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"Ein Kreißsaal ohne stationäre Versorgung? Das geht nicht!"

Hebamme Anne Goldberg und ihre Kollegen in Ebersbach sind verunsichert nach Äußerungen von Landrat Meyer zur Zukunft des Kreißsaals. Fest steht: Bis mindestens Ende 2023 können Frauen hier entbinden.

Von Romy Altmann-Kuehr
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Die Zukunft des Ebersbacher Krankenhauses samt Geburtsstation und Kreißsaal ist momentan unklar.
Die Zukunft des Ebersbacher Krankenhauses samt Geburtsstation und Kreißsaal ist momentan unklar. © Matthias Weber/photoweber.de

Vier Kinder hat Anne Goldberg am Vortag zur Welt gebracht und eine Nachtschicht absolviert. Als Hebamme ist ihr Arbeitsplatz der Kreißsaal im Ebersbacher Krankenhaus. Und der ist seit Wochen in den Schlagzeilen - seit im Dezember Reformpläne des Kreises bei der Krankenhausstruktur öffentlich wurden. Die Kliniken in Zittau, Weißwasser und Ebersbach stehen unter Regie des Landkreises. Die Geburtshilfe steht demnach auf der Kippe, weil sie nicht mehr wirtschaftlich genug ist. "Rettet den Kreißsaal in Ebersbach-Neugersdorf" heißt eine von Ebersbacher Hebammen initiierte Petition, die über 17.500 Mal bisher unterschrieben wurde.

Erstaunlich liest sich da das Statement, das die Klinikleitung nun überraschend Anfang Februar herausgab: "Bereits veröffentlichte Berichte zur Schließung der Geburtshilfe am Standort Ebersbach sind nicht zutreffend! Der Kreißsaal steht nicht infrage!", heißt es.

Auch in der jüngsten Stadtratssitzung in Ebersbach-Neugersdorf blieb Landrat Stephan Meyer bei der Aussage, der Kreißsaal würde nicht geschlossen. "Das habe ich nie gesagt", so Meyer. Ebersbach-Neugersdorfs Bürgermeisterin Verena Hergenröder hatte ihn in den Stadtrat eingeladen, damit er zu den geplanten Strukturveränderungen bei den Krankenhäusern berichtet.

Über 660 Babys in Zittau und Ebersbach

Im Grunde hat Meyer recht, wenn er nun behauptet, dass von einer Schließung des Kreißsaals nicht die Rede war. Das steht tatsächlich so nicht im Beschluss, den er dem Kreistag vorlegte. Aber: In Hintergrundgesprächen mit Journalisten stellte er die Zahl von 500 Geburten pro Jahr in den Raum, ab der ein Kreißsaal erst wirtschaftlich sei. Diese Zahl erreichen weder Ebersbach noch Zittau einzeln. Was dieser Fakt nun konkret bedeutet für die Zukunft des Kreißsaals und wie die aussehen könnte, sagte Meyer noch nicht öffentlich. Angekündigt hatte er lediglich, dass der Standort Weißwasser künftig keine Geburtshilfe mehr haben soll. Hier wurden zuletzt nur rund 70 Kinder jährlich geboren.

In Ebersbach sind im vorigen Jahr 354 Babys zur Welt gekommen, in Zittau gab es 310 Neugeborene. Diese Zahlen nennt die Klinikleitung auf Nachfrage.

Hebamme Anne Goldberg bei der Stadtratssitzung in Ebersbach-Neugersdorf, wo Landrat Stephan Meyer zu seinen Krankenhausplänen sprach.
Hebamme Anne Goldberg bei der Stadtratssitzung in Ebersbach-Neugersdorf, wo Landrat Stephan Meyer zu seinen Krankenhausplänen sprach. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Frauen sollen Auswahl haben

Für Hebamme Anne Goldberg geht es bei der Geburtshilfe weniger um Zahlen. Laut Sozialgesetzgebung müssen Frauen eine Wahl haben, wo und wie sie gebären wollen, sagt sie. Da ist zum einen die Möglichkeit der Geburtshäuser. Im Raum Löbau-Zittau gibt es keines mehr. In Krankenhäusern gibt es Geburtshilfe mit angestellten Hebammen im Schichtsystem. Ist eine Schicht zu Ende, wechselt die Hebamme. Und es gibt das System der Beleghebammen im Krankenhaus, so wie in Ebersbach. Anne Goldberg und ihre Kolleginnen sind selbstständig und betreuen ihre eigenen Patientinnen im Kreißsaal. "Da bleibt die Hebamme auch zwölf Stunden da, wenn es ebenso lange dauert."

Würde der Ebersbacher Kreißsaal mit seinen Beleghebammen wegfallen, gebe es quasi gar keine Auswahlmöglichkeit mehr für die Frauen, so Anne Goldberg. "Es geht uns auch darum, diese Wahlmöglichkeiten aufrechtzuerhalten."

Genau das haben sie und ihre Kolleginnen Landrat Stephan Meyer erklärt, als er Mitte Januar das Gespräch mit den Ebersbacher Hebammen gesucht hat. "Es war ein sehr gutes, konstruktives Gespräch", so Anne Goldberg. Dennoch: Eine konkrete Aussage wie es mit dem Kreißsaal weitergeht, habe es nicht gegeben. Die Hebammen wissen nur: Bis Ende 2023 können sie erst einmal Schwangere annehmen.

Die Hebamme sagt zu den Äußerungen von Meyer, dass der Ebersbacher Kreißsaal nicht zur Debatte stünde, ganz deutlich: "Ein Kreißsaal kann aber nicht losgelöst von der stationären Versorgung in einem ambulanten Zentrum existieren." Man brauche eine Anästhesie vor Ort, die gynäkologische Station, Chirurgen, OP-Schwestern, das Labor. Ein ambulantes Zentrum ist aber genau das, was die Kreis-Führung sich für Ebersbach vorstellt. So steht es auch in dem Beschluss, den der Kreistag im Dezember behandelt hat. "Als ich das Wort Ambulanz gelesen habe, war mir sofort klar, dass es unter diesen Voraussetzungen keinen Kreißsaal geben kann. Ich weiß nicht, wie das gehen soll."

Unsicherheit zehrt an den Kräften

Das alles sorgt derzeit für Unsicherheit. Zum einen bei den Schwangeren. Einen deutlichen Abbruch kann die Hebamme derzeit noch nicht erkennen. Aber es sind hauptsächlich Mütter, die bereits ein Kind in Ebersbach entbunden haben, die weiterhin hierherkommen. "Die Erstgebärenden brechen uns weg", stellt die Hebamme fest. Sie seien eher verunsichert durch die öffentliche Debatte.

Und auch in anderen Geburtsstationen sorgt die unsichere Zukunft in Ebersbach für Aufruhr. Bautzner Hebammen hätten schon gesagt, dass sie das gar nicht mehr schaffen würden, wenn dann noch mehr Schwangere ins dortige Krankenhaus kämen.

Vor allem aber sind die Mitarbeiter auf der Geburtsstation selbst völlig verunsichert. "Es ist das Thema Nummer eins, jeden Tag begleitet uns das bei der Arbeit", erzählt Anne Goldberg. Das zehre an Nerven und Kräften. "Viel zuzusetzen haben wir alle nicht mehr." Es gibt aber auch geradezu kuriose Erlebnisse durch das ganze hin und her. So hat sich erst kürzlich eine Hebamme in Ebersbach beworben. Sie hatte durch die Medienberichte erfahren, dass die Hebammen hier in der 1:1-Betreuung mit den Schwangeren arbeiten. Und genau das hatte sie sich für ihre Arbeit als Hebamme vorgestellt. Nun wird sie in Ebersbach anfangen. Für wie lange, das weiß sie allerdings nicht.