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An der Oper Leipzig stirbt Desdemona und gewinnt doch

Verdis „Otello“ wird konsequent als Kammerspiel inszeniert. Allerdings ist diesmal nicht Otello der Außenseiter.

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Er schlägt zu: Iulia Maria Dan und Xavier Moreno als Desdemona und Otello.
Er schlägt zu: Iulia Maria Dan und Xavier Moreno als Desdemona und Otello. © www.zenna.de

Von Jens Daniel Schubert

Gewandhausorchester, Opern- und Kinderchor sowie ausgesuchte Solisten bilden die stimmungsvolle Kulisse, den emotionalen Background für das große Eifersuchtsdrama zwischen Jago, Desdemona und Otello. Es zeigt sich, dass es ein Machtkampf unter Kriegern ist, in dem die Frau zum Opfer wird.

Erhellend ist das große Schlussbild der Leipziger Premiere vom Sonnabend. Die ermordete Desdemona erhebt sich und geht erhobenen Hauptes in Richtung Bühnenhintergrund. Vorbei an Otello, der selbstmitleidig um den verzeihenden, vergebenden, alles wieder begütigenden Kuss der Frau bettelt, den sie ihm verweigert.

Wer hier die Berichte von Frauen aus dem Iran, der Ukraine oder den sonst tobenden Kriegen im Hinterkopf hat, wird auch ohne demonstrativen Verweis die gesellschaftliche Dimension der Tragödie dieser gescheiterten Liebesbeziehung sehen. Die auch musikalisch mitreißende Interpretation, geleitet von Christoph Gedschold, hat das Publikum begeistert.

Jago (Vladislav Sulimsky, l.) legt Otello (Xavier Moreno) falsche Fährten.
Jago (Vladislav Sulimsky, l.) legt Otello (Xavier Moreno) falsche Fährten. © Kirsten Nijhof

Verdis Oper „Otello“ beginnt ohne Vorspiel. Der Chor beschreibt einen Sturm, in dem die siegreiche Flotte des Feldherren Otello in Sichtweite des heimatlichen Hafens zu zerschellen droht. Leipzigs Regieteam hat dieser Szene Desdemona entgegengestellt. Die weiß gekleidete, junge Frau mit der ungezähmten roten Haarpracht erkennt, dass Otello den Glauben an sie verloren hat. Ihm ist das heimtückisch verlogene Wort des Mitkriegers Jago glaubwürdiger. Sein Besitzdenken macht ihn bereit, sie zu opfern.

Der Chor, in blaugrauem Einheitskostüm quasi Teil des Bühnenbildes, wankt und wogt, ist das rauschende Meer, der todbringende Sturm. Doch nicht Otellos Schiff, sondern die mittendrin eingeschlossene Frau droht unterzugehen.Dirk Becker hat einen weitläufig abstrakten Raum geschaffen, durchlässig mit drei wählbaren Ausgängen oder grauschwarz abgeschlossen, ohne die Chance zu entrinnen.

Der lichte Raum aus weißen Schleiern, in dem Otello und Desdemona sich als Liebende begegnen, in dem kurzzeitig die Utopie einer wirklichen Gemeinsamkeit gegenseitigen Erkennens und Verstehens möglich ist, weht flüchtig in dieses unentrinnbare Schwarz. Differenzierter Licht- und Videoeinsatz geben den Räumen Atmosphäre und Bedeutung.

Andrea Schmidt-Futterer kleidet die Figuren fast einheitlich in Hosenröcke, darüber Jacketts oder Mäntel. Der Chor ist durchweg graublau, die Offiziere in Khaki, die Mäntel knallrot gefüttert. Nur Desdemona wechselt die Kleider. Hell, weiß, anschmiegsam fließend wie das bestickte Tuch, das zum Requisit der Intrige wird.

Desdemona ist Fremdkörper in einer uniformierten Welt

Desdemona ist der Fremdkörper in dieser uniformierten Welt, nicht Otello, hier der Maure und nicht Mohr. Die ursprüngliche Konstellation zwischen etabliert und aufstrebend, zwischen venezianischer Gesellschaft und fremdem Außenseiter, zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sozialisierung, gerät in den Hintergrund. Die Interpretation ist von jeder realistischen Bindung an Raum und Zeit gelöst.

Wie im Brennglas konzentriert sich Regisseurin Monique Wagemakers auf die drei Protagonisten. Sie macht aus dem Eifersuchtsdrama die Konfrontation gänzlich verschiedener Weltsichten. Sehr genau werden die Figuren geführt, Geschichten ihrer Beziehungen erzählt und die dahinterstehenden Haltungen entlarvt. Selbst in der großen Liebesszene ringt Desdemona, folgt man den deutschen Übertiteln, um Verständnis und Miteinander, während Otello nach Bestätigung seiner selbst sucht.

Xavier Moreno singt den Otello mit Kraft und Ausdrucksstärke, ist ein im Ego gefangener Held. Vladislav Sulimsky gibt den Antipoden Jago. Ein Kämpfer, dessen Credo ist, keinen Glauben zu haben. Großartig bringt er zum Klingen, dass seine Bösartigkeit kein persönlicher Makel ist, sondern konsequent einer gesellschaftlichen Norm, siegen oder besiegt werden, folgt. Die beiden Männer zelebrieren die Pose unverbrüchlicher Männerfreundschaft im triumphalen Klang, doch der Zuschauer weiß um die Falschheit.

Dagegen ist Julia Maria Dan eine zarte, zerbrechlich wirkende Desdemona, die diese Partie atemberaubend meistert. Sie hat kraftvolles Durchsetzungsvermögen ebenso wie werbende Lyrismen und zarte, anrührende Unschuld im Ton. Eine Frau, die für sich einnimmt, nie geschlagen ist, berührend stirbt und letztlich Zeichen von Hoffnung trägt. Toll.

Wieder am 21. 12. und 4., 8., 13. und 28. 1. sowie Februar und März; Kartentelefon: 0341/1261261