Horterzieher nimmt Elfjährigen in Schwitzkasten

Meißen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Dieser elf Jahre alte Schüler einer evangelischen Grundschule ist kein Engel. Jedenfalls benimmt er sich an jenem Juninachmittag vorigen Jahres eher wie ein kleiner Teufel. Auf dem Schulhof soll er Mädchen eingesperrt haben. Ein Horterzieher weist ihn zurecht, entfernt sich dann. Doch der Junge rennt ihm hinterher, soll ihn mit Gegenständen beworfen haben. Da verliert der 34 Jahre alte Erzieher die Nerven. "Ich habe mich angegriffen gefühlt, sodass ich mich gewehrt habe", sagt er.
Auf den "Angriff" reagiert er - freundlich formuliert - unangemessen. Er nimmt den Jungen in den "Schwitzkasten", lässt ihn dann zu Boden fallen, sodass der Elfjährige auf die Knie kracht. Als er wieder aufsteht, versetzt ihm der Erzieher noch einen Tritt in den Hintern.
Er will den Richter belehren
Nun sitzt der Mann, der gleich vier Berufe - Erzieher, Rettungssanitäter, Rettungsassistent und Straßenbahnfahrer - angibt, wegen Körperverletzung vor dem Meißner Amtsgericht. Den Auftritt hätte er sich ersparen können. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm schriftlich angeboten, das Verfahren gegen eine Geldauflage von 500 Euro, die an eine gemeinnützige Einrichtung gezahlt werden sollte, einzustellen. Auf das Schreiben hat er nicht reagiert. Nun wird also verhandelt.
Und da will der Angeklagte nichts sagen, beruft sich auf seine schriftliche Aussage. Der Richter macht ihn darauf aufmerksam, dass vor Gericht nur das gilt, was in der Verhandlung gesagt wird. Der Angeklagte will den Richter belehren. Das Schriftstück würde reichen, das habe ihm sein Onkel gesagt, und der kenne sich mit Gesetzen aus. Nun, da kennt sich sein Onkel wohl doch nicht so gut aus, oder er hat ihn nicht richtig verstanden. Natürlich muss er als Angeklagter vor Gericht nichts sagen, doch dann kann seine schriftliche Aussage auch nicht verwertet werden.
Frech und vorlaut
Um den Elfjährigen einen Auftritt als Zeuge zu ersparen, redet Richter Andreas Ball mit Engelszungen auf den Angeklagten ein. Und der redet tatsächlich nach und nach. Nicht nur der Junge, sondern auch er habe einen schlechten Tag gehabt. Der Junge sei frech und vorlaut gewesen. "Es gab Tage, da hätte mich ein solches Verhalten nicht gestört. An diesem Tag aber konnte ich mich nicht kontrollieren, habe als Erzieher überreagiert", sagt er.
Am Tag danach habe er versucht, ein Gespräch mit dem Jungen zu führen, das sei aber nicht zustande gekommen. Auch eine Aussprache mit der Mutter des Kindes scheiterte. "Das wollte die Schulleitung nicht, die hat Stillschweigen bewahrt, wollte keine Konflikte", sagt der Mann, der nach eigenen Angaben seit 2015 als Erzieher arbeitet.
Er habe seitdem viel nachgedacht, was ihn an diesem Tag getriggert habe, was also eine so starke emotionale Situation ausgelöst habe. Im Ergebnis habe er sich vorgenommen, in solchen Situationen künftig ruhig zu bleiben.
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Staatsanwältin Claudia Jentzsch erneuert das Angebot, das Verfahren wegen "geringer Schuld" gegen eine Geldauflage von 500 Euro vorläufig einzustellen. Diesmal nimmt es der Angeklagte an. Er muss das Geld an die Lebenshilfe Großenhain zahlen. Macht er das, wird das Verfahren endgültig eingestellt. Anderenfalls wäre er wohl verurteilt worden, macht ihm der Richter deutlich. Und dann wäre es wohl teurer geworden.
Die größere Strafe aber bekam der Mann nicht vom Gericht, sondern von der Schule, in der er gut ein Jahr als Erzieher arbeitete. Diese hat ihn nach dem Vorfall fristlos entlassen. Die Kündigung hat er akzeptiert, auch eine Art Schuldeingeständnis.
Seit Ende Januar arbeitet der Mann in der Schülerbegleitung. Da kann der Schüler oder die Schülerin, die er begleitet, wohl nur hoffen, dass der Begleiter nicht wieder einen schlechten Tag erwischt.