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Einhorn-Teelichter überführen Serientäterin: Sechs Jahre Gefängnis für Feuerteufelin

Sandra S. wird Brandstiftung in 31 Fällen vorgeworfen. Sie hat über Jahre in Meißen, Radebeul und Coswig gezündelt und dabei Menschenleben riskiert.

Von Ines Mallek-Klein
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In diesem Haus in der Meißner Hospitalstraße hat Sandra S. zuletzt gewohnt. Hier wurde sie bei ihren letzten Taten auch überführt.
In diesem Haus in der Meißner Hospitalstraße hat Sandra S. zuletzt gewohnt. Hier wurde sie bei ihren letzten Taten auch überführt. © Claudia Hübschmann

Dresden/Meißen. Sie kommt in Handschellen, trägt einen grauen Hoodie und eine enge Sporthose. Die Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden. Diesmal sind sie braun, doch Sandra S. färbt sie auch schon mal rot oder blond. Die 37-Jährige steht an diesem Mittwoch vor dem Landgericht in Dresden, um nach zwölf Verhandlungstagen ihr Urteil zu erfahren. Der zweifachen Mutter wird Brandstiftung in 31 Fällen vorgeworfen. So steht es in der Anklageschrift.

Mutmaßlich war sie sogar in noch mehr Fällen dafür verantwortlich, dass im Elbland zahlreiche Mülltonnen und Container brannten. Begonnen hat die Serie 2019. Die Polizei hat diese Verfahren abgelegt und mittlerweile sind sie gelöscht, sodass sie in der aktuellen Verhandlung keine Rolle mehr spielen konnten.

Eine alkoholabhängige Borderlinerin

Das Gericht hat weit über 100 Zeugen vernommen, darunter auch Weg- und Lebensgefährten von Sandra S. Der Vorsitzende Richter Jürgen Scheuring beschreibt sie als sehr kluge Frau, fähig strukturiert zu denken und zu planen, andere Menschen für sich zu gewinnen – mehr noch, sie zu ihrem Vorteil zu manipulieren. Doch das Leben meinte es nicht gut mit Sandra S. Sie wuchs in einer Patchwork-Familie mit vielen Halb- und Stiefgeschwistern auf. Im "bildungsfernen Milieu", wie der Gutachter in seinem Bericht vermerkt.

Sandra S. landet an einer Förderschule. Dort hätte sie nie hingehört. Die Beziehung zur Mutter war konfliktbelastet und als der Vater starb, verlor sie den letzten Halt. Sie begann zu trinken. Erst Komasaufen und dann Krankenhausaufenthalte - da war sie gerade einmal 15 Jahre.

Der Alkohol blieb ihr Begleiter, bis heute. "Er ist ein Sanitäter in der Not, aber kein Anker und kein Rettungsboot", zitierte Richter Scheuring einen Song von Herbert Grönemeyer. Wenig später wird er noch das ehrenwerte Haus von Udo Jürgens bemühen. Sandra S. trank am liebsten Hugo und das in großen Mengen, wurden bei ihr doch zwischen zwei und 2,6 Promille Atemalkohol nachgewiesen – und das, ohne dass die Angeklagte Ausfallerscheinungen gezeigt hätte. "Sie sind eine schwere Trinkerin", konstatiert der Vorsitzende Richter. Das spielte auch eine Rolle bei der Verurteilung der einzelnen Taten. Ausnahmslos alle habe sie unter dem Einfluss von Alkohol begangen, das mindere ihre Schuldfähigkeit zwar, mache sie aber keinesfalls schuldunfähig.

Was auch strafmindernd gewirkt habe, sei das Wissen um ihre psychische Erkrankung. Sandra S. leidet unter Borderline, einer eigentlichen psychiatrischen Persönlichkeitsstörung. Möglicherweise sei sie die Folge des jahrelangen Alkoholmissbrauchs.

Anderthalb Jahre in Untersuchungshaft

Das Tatmuster von Sandra S. war immer das Gleiche. Sie trank mit Freunden. Gab es Stress, verabschiedetet sie sich kurz zum Toilettengang und wenn sie zurückkam, brannte es. Vorzugsweise in gelben und blauen Tonnen, randvoll mit Papier und Plastik, einmal auch in einem Keller und das unmittelbar im Wohnumfeld.

Die ersten Taten, die der 37-Jährigen zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten, ereigneten sich am 25. und 26. Juni 2020 zwischen 23.40 Uhr und 4.30 Uhr morgens. Für die Coswiger Feuerwehr war das eine unruhige Nacht, denn sie mussten gleich fünfmal ausrücken zu Bränden am Ringpark, in die Lößnitzstraße und in die Radebeuler Straße. Knapp zwei Jahre nach den Bränden räumte Sandra S. gegenüber der Polizei ein, einen der Brände als Mutprobe gelegt zu haben. Alle anderen Taten bestreitet sie vehement - bis heute, schwieg vor Gericht und ließ am Mittwoch auch die Chance des letzten Wortes verstreichen.

Ihr Verteidiger hatte in seinem bereits Mitte Dezember gehaltenen Plädoyer gefordert, die Haftstrafe nicht über fünf Jahre festzusetzen. Sie Staatsanwaltschaft forderte indes sieben Jahre und acht Monate. Das Gericht verhängte nun eine sechsjährige Haftstrafe, von der die "Feuerteufelin", wie Richter Scheuring sie gendergerecht bezeichnete, schon mehr als anderthalb Jahre im Chemnitzer Frauengefängnis während der U-Haft abgesessen hat.

Dreistündige Urteilsbegründung

Sandra S. wurde am 22. September 2022 verhaftet, im Cöllner Bierstübchen, ihrer Stammkneipe. Zuvor war sie von einer Nachbarin aus dem Toilettenfenster beobachtet worden, wie sie einen brennenden Gegenstand in eine Tonne am Haus in der Hospitalstraße geworfen hat. Bereits einen Tag zuvor hatte eine Videokamera vom Nachbargrundstück Sandra S. dabei gefilmt, wie sie Container in Brand setzte. An der Plaste entdeckten Spurensicherer Wachs von Kerzen, exakt jenen Einhorn-Teelichtern, die auch in der Wohnung von Sandra S. standen.

Dass die Kamera da hing, war kein Zufall. Denn bereits am 22. August rückte die Feuerwehr zu einem Containerbrand in die Hospitalstraße aus. Die Hitzeentwicklung war so heftig, dass die Fassade in Mitleidenschaft gezogen wurde. Viel schwerer wiegt aber, dass Sandra S. in Kauf nahm, dass auch Menschen zu Schaden kommen. Sie zündelt an den Tonnen, die unmittelbar unter dem Kinderzimmerfenster von Emma standen. Während die Zweijährige schlief, zog der giftige Rauch in ihr Zimmer. Sie musste für eine Nacht stationär behandelt werden wegen des Verdachts der Rauchgasvergiftung. Das sei, so Richter Scheuring, eine neue Qualität. Er ging in seiner gut dreistündigen Urteilsbegründung Tat für Tat durch. Bezifferte das jeweils verhängte Strafmaß. In der Addition wären dabei weit mehr als 15 Jahre zusammengekommen.

Die folgenreichste Tat bleibt ungesühnt

Die Tat, bei der Sandra S. den größten Schaden verursacht hat, fand am 3. Oktober 2021 in Radebeul-Altkötzschenbroda statt. Gegen 11.25 Uhr stand ein Holzschuppen mitsamt der darin abgestellten Mülltonen in Brand. Die Flammen griffen auf ein benachbartes Mehrfamilienhaus und ein Gasthaus über. Der Sachschaden lag bei 100.000 Euro. Dass nicht mehr passiert ist, lag am schnellen Eingreifen der Retter und an Corona. Das Weinfest fand in diesem Jahr in kleinerer Form statt, viele Buden fehlten, sodass die Löschfahrzeuge problemlos bis an den Brandort herankamen. Sandra S. war an diesem Tag in Radebeul verabredet, ob sie auch gezündelt hat, konnte ihr das Gericht nicht zweifelsfrei nachweisen, sodass die folgenreichste Tat ungesühnt bleibt.

In Revision will die Brandstifterin nicht gehen. Sie akzeptiere das Urteil, so ihr Verteidiger und will eine Suchttherapie machen. Die kann frühestens beginnen, wenn ein Drittel der Haft verbüßt sind, also im Herbst dieses Jahres.