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Meißner Landrat fordert mehr Geld von Sachsen für seinen Kreishaushalt

Eine zukunftsfähige Meißner Verwaltung ist mit den aktuellen Zuschüssen des Freistaates nicht möglich, sagt Ralf Hänsel. Der Wohnraum für Migranten reicht noch bis Februar.

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Erwartet viele neue Herausforderungen im nächsten Jahr: Landrat Ralf Hänsel (53, CDU) vor dem Landratsamt in Meißen.
Erwartet viele neue Herausforderungen im nächsten Jahr: Landrat Ralf Hänsel (53, CDU) vor dem Landratsamt in Meißen. © Claudia Hübschmann

Herr Landrat, der Landkreis Meißen hat mit Ach und Krach seinen Haushalt genehmigt bekommen. Noch immer ist er in Schieflage. Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren?

Die Schwierigkeiten der Bundesregierung, einen verfassungsgemäßen Bundeshaushalt aufzustellen, können in erster Linie Auswirkungen auf Bereiche haben, die unmittelbar durch den Bund finanziert werden. Dies sind beim Landkreis Meißen zum Beispiel die Mittel für Eingliederungsleistungen im Jobcenter.

Aber auch die mittelbar finanzierten Bereiche, bei denen zunächst den Ländern Mittel zur Weiterleitung an die Kommunen zufließen, könnten von der Haushaltskrise des Bundes betroffen sein. Kürzungen zum Beispiel bei den Regionalisierungsmitteln im ÖPNV und der Finanzierung des Deutschlandtickets würden zu höheren Zuschüssen des Kreises an die VGM führen.

Darüber hinaus beteiligt sich der Bund an einer Vielzahl von Förderprogrammen, insbesondere beim Kita- und Hort-Ausbau, bei der Digitalisierung von Schulen und beim Breitbandausbau. Kürzungen in all diesen Bereichen könnten durch einen höheren Eigenanteil des Kreises in der derzeitigen finanziellen Situation kaum aufgefangen werden.

Die Herausforderungen der kommenden Jahre werden sich kaum von denen für den derzeitigen Doppelhaushalt 2023/2024 unterscheiden. Innerhalb der Kreisverwaltung ist unser Ziel, die per Gesetz zugewiesenen Aufgaben bürgernah und bürgerfreundlich zu erfüllen, zudem eine effiziente, digitalisierte und zukunftsfähige Verwaltung aufzubauen sowie mit einer verantwortungsvollen Festsetzung der Kreisumlage die finanzielle Situation der kreisangehörigen Städte und Gemeinden nicht zu überstrapazieren. Es muss uns insbesondere gegenüber dem Freistaat gelingen aufzuzeigen, dass mit der derzeitigen Finanzierung der Kreisebene die Erreichung der Ziele nicht möglich sein wird und daher zukünftig deutlich mehr Mittel in den Kreishaushalt fließen müssen.

Geben wir zu viel Geld für Soziales aus?

Fakt ist, dass fast drei Viertel der Gesamtausgaben des Landkreises in den sozialen Bereich fließen. Das ist enorm viel. Fraglich ist einerseits, ob tatsächlich regelmäßig neue Leistungstatbestände geschaffen werden müssen, und andererseits bleibt offen, wer das bezahlen soll. Denn letztlich müssen alle Ausgaben – nicht nur im sozialen Bereich – durch Steuern und Abgaben von Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern erwirtschaftet werden. Aus meiner Sicht werden derzeit diejenigen zu wenig unterstützt, die diese Werte schaffen.

Wir geben das Geld gern aus, um Menschen, die die Hilfe benötigen, zu unterstützen. Dafür brauchen wir aber auch die entsprechende Finanzausstattung, damit noch Mittel für freiwillige Aufgaben bleiben, die ebenfalls den Landkreis voranbringen und die Lebensqualität für alle Einwohnerinnen und Einwohner erhalten oder erhöhen. Mitunter wäre eine zielgenauere Ausreichung der Mittel bereits hilfreich.

Könnte die jetzt wieder sinkende Inflationsrate einen positiven Einfluss auf die Finanzausstattung haben?

Die Frage ist einem klaren „Jein“ zu beantworten. Hinsichtlich der den Ländern und Kommunen zustehenden Anteile am gesamten Umsatzsteueraufkommen ist klar, dass eine sinkende Inflationsrate auch zu niedrigeren Einnahmen bei der Umsatzsteuer führt. Die Auswirkungen auf die Finanzausstattung sind dahingehend negativ. Andererseits erhöht eine niedrigere Inflationsrate tendenziell die Kauflaune der Bevölkerung. Die damit verbundenen höheren Umsätze und Gewinne der Unternehmen führen zu höheren Unternehmenssteuern und damit schlussendlich auch zu einer höheren Finanzausstattung. Dies allerdings erst mit einem zeitlichen Abstand von rund zwei Jahren.

Abschließend ist zu erwähnen, dass eine sinkende Inflationsrate auch die Kostenanstiege in einigen Bereichen der Kreisverwaltung dämpft. Dies führt zwar nicht zu einer höheren Finanzausstattung, wirkt aber ebenfalls positiv auf die Kreisfinanzen.

In unserem Landkreis stehen mit Wacker, Feralpi oder Kronospan sehr energiehungrige Unternehmen. Haben Sie Befürchtungen, dass sie mal ins Ausland abwandern, wo Energie billiger ist? Sollte es einen preiswerteren Industriestrom geben?

Die Unternehmen sind im Landkreis verwurzelt und können als wichtige Ressource auf eine gut ausgebildete und engagierte Belegschaft bauen. Der Strompreis ist 2023 in Deutschland wieder etwas gesunken, liegt europaweit aber eher im Mittelfeld. Da sich die genannten Unternehmen jedoch auf dem Weltmarkt behaupten müssen, stellen die aktuellen Energiepreise einen Wettbewerbsnachteil dar, der die Konkurrenzfähigkeit mittelfristig infrage stellen könnte. Es besteht also durchaus die Gefahr, dass Produktionen in Deutschland eingestellt werden. Damit liegt es auf der Hand, dass den Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden muss, Energie zu konkurrenzfähigen Preisen zu beziehen.

Weiterhin kommt hinzu, dass ein Teil der Produkte zukünftig mit grünem Strom produziert werden muss, wenn die Produkte Abnehmer finden sollen. Hierfür braucht es den Aufbau eines Wasserstoffnetzes und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist aber nicht allein durch den Landkreis Meißen zu realisieren, da sind der Freistaat und der Bund gefragt.

Es gibt viel Streit um den Ausbau der Windenergie, insbesondere direkt vor Ort. Hängen wir zurück?

Der Ausbau von Windenergieanlagen, aber auch von Freiflächenphotovoltaik stellt im Landkreis Meißen aufgrund seiner Siedlungs- und Raumstruktur eine tatsächliche Herausforderung dar, der sich der Regionale Planungsverband mit der Teilfortschreibung des Regionalplans stellt. Das Ergebnis dieser Planung wird jedoch erst 2027 vorliegen können.

Leider wurde der aktuelle Regionalplan, der bis dahin Grundlage für eine geordnete Weiterentwicklung hätte sein sollen, hinsichtlich des Themas Windenergienutzung gerichtlich aufgehoben. Auf diese neue Situation mussten sich alle Akteure zunächst einmal einstellen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es uns im Landkreis Meißen dennoch gelingen wird, den Ausbau der Anlagen so zu steuern, dass ein gerechter Interessenausgleich geschaffen werden kann.

Wie sieht es bei der Migration aus? Wie viel Kapazitäten haben wir noch?

Nach aktuellem Stand wird der Landkreis Meißen 2023 bis Jahresende rund 820 Asylbewerberinnen und -bewerber aufgenommen haben. 2022 waren es 543 und in den Jahren zuvor 393 und 261. Damit ist eine deutliche Steigerung der Zuweisungszahlen im Jahr 2023 zu erkennen, die die Ausländerbehörde vor erhebliche Herausforderungen stellte. Wir gehen davon aus, dass die hohen Zuweisungszahlen auch im ersten Quartal 2024 anhalten werden. Zwar macht sich durch die Grenzkontrollen eine gewisse Abschwächung der Zuwanderung nach Deutschland bemerkbar, die aber auch saisonbedingt begründet sein könnte.

Durch erhebliche Kraftanstrengungen konnten die zugewiesenen Personen vorwiegend in Wohnungen untergebracht werden. Nach derzeitigem Stand reichen die verfügbaren Platzkapazitäten in angemieteten Wohnungen noch bis Februar 2024. Der Landkreis hat zurzeit 500 Wohnungen angemietet. Damit sind derzeit rund 90 Prozent der Asylsuchenden und Geduldeten in dezentralen Wohnungen untergebracht.

In den Unterkünften, unter anderem in Großenhain, Riesa und Radebeul, verfügt der Landkreis über eine Gesamtkapazität von insgesamt 3.083 Plätzen, wovon maßgeblich aufgrund notwendiger Instandsetzungsarbeiten oder fehlender Ausstattung insgesamt 2.761 Plätze zur Unterbringung zur Verfügung stehen. Ein Problem stellt dar, dass rund 1.100 Plätze von Personen belegt werden, die aufgrund ihres Status auszugsberechtigt wären, jedoch selbst keinen Wohnraum anmieten oder finden.

Im Landkreis Meißen sind derzeit zudem 3.017 Geflüchtete aus der Ukraine registriert, davon besitzen bereits 2.800 eine Aufenthaltserlaubnis. Generell ist zu sagen, dass die Betreuung der Ukraine-Flüchtlinge parallel zu den enorm gestiegenen Asyl-Zugängen die Kreisverwaltung extrem fordert. Hinzu kommen in kurzen Abständen konstant Gesetzesneuerungen beziehungsweise -änderungen im Bereich des Ausländerrechts, die leider keine Vereinfachung, sondern im Regelfall zu einer Verkomplizierung von Verfahren und einer Zunahme an Bürokratie führen.

Es gibt viel Widerstand der Anwohner bei der Unterbringung von minderjährigen Flüchtlingen in einem Meißner Altenheim. Offenbar hat da die Kommunikation nicht gut geklappt, oder?

Die Landkreisverwaltung sieht sich stets einer guten Kommunikation mit den Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Bei der Vielfalt der Aufgaben wird und kann das nicht immer zur Zufriedenheit einzelner Gruppen erfolgen. Die Unterbringung von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise in Einrichtungen der Jugendhilfe ist eine Pflichtaufgabe des Landkreises. Diese Thematik hat das Jugendamt zusammen mit den dafür fehlenden Kapazitäten in den Einrichtungen der Jugendhilfe bereits seit 2022 kommuniziert.

Ich vermag nachzuvollziehen, dass basierend auf Unsicherheiten der jeweils unmittelbaren Nachbarschaft, Befürchtungen entstehen und ausgeräumt werden müssen. Auch aus diesem Grund beauftragt die Landkreisverwaltung erfahrene Träger mit diesen Aufgaben und steht mit diesen in ständigem Austausch. Für die Anwohnerinnen und Anwohner werden im Vorfeld und im laufenden Betrieb Gesprächsangebote unterbreitet, die im Regelfall gut genutzt werden und zur Verständigung führen.

Was wünschen Sie sich für das neue Jahr?

Mein Ziel ist es, den Landkreis Meißen auch im Jahr 2024 weiter gut voranzubringen. Dabei stehe ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor großen Herausforderungen. Die Stichworte Finanzierung der kommunalen Ebene, Energiewende, Asylpolitik sind in diesem Interview gefallen. Ich würde mir wünschen, wenn wir zumindest bei einigen Themen mit allen beteiligten Partnern zu guten Lösungen finden und klare Regelungen ein strukturiertes planbares Arbeiten ermöglichen.

Wenn dann noch die nötige Gelassenheit dazukommt und alle miteinander reden und nicht übereinander, dann bin ich ganz optimistisch. Ich hoffe, dass alle über den Jahreswechsel Kraft tanken und Entspannung finden, um dann gesund und voller Tatendrang ins neue Jahr zu starten.

Das Interview führte Ulf Mallek