000 Einwände und eine Online-Petition gingen gegen die Pläne ein. Auch die Umland-Kommunen bis nach Leipzig haben sich teils sehr kritisch geäußert und Nachbesserungen gefordert. Gleichzeitig setzte die Staatsregierung den ersten Fluglärmschutz-Beauftragten Sachsens ein, wenn auch erst nach mehr als zwei Jahren.

Der Schkeuditzer Oberbürgermeister Rayk Bergner (CDU) verfolgt das Geschehen in direkter Nachbarschaft. „Die Entwicklung des Flughafens tut der Region sehr gut“, betont er. „Aber es gibt auch Nebenwirkungen, die eine Herausforderung für die Menschen bedeuten. Deswegen muss man miteinander reden und zuhören.“ Bei Lärmschutzmaßnahmen etwa könne man mehr für Anwohner tun als gesetzlich vorgeschrieben. „Es ist eine andere Zeit“, sagt Bergner. „Die Menschen müssen mitgenommen werden.“ Viele Leute würden die Entwicklung nicht mehr so mittragen wie vor reichlich 15 Jahren.

Als eine Ausgleichsmaßnahme für Schkeuditz wünscht sich der Oberbürgermeister den Neubau einer Schwimmhalle, weil die alte Halle vor vielen Jahren abgerissen wurde. Doch dafür braucht er Unterstützung von DHL, Flughafen und Freistaat. Gespräche laufen.

Angesichts der Gemengelage wurde im Flughafen-Umfeld aufmerksam verfolgt, dass ausgerechnet DHL einen warnenden Hinweis an die Fluglärmkommission gegeben hatte. Dabei ging es um die lautstarken XXL-Frachter, die zur ukrainischen Antonow Airlines gehören. Die Beschwerde, die später zurückgezogen wurde, erging, als die Nordlandebahn des Airports wegen einer Sanierung geschlossen war. Kritiker vermuten, der gelbe Paketriese habe sich damit vor allem mehr Platz und freie Zeitfenster verschaffen wollen. DHL betont indes, der Antrag sei nur ein Hinweis zur Vermeidung von Emissionsbelastungen gewesen. „Einige Flugzeuge benötigen eine außerordentlich lange Zeit, um die volle Betriebsleistung ihrer Triebwerke zu erreichen“, schildert DHL-Sprecher Mennenga. „Geschieht dies auf der Startbahn oder den Taxiways kurz vor dem Start, müssen andere Flugzeuge unnötig lange warten.“

Leipzig ist als Start-Ort gefragt

Hinzu kommt die wachsende wirtschaftliche Konkurrenz in Schkeuditz. DHL ist dort nicht mehr alleiniger Platzhirsch, sondern ein großer Kunde unter vielen: Laut Flughafen steuern mittlerweile mehr als 80 Fracht-Airlines den Airport an. „Amazon Air“ hat in Leipzig sein erstes Luftfrachtzentrum für Europa aufgebaut und will deutlich wachsen. Der Umschlag des Online-Versandhändlers könnte in Zukunft die gleiche Größenordnung erreichen wie DHL, heißt es. Auch weitere großen Namen planen eine Ansiedlung. Nicht umsonst soll im Norden des Flughafens eine zweite „Cargo City“ entstehen.

Über allem schweben zudem die Verhandlungen um lärm- und emissionsabhängige Entgelte, die Flugzeuge mit hohem CO2-Ausstoß künftig stärker belasten und einen Nachtzuschlag berücksichtigen sollen. DHL dagegen würde laut Mennenga „die Kosten für eventuelle Zuschläge, die wir für den nächtlichen Betrieb aufzuwenden hätten, lieber in sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen investieren“. Der Konzern plant sieben Milliarden Euro Investitionen in klimaneutrale Logistik. Ein großer Teil soll in nachhaltigen Flugkraftstoff fließen. Von leiseren und effizienteren Maschinen ist allerdings noch nicht die Rede.