Merken

So brillieren die Sachsen in Bayreuth

Also den Sachsen kann niemand einen Vorwurf machen, dass der neue „Lohengrin“ letztlich kein großer Wurf ist. Im Gegenteil.

Teilen
Folgen
NEU!
© Bayreuther Festspiele/E. Nawrath

Von Bernd Klempnow

Also den Sachsen kann niemand einen Vorwurf machen, dass der neue „Lohengrin“ letztlich kein großer Wurf ist. Im Gegenteil: Egal, wo sie an der Eröffnungspremiere der diesjährigen Bayreuther Festspiele am Mittwoch mitgewirkt hatten, sie lieferten eine exzellente Arbeit ab. Ob im Graben, ob auf oder hinter der Bühne, ob in den Werkstätten und Garderoben – ohne die 61 sächsischen Künstler und Experten wäre das älteste Festival der Welt anno 2018 nicht vorstellbar.

Doch der Reihe nach. Zuerst zur Musik, denn sie ist das Wichtigste in dem von Richard Wagner ausschließlich für seine Kompositionen errichteten Festspielhaus. Wegen der legendären Akustik pilgern seit gut 150 Jahren Musikliebhaber aus aller Welt in die fränkische Stadt. Fast 2 000 Menschen schwitzen allabendlich bis Ende August im nicht klimatisierten Gebäude mit seinen engen, kaum gepolsterten Stühlen. Und wieder zeigte sich jetzt, dass das musikalische Erlebnis jeden Schweißbach wert war.

Erneut erwies sich der Dresdner Staatskapellenchef und Musikdirektor der Festspiele Christian Thielemann am Pult als Kenner der Wagner-Musik par excellence. Ab dem ersten Ton des sphärischen A-Dur-Vorspiels bis hin zum verklärend-traurigen Dur-Finale des „Lohengrin“ entwickelte er mit dem auf ihn eingeschworenen Orchester eine ungemein klare, alle Raffinessen auskostende Spielkultur. Diese war die Grundlage für das Märchenstück, das von einer Frau und einem geheimnisvollen Ritter erzählt. Ihre Liebe scheitert, weil sie ihn nach seinem Namen fragt, den er als Gralsritter nicht preisgeben darf.

Thielemann macht Musik zum Raum

Wohl ist diese in Graupa entworfene Oper vor allem Musik, bei Thielemann ist sie aber auch Raum. Einer, der sich mit jedem neuen Takt aus dem für den Zuschauer nicht einsehbaren Graben weiter und weiter dehnt und schillert, bis er so groß ist, dass er Musiker wie Publikum gleichermaßen umfasst: Friedrich Nietzsche beschrieb diese Weise als „blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung“. Und tatsächlich: Alle schwelgten in dem Leuchten – bis nach über fünf Stunden dieser Raum in der Ferne verklang und der große Jubel anhob!

Als sich der Dirigent beim Schlussapplaus auf der Bühne zeigte, flogen ihm die Bravos nur so zu. Das Auditorium verneigte sich vor dem Mann, der seit 2000 nunmehr alle hier gespielten zehn Opern von Wagner aufregend einstudiert hatte.

Auch diesmal führte Thielemann die Chöre zu beeindruckend klanggewaltigen Szenen, die einen förmlich ins Stuhlholz drückten. Jeden Sänger begleitete er aufs Sensibelste, reduzierte dienend an heiklen Stellen. War sein „Lohengrin“ etwa 2016 in der Semperoper schon eine Wucht, so konnte er sich noch einmal steigern. Zumal er ein selbst zusammengestelltes Ensemble geleitete, dass einige der markantesten Wagner-Stimmen vereinte. Wieder dabei ein Publikumsliebling, der Dresdner Bass Georg Zeppenfeld als König Heinrich, der dieser eigentlich farblosen Figur viel Menschliches abgewann. In den Hauptpartien debütierten ebenso in Dresden gern gehörte Sänger: Anja Harteros, die im Semperhaus Strauss oder Puccini singt, gab die Elsa. Piotr Beczala, Interpret der Titelpartie bereits 2016 in Dresden und Gast vieler Kapellenkonzerte, gefiel mit schönstem tenoralem Gesang als Lohengrin. Und mit Waltraud Meier kehrte die einstige Topsängerin der Festspiele, die vor 18 Jahren im Streit weggegangen war, zurück. Ihre Ortrud kam beim Publikum vor allem aus Wiedersehensfreude an.

Darüber waren sich alle einig in den Pausengesprächen, die viele bei Bio- und edler Kost wie Austern verbrachten. Mittlerweile sind selbst das Wasser und die berühmten Bayreuth-Würstchen bio. Letztere für acht Euro, was bei Kartenpreisen von bis zu 400 Euro bei vielen der gut betuchten Gäste kaum zu Buche schlagen dürfte. Großen Anklang fand auch die Ausstattung, die das Leipziger Künstlerehepaar Neo Rauch und Rosa Loy ganz im Stil ihrer Bilder, Metaphern und Farben entworfen hatte. Ungewöhnlich, dass sie als Theaterneulinge ihr Hauptbühnenbild als Rundhorizont malten. Sie taten es, weil dieses Rund akustisch günstiger ist. So waren die Sänger selbst im hinteren Bühnenbereich gut zu verstehen. Als Farbe dominierte das Blau, angeblich unabhängig von Nietzsche. Inspirationen vor allem für die Kostüme gaben Delfter Kacheln. Flügelchen auf den Rücken der Protagonisten dürften ein ironischer Kommentar auf die gern zitierte Bayreuther Mottenkiste sein.

Betörende Bilder von Neo Rauch

Die Grundidee der beiden war, dass Lohengrin ein Energiebringer sei. Entsprechend kam er bei ihnen in das einst elektrifizierte Brabant und landete mit einem Star-Wars-futuristischen Schwan in einem Trafohäuschen als Techniker im Overall. Er stellte den Strom wieder an. Überspannungsbögen leuchteten, wurden später zur Waffe. Isolatoren, gern von Rauch gemalt, dienten als Scheiterhaufen und Schlafzimmerdekoration. Und sein Held kämpfte auch nicht mit dem Schwert, sondern mit einem Rauch-typischen gefrorenen Blitz.

Dieses Farbspiel, das atmosphärische Licht, die Bauten und Kostüme ergaben zunächst interessante, in manchen Szenen betörende Bilder. Vieles schien vertraut, zeitlos, neu und alt. Man meinte, die niederländischen Meister zu sehen, und erkannte viel von der Ästhetik des genialen Stummfilmregisseurs Fritz Lang.

Man konnte sich zeitweise auch szenisch in dem „Lohengrin“ verlieren. Doch so ganz wollte das von Anfang an nicht gelingen, und das Unwohlsein steigerte sich von Bild zu Bild. Weil der junge Amerikaner Yuval Sharon offenbar einer unglaublich statischen Rampenregie frönte. Was noch zu verschmerzen gewesen wäre, weil so wenigstens alle gut singen konnten. Schlimmer war, dass er entgegen dem Wagner-Text nicht die Liebe von Elsa und Lohengrin, sondern deren Abneigung zueinander inszenierte. Und so passierte es, dass Elsa, die „Mein Held! Nimm mich hin! Dir geb ich Alles, was ich bin“ sang, ihren Retter auf der Szene nicht berühren wollte und die Hochzeit als Gefangene andeutete.

Gewalt im Schlafgemach

So wurde auch ihr großes Liebesduett kein gegenseitiges Anschmachten. Beide lasen sich ihre Worte wie aus einer Bibel betend nur vor. Harteros und Beczala spielten das, aber sichtlich gequält. Wäre das nicht Murks genug, demolierte Sharon den edlen Lohengrin als gewalttätigen Macho, der seine Frau in der ersten Nacht im Schlafgemach des Trafohäuschens fesselte und verletzte. Der Wagnerianer zitiere in solchem Fall gern den „Lohengrin“-Chor: „Weh, Weh! Du holder Mann! Welch harte Not tust du uns an!“ Verdiente Buhs für Sharon.

Die Fernsehfassung der „Lohengrin“– Premiere sendet 3 sat am 28. Juli ab 20.15 Uhr.