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Hilfe für den kleinen Paul aus Weinböhla

Paul aus Weinböhla hat eine angeborene Fehlbildung, er muss dringend operiert werden. Der Spezialist dafür praktiziert in den USA. Die Zeit drängt, deshalb sammelt die Familie Spenden für die OP.

Von Ines Mallek-Klein
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Paul muss operiert werden, sonst droht der Sechsjährige auf seinem rechten Auge zu erblinden.
Paul muss operiert werden, sonst droht der Sechsjährige auf seinem rechten Auge zu erblinden. © Norbert Millauer

Paul hat sein kleines schneeweißes Schäfchen dabei. Er hält es ganz fest. Der flauschige Geselle begleitet ihn schon seit einiger Zeit durch sein junges Leben und das war bisher alles andere als einfach. Paul kam am 13. Oktober 2017 zur Welt. Ein Wunschkind, seine große Schwester Emma war damals sechs.

Doch schon vor der Geburt stand fest, etwas stimmt nicht mit Paul. Bei einer Ultraschalluntersuchung stutzte die Gynäkologin plötzlich. Wieder und wieder fuhr sie über den Kopf. Oberhalb des rechten Auges war eine Beule klar zu erkennen. Gewissheit brachte dann eine Magnetresonanzuntersuchung, die in Bonn durchgeführt wurde. Da war Mama Julia in der 32. Woche schwanger.

Gewebe an einer Stelle, das dort nicht hingehört - oberhalb und hinter dem rechten Auge. Was ist es? Zur Wahl standen das Lymphaniom, das Hämaangoim oder ein Karzinom. Gewissheit brachte erst eine Biopsie nach Pauls Geburt. Die gute Nachricht: Es ist ein Lymphangoim, ein gutartiger Tumor. Die schlechte: Es wird keine Heilung geben, der Tumor wird, weil in Muskel- und Hautgewebe eingewachsen, nie vollständig entfernt werden können und sich damit immer ausdehnen.

Krankenkasse lehnt die Kostenübernahme ab

Doch Paul ist tapfer. Neunmal ist er schon im Krankenhaus gewesen und wurde dort operiert. Seine Krankheit ist sehr selten. Sie trifft nur vier von 100.000 Kindern. Entsprechend wenige Spezialisten gibt es weltweit. Einer von ihnen ist Dr. Aaron Fay vom Vasculary-Birthmark-Institut in New York. Er kennt Paul schon. Dr. Fay hat ihn im Oktober vergangenen Jahres operiert. Nicht in Übersee, sondern in Eberswalde. Dort ist der Junge am Zentrum für vaskuläre Malformationen in Behandlung. Die Klinik hatte eine Selbsthilfegruppe Betroffener empfohlen, der sich die jungen Eltern im Internet angeschlossen hatten.

Die OP sollte eigentlich schon im Mai stattfinden. Doch die Krankenkasse, es ist die AOK, lehnte die Übernahme der Behandlungskosten mit einem formalen Schreiben ab. Es ging um 23.000 Euro. Vater Norman Köhler entschied sich, Anwälte zu bemühen. Dabei lief die Zeit - gegen Paul. Die Verwachsungen im Lymphgewebe sorgen dafür, dass die Lymphflüssigkeit nicht abfließen kann und sich staut. Dieser Stau drückt von innen auf den Augapfel. Der war zeitweise so weit aus der Augenhöhle getreten, dass Paul sein Lid nicht mehr schließen konnte und die Pupille auszutrocknen drohte.

Natürlich sei auch das Sehen beeinträchtigt, sagt Papa Norman. "Linien von Schwellen oder Stufen zu unterscheiden, fällt Paul schwer. Ich merke das beim Radfahren, da ist seine zwei Jahre jüngere Schwester Lina deutlich selbstbewusster unterwegs als Paul", so Norman Köhler.

Wer Paul und seine Familie unterstützen möchte, kann dies über die Spendensammlung bei gofundme.com tun. Alternativ gibt es auch die Möglichkeit der direkten Einzahlung auf das Konto IBAN: DE03 8505 5000 15008641 50, BIC: SOLADES1MEI bei der Sparkasse Meißen. Kontoinhaber ist Paul Köhler.

Sondererlaubnis erloschen

Dr. Fay hat in der ersten Operation 2023 sehr viel Tumorgewebe entfernt. Nun muss noch der Augapfel angehoben werden. Dabei soll Knochenmaterial helfen, das Paul aus seinem Beckenkamm entnommen wird. Es wird den Augapfel anheben und im besten Fall, wenn es mitwächst, die Räume schließen. Das würde auch dem Tumor ein Weiterwachsen erschweren. Und ist die Augenachse erst einmal angehoben, kann Paul auch eine Brille tragen. Erste Versuche mit Kontaktlinsen seien gescheitert. Sie gingen schon am ersten Tag im Kindergarten verloren, erzählt Mama Julia.

Sie und Vater Norman setzen große Hoffnungen in Dr. Fay. Er ist einer der wenigen Orbita-Chirurgen, die es weltweit gibt und die sich den Eingriff hinter dem Auge zutrauen. Fehler mit dem Skalpell sind hier unverzeihlich, zu eng verlaufen wichtige Muskeln und Nervenstränge nebeneinander. Dr. Fay hatte bereits im Oktober der Anschluss-OP zugestimmt. Doch er darf nicht mehr nach Eberswalde kommen.

Schuld ist eine erloschene Sondererlaubnis des Landes Brandenburg. Das hatte mit dem Zentrum für Vaskuläre Malformationen Eberswalde eine Vereinbarung geschlossen, wonach international tätige Ärzte wie Dr. Fay im Werner-Forßmann-Krankenhaus operieren dürfen. Die Bedingung im Fall von Dr. Fay, der Leiter und Mitbegründer des Zentrums, Dr. Lutz Meyer muss bei der Operation anwesend sein. Das war er im Oktober auch. Doch am 21. November verstarb der international anerkannte Kinderchirurg im Alter von 67 Jahren.

80 Prozent der Spendensumme erreicht

Dr. Fay wird also nicht noch einmal nach Eberswalde kommen. Er könnte Paul in Übersee behandeln, oder in Griechenland, wo er im Frühsommer eventuell an einer Athener Klinik operieren wird. Egal, wo die Behandlung weitergeht, für die kleine Familie bedeutet sie eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung. Die Anwältin hatte dann die Idee, Spenden zu sammeln. "Wir haben schon eine Weile mit uns gerungen, das sind ja doch sehr private Einblicke, die man dabei gibt", sagt Norman Köhler.

Aber der Wunsch, Paul ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, siegte über alle Bedenken. Am vergangenen Wochenende hat Norman Köhler auf der virtuellen Spendenplattform goFundme.com die Sammlung gestartet. Er schob den Regler für das Spendenziel mehrfach hin und her. Am Ende blieb er bei 50.000 Euro stehen. Und jetzt, sechs Tage später, sind schon knapp 80 Prozent der Spendensumme eingezahlt. "Wenn mir das jemand vorher gesagt hätte, ich hätte ihn für verrückt erklärt", so der Vater.

Berufswunsch: Lokführer

Eine Welle der Hilfsbereitschaft hat die Köhlers erreicht. Neben unzähligen Genesungswünschen gibt es Kontakte zu Kliniken oder Ärzten und oft auch den Wunsch, außerhalb der goFoundme-Plattform zu spenden. Norman Köhler hat deshalb am Donnerstag auf der Sparkasse Meißen ein Konto eingerichtet, wo die Gelder für Pauls Weiterbehandlung gesammelt werden. Die Frage, ob die 50.000 Euro reichen werden, "kann ich nicht ehrlich beantworten", so Norman Köhler. Mutmaßlich nicht. Denn Paul wird weiter in Behandlung bleiben müssen. Operationen und Klinikaufenthalte werden zu seinem Leben gehören. In welchen Intervallen, da können selbst die Mediziner nur vage Prognosen abgeben.

Und die Familie will auch die AOK nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie hatte allerdings schon bei der ersten OP von Dr. Fay auf das Solidarprinzip der Versicherten verwiesen und müsste nach Leistungskatalog nur einen Teil der Behandlungskosten, übernehmen. Damals war, weil die Zeit drängte, das Krankenhaus Eberswalde ins wirtschaftliche Risiko gegangen. Auch diesmal ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Bleiben Pauls Sichtachsen noch lange Zeit so verschoben, sieht er Doppelbilder. Mittelfristig würde das Gehirn dann das kranke Auge "abschalten", Paul droht also auf der rechten Seite zu erblinden.

Wenn Pauls Mama Julia in diesen Tagen einkaufen geht, wird sie von Weinböhlaern angesprochen. "Die Unterstützung ist enorm", sagt sie. Friseur, Autolackierer oder Gaststätte wollen eine Spendendose für Paul aufstellen. Der nimmt die ganze Aufregung allerdings gelassen. Hauptsache, seine Brio-Eisenbahn kommt mit, wenn er das nächste Mal ins Krankenhaus muss. Sie ist sein liebstes Spielzeug und vielleicht auch der Grund, warum er jetzt schon ganz genau weiß, was er einmal werden möchte: Lokführer.