Die Betreuung Sterbenskranker, die zu Hause gepflegt werden, hat sich in Sachsen in den letzten Jahren verbessert. Fast flächendeckend arbeiten rund um die Uhr Palliativteams. Laut der 2017 vom Sozialministerium beauftragten Hospizstudie und Gutachten fehlt es aber an Ärzten mit einer Zusatzausbildung in Palliativmedizin. Mit etwa 107 auf eine Million Einwohner nimmt der Freistaat im Bundesvergleich einen unteren Platz ein. Hausärztin Ute Hartenstein aus Weinböhla hat eine solche Ausbildung und dafür einen Kurs an der Dresdner Palliativakademie belegt. Im Gespräch mit der SZ sagt sie, warum ihr die Qualifikation wichtig ist – und welche Herausforderungen damit verbunden sind.
Frau Hartenstein, was heißt es eigentlich, palliativ tätig zu sein?
Das heißt, Patienten zu betreuen, die bedingt durch eine schwere Erkrankung nur noch eine kurze Lebenserwartung haben. Ihre Krankheit, ob es Krebs oder eine Immunerkrankung ist, kann ich als Ärztin nicht mehr heilen. Ich kann aber Symptome behandeln, Schmerzen lindern und so Schwerkranken das Leben erleichtern. Ich verordne Medikamente und medizinische Hilfsmittel. Da ich als Ärztin aber auch Patientenverfügungen beachten und danach Entscheidungen treffen muss, beispielsweise, ob Beatmung, Medikation oder künstliche Ernährung fortgesetzt werden sollten, ist die palliativmedizinische Qualifizierung dabei von großem Nutzen.
Viele Ihrer Kollegen fühlen sich durch ihre Ausbildung ausreichend für diese Aufgabe qualifiziert. Andere sagen, dass es sie zeitlich und psychisch zu sehr belastet. Warum war Ihnen die Zusatzausbildung so wichtig?
Ich habe trotz meiner internistischen Facharztausbildung durch die Weiterbildung viel dazugelernt und wage zu behaupten, dass dieses Spezialwissen nicht jeder Hausarzt hat. Die 120-stündige Qualifizierung hat mein Wissen zur medikamentösen Behandlung belastender Symptome erweitert. Ich kann nun besser einschätzen, wie und wann ich Schmerzen lindern kann. Ich habe mich mit juristischen Grundlagen und medizinethischen Aspekten bei der Palliativversorgung beschäftigt. Sterbebegleitung gehört zu unserem Beruf dazu. Das setzt voraus, dass der Arzt das Sterben als Teil des Lebens akzeptiert. Einige Ärzte sehen es möglicherweise als Versagen, wenn eine Heilung ausgeschlossen ist.
Das heißt, deshalb lehnen manche Ärzte eine solche Ausbildung ab?
Es fehlt zumindest oft der Ansporn. Und natürlich haben einige Hausärzte immer palliative Basisversorgung geleistet. Die Palliativmedizin als medizinisches Fach gibt es in Deutschland erst seit den 1980er-Jahren. Aber es gibt noch mehr Hürden.
Welche sind das?
Bis 2017 gab es für Hausärzte wenige Möglichkeiten, die ambulante Palliativversorgung abzurechnen. Aufwand und Verordnungskosten standen in keinem guten Verhältnis. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung wurden 2017 neue Leistungen und so Vergütungen für Ärzte aufgenommen. Allerdings muss die Kassenärztliche Vereinigung das genehmigen und setzt palliativmedizinische Qualifizierung des Arztes voraus. Das alles ist aufwendig. Bedenkt man, dass die Anzahl der intensiv zu betreuenden Palliativpatienten pro Hausarzt gering ist – bei mir zehn pro Jahr – sind diese Abrechnungen zu umfangreich. Hier hilft eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung durch ausgebildete Teams den Patienten besser, und es entlastet den Hausarzt. Der sollte sich mehr auf Patienten konzentrieren, bei denen chronisch fortschreitende Erkrankungen eine frühzeitige palliative Behandlung nötig machen. Auch hier ist palliativmedizinische Ausbildung nützlich, schon, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen, wann und ob stationäre Diagnostik und Therapie sinnvoll sind. Gut ist, dass die Palliativversorgung jetzt zur Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkassen gehört, was die Finanzierung sichert.
Die Anzahl alter Menschen, die an chronischen Krankheiten leiden, wächst. Der Bedarf nimmt also zu.
Das stimmt. Deshalb wird nicht nur für Ärzte, sondern auch für Pflegende eine Palliativausbildung wichtiger. In Senioreneinrichtungen sollten dafür Strukturen geschaffen werden. Selbst wenn es gute Beispiele gibt, ist flächendeckend in Sachsen noch viel zu tun. Das aber ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weil dafür mehr spezialisierte Betreuungskräfte nötig sind.
Müssen Schwerstkranke befürchten, nicht ausreichend versorgt zu werden?
Zumindest gibt es Lücken. Und im häuslichen Umfeld ist Intensivbetreuung oft schwer realisierbar, weil Angehörige oder Pflegedienste ohne Unterstützung an ihre Grenzen stoßen. Dann bleibt die Einweisung ins Krankenhaus, die den Wünschen der Patienten oft widerspricht. Die meisten Sterbenskranken wollen zu Hause bleiben.
Wie lässt sich das ändern?
Wichtig ist es, die Kommunikation zwischen den Ärzten zu verbessern. Hausärzte haben häufig Schwierigkeiten zu erkennen, dass sie an Grenzen stoßen. Hier sollten sie sich aber ohne Scheu Hilfe von Kollegen holen. Die Aufgaben zu koordinieren, miteinander zu reden und für die Patienten kurze Wege zu schaffen, erscheint mir sinnvoll. Das könnten integrative Palliativzentren leisten. Mein Wunsch ist es, ein solches aufzubauen und so die regionale Palliativversorgung zu verbessern. Dort könnten sich Ärzte besser austauschen, Angehörige und Patienten Hilfe erhalten.
Wie genau stellen Sie sich ein solches Zentrum für die Patienten vor?
Es sollte mehrere Angebote unter einem Dach vereinen – mit einer barrierefreien Hausarztpraxis als Anlaufpunkt. Für den Fall, dass eine Versorgung daheim nicht mehr möglich ist, müsste es einige Stationsbetten geben. Außerdem sind Schulungsräume für die Weiterbildung von Betroffenen, Angehörigen, Pflegern und Ärzten wichtig. Ich denke an „Letzte Hilfe“-Kurse und medizinethische Beratungen. So ließe sich die Patientenversorgung bündeln. Mit dem Zentrum sollten Sterben und Tod wieder Platz in der Gesellschaft finden und Ängste abgebaut werden. Das alles setzt finanzielle Unterstützung voraus. Meine Vision wäre, dass Palliativdienste in stationären Einrichtungen der Altenpflege etabliert werden. Auch das könnte über das Zentrum koordiniert werden. Für all das müssen sich Ärzte zusammenschließen.
Das Gespräch führte Gabriele Fleischer.