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Wie der Maler Werner Tübke einen Hauch Italien in die DDR brachte

Werner Tübke, einer der Malerfürsten in der DDR, liebte Italien, bereiste das Land der Sehnsucht. Seine manieristische Malerei war in der Diktatur durchaus ein Statement.

Von Sarah Alberti
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Werner Tübke am 16. August 1983 bei der Arbeit am Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen.
Werner Tübke am 16. August 1983 bei der Arbeit am Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen. © Bauernkriegsmuseum Bad Frankenha

Das Leipziger Museum der bildenden Künste zeigt ab 7. März die Ausstellung „Tübke und Italien“. Der Kunsthistoriker Frank Zöllner spricht im Interview über Tübkes Italienliebe und darüber, wie er sie in der DDR ausleben konnte. Von 1996 bis 2023 war er Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Universität Leipzig und Direktor des dortigen Instituts für Kunstgeschichte. Von 1988 bis 1992 arbeitete er an der Bibliotheca Hertziana in Rom.

Herr Zöllner, 1971 hatte Werner Tübke eine Einzelausstellung in einer Galerie in Mailand. Wie kam es dazu?

Der Mailänder Galerist Emilio Bertonati hatte Interesse an Kunst, die nicht dem westeuropäischen Mainstream entsprach. Also ist er in die DDR gefahren und nahm Kontakt mit dem Ministerium für Kultur auf. Im Jahr 1970 stellte er Lea Grundig, Volker Stelzmann und Ulrich Hachulla aus und stieß darüber auf die Werke von Werner Tübke.

Der Leipziger Maler Werner Tübke (1929 - 2004)
Der Leipziger Maler Werner Tübke (1929 - 2004) © PICTURE POINT

Welche Bilder wurden damals ausgestellt?

Das Ministerium für Kultur wollte vor allem politische Historiengemälde ausgestellt wissen, etwa zur Arbeiterbewegung. Am Ende wurden vor allem die von Tübke gewünschten Werke ausgewählt: Zum einen manieristisch angehauchte Aktstudien und Strandbilder, die in Zingst an der Ostsee entstanden bzw. von da inspiriert sind. Tübke hat sich zudem früh für die Kontinuität des Faschismus in Westdeutschland interessiert. Diese Thematik verhandelte er in der Gemäldeserie „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“, die 1971 in Italien präsent war. Einige diese Bilder sind auch jetzt bei uns in der Ausstellung vertreten.

Wie wurde die Ausstellung in Italien aufgenommen?

Es war eine sehr erfolgreiche Ausstellung, die für Tübke einen großen Karrieresprung bedeutete. Es war seine bis dahin größte Einzelausstellung mit 38 Gemälden sowie 186 Aquarellen und Grafiken. Die italienische Anerkennung hat ihm sowohl in der DDR als auch in der BRD einen Reputationsschub verliehen.

Werner Tübke, "Der Mensch – Maß aller Dinge, Entwurfsfassung 1975, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 66 x 136 cm, mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Sammlung Ludwig, Aachen
Werner Tübke, "Der Mensch – Maß aller Dinge, Entwurfsfassung 1975, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 66 x 136 cm, mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Sammlung Ludwig, Aachen © MdBK , © VG Bild-Kunst Bonn, 2024

Das Maß aller Dinge

Warum hatte das Ministerium für Kultur Interesse an dieser Ausstellung?

Zum einen wegen der erwartbaren Deviseneinnahmen, zum anderen wegen des Propaganda-Effekts. Im Katalog zur Ausstellung hat ein anonymer Schreiber des Ministeriums für Kultur seine spätstalinistische Vorstellung von Kunst ausgebreitet. Was er da schreibt, hat nichts mit den Werken zu tun. Der italienischen Kritiker Roberto Tassi hingegen beschreibt die Bilder in seinem Text euphorisch und referiert sehr genau deren Bedeutung.

Tübke war nach 1971 mehrfach in Italien. Was faszinierte ihn so an dem Land?

Das ist schwer zu beantworten, denn Tübke hat sich anders als Goethe überraschend wenig zu Italien geäußert. Und dass, obwohl er allein zwischen 1971 und 1980 sechsmal da war. Er kannte Leute auf Sizilien und auf Capri. Tübke dachte auch, er sei die Fleischwerdung eines italienischen Künstlers aus der Renaissance.

Ist das belegt?

Ja, mehrfach. Er kam in eine toskanische Landschaft und meinte: „Hier war ich schon einmal!“ Das ist auch eine Art Verweigerung der Gegenwart.

Vom italienischen Manierismus inspiriert

Hatten Tübkes Italien-Reisen Einfluss auf seine Arbeit in der DDR?

Der erste Italienaufenthalt hat sich auf sein erstes großes Wandbild „Arbeiterklasse und Intelligenz“ ausgewirkt, das formal vom italienischen Manierismus inspiriert ist. Er hatte dieses Bild vor seiner Italienreise im Frühjahr 1971 begonnenen und zwei Jahre später vollendet. Es sind bestimmte Bewegungsfiguren, die in der Art italienischer oder Florentiner Manieristen gemacht sind. Man erkennt die Farbigkeit und Figürlichkeit und ein bisschen Veronese. Aber es gibt kein Gemälde, das eindeutig als Vorbild fungierte.

Welchen aktuellen Anlass gibt es jetzt für die Ausstellung?

Die vor 20 Jahren gegründete Tübke-Stiftung hatte schon lange den Plan für eine Ausstellung, die aber immer wieder verschoben werden musste, auch aufgrund der Pandemie. 2022 sind die Bestände der Stiftung ins Museum der bildenden Künste gewandert, weil deren Aufbewahrung im Dachgeschoss der Tübke-Villa in Leipzig konservatorisch nicht zu verantworten war. Museumsdirektor Stefan Weppelmann hatte die Idee für „Tübke und Italien“, die nun rund 50 Exponate umfasst, darunter Leihgaben aus dem Albertinum Dresden, der Hamburger Kunsthalle und den Uffizien in Florenz. Das Ganze ist in nur wenigen Monaten entstanden, auch weil es gute wissenschaftliche Vorarbeiten durch die Stiftung gab und weil Studierende des Instituts für Kunstgeschichte sich maßgeblich an der Sache beteiligt haben.

Welche Schwerpunkte setzt die Ausstellung?

Ausgestellt sind einige der Werke, die 1971 in Italien zu sehen waren. Am Beginn steht Tübke im Verhältnis zum idealen Italienbild: leuchtende Landschaften, Tempelruinen vor glühendem Himmel und schöne Menschen. Eine Leitidee ist das Detail: Bei den Werken Tübkes aus den 70er-Jahren sind dort die Widersprüche zu entdecken. Es gibt Bilder, in denen Tübke recht deutlich Gesellschaftskritik an den sozialen Verhältnissen in Italien und Sizilien äußert. Kurz darauf leugnete er das in Interviews und behauptet, er wollte keine politischen Bilder malen. Er zeigt eben nicht einfach das Elend der Arbeiterklasse und das Luxusleben der Großgrundbesitzer. Wenn man sich die Bilder genau anschaut, wird deutlich, dass es kein schlüssiges Gesamtbild ergibt. Das ist typisch für Tübke: Er schwelgt in einem detailversessenen Manierismus, einem Stil, der von Ambivalenzen und Widersprüchen geprägt ist.

Politische Bilder?

Werner Tübke, "Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten" (Ausschnitt), 1972, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 80 x 190 cm. Das Gemälde wurde aus dem Dresdner Albertinum für die Sonderschau nach Leipzig ausgeliehen.
Werner Tübke, "Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten" (Ausschnitt), 1972, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 80 x 190 cm. Das Gemälde wurde aus dem Dresdner Albertinum für die Sonderschau nach Leipzig ausgeliehen. © Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, © VG Bild-Kunst Bonn, 2024 Foto: MdBKMdBK

Hat er diesen Stil gewählt, um durch die Form inhaltliche Aussagen zu treffen?

Seine Wahl des Manierismus ist eine Stilentscheidung, der er sich nachweislich bewusst war. Manierismus ist für einen Künstler, der in der Diktatur arbeitet, ein Statement. Die DDR-Kunstgeschichtsschreibung hat sich beispielsweise gegen den Manierismus positioniert, weil sie in ihm einen spätbürgerlichen, dekadenten Stil sah. Für Tübke aber war der Manierismus sein persönlicher Idealstil. Er war, wie Roberto Tassi im Katalog zur Ausstellung von 1971 schreibt, der „Stil totaler Freiheit“. Er implizierte noch genug des Renaissance-Ideals, das der offiziellen Staats-doktrin entsprach, bot aber zugleich so viele Freiräume, dass man sich als Künstler gut darin einrichten konnte.

Der Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner
Der Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner © privat


Wann sind Sie Tübke zum ersten Mal begegnet?

Persönlich habe ich ihn nie kennengelernt. 1996, kurz vor meiner Berufung zum Professor für Kunstgeschichte an der Universität Leipzig, saß ich im Rektoratsgebäude direkt gegenüber dem Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“. Damals habe ich mir noch nicht viel dabei gedacht. Der Kunstkritiker Eduard Beaucamp hat mich später mit Brigitte Tübke und mit der Tübke-Stiftung bekannt gemacht. Ich habe in der Folge viele Abschlussarbeiten zu Tübke betreut. Dessen Italienneigung passt auch ganz gut zu meinen Vorlieben, denn ich habe selbst lange in Italien gelebt.

Was hat Tübke uns heute zu sagen?

Lernt sehen! Schaut euch die Kunst genau an! Und denkt darüber nach!

  • Ausstellung „Tübke und Italien“ vom 7. März bis 16. Juni im Museum der bildenden Künste Leipzig