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Kreis Meißen: "Vergnügen ist das beste Antidepressivum"

Seit Wochen wird überall an Gas und Strom gespart, jetzt kommt der Rummel nach Meißen. Ist das noch verhältnismäßig im Zeitalter von kalten Klassenzimmern und Insolvenzsorgen?

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Schausteller Michael Krämer kurz vor der Eröffnung des Meißner Rummels.
Schausteller Michael Krämer kurz vor der Eröffnung des Meißner Rummels. © Claudia Hübschmann

Von Helene Schumann

Meißen. Energie sparen durch Volksfeste? Auf den ersten Blick wohl kaum. Ganze 800.000 Kilowattstunden werden auf einer zehntägigen Veranstaltung, je nach Besucheranzahl, durchschnittlich verbraucht. Dies geht aus Beobachtungen der Stadtwerke Düsseldorf hervor und entspricht einem jährlichen Stromverbrauch von etwa 250 Familienhaushalten.

Trotz des enormen Energieverbrauchs finden Veranstaltungen, wie der Rummel in Meißen, weiterhin statt. Alfred Ritter, Vorsitzender des Deutschen Schaustellerbundes (DSB), hat dazu folgende Erklärung. Pro Rummelbesucher werde lediglich eine halbe Kilowattstunde verbraucht, was weniger als die Zubereitung einer Pizza in der Mikrowelle sei. „Das verbraucht mehr, als wenn hier im Kollektiv 1.000 Leute an einer Bude eine Pizza kaufen.“

Und so herrscht trotz Energiekrise und aller Einsparforderungen wieder Trubel auf dem Festplatz in Meißen. Inmitten von bunten Karussells, skurriler Fahrgeschäfte, Dutzenden von Lastkraftwagen und vereinzelten Bratwurst- und Süßigkeitenbuden, steht Schausteller Michael Krämer und inspiziert das Gelände.

Für ihn ist es das 18. Weinfest in Meißen, das er mit seinen Schaustellerkollegen und insgesamt 42 Fahrgeschäften, unter Führung von Schaustellerurgestein Peter Vennedey, besucht. Er selbst betreibt ein Kettenkarussell, den Aviator, welcher bis zu 28 Meter Höhe erreichen kann sowie einen Autoscooter. Neu sind in diesem Jahr der Basejumper, ein holländisches Rundfahrgeschäft und der Aqua King, eine fliegende Schatzkiste, die sich um die eigene Achse dreht und von Wasser- und Lichteffekten begleitet wird, erklärt der Herzberger. Dass das Riesenrad dieses Jahr nicht dabei sein kann, bedauert der 47-Jährige sehr. „Auch wir haben, wie überall, Personalprobleme.“

Ein Fahrgeschäft kostet bis zu einer Million Euro

Michael Krämer ist auf dem Rummel in einer Schaustellerfamilie aufgewachsen. Nun betreibt er ihn bereits in der vierten Generation und denkt nicht ans Aufhören. „Irgendwann hat man sich an alles gewöhnt. Woche für Woche in eine andere Schule zu gehen, war dann nicht mehr schwierig. Man hat innerhalb kürzester Zeit neue Freunde gefunden, die dann manchmal schon nach einem Tag abends mit nach Hause kamen.“ Diese Erfahrung habe ihn offener gemacht, meint Krämer. Bis heute genießt er sein hektisches, aber abwechslungsreiches Leben.

Jedes Jahr geht er dafür von April bis Oktober auf Tour und erheitert Jung und Alt. Doch auch in der kalten Jahreszeit gibt es allerhand zu tun: „Im Winter bringen wir die Fahrgeschäfte in Lagerhallen. Sie brauchen jedoch die richtige Pflege, wenn sie lange halten sollen.“ Und das müssen sie auf jeden Fall. Bis zu einer Million Euro kann die Anschaffung, je nach Fahrgeschäft, kosten.

„Momentan rentiert sich das noch“, meint der Schausteller, in Anbetracht der steigenden Energiekosten. Besonders die hohen Spritkosten und jährliche Stromkosten von etwa 10.000 Euro setzen seiner Branche zu. Die Preise erhöhen, will er jedoch vorerst nicht. „Wir haben seit vielen Jahren ein dankbares Publikum und versuchen das jetzt mit der Masse auszugleichen.“ Bis heute sei der Nachholbedarf der Menschen nach der Pandemie spürbar.

Auf LEDs umgestellt

Sorgen bleiben dennoch nicht aus. „Es gab dieses Jahr schon Lohnerhöhungen, aber wenn die Ausgaben immer mehr steigen, kommen nicht nur ich, sondern auch meine Mitarbeiter an ihre Grenzen.“ Er hofft, ihnen weiterhin Beständigkeit für ihren Arbeitsplatz zusichern zu können. „Wenn die Grenzen erreicht sind, die Moral und Motivation in der Gesellschaft nach unten geht, bekomme ich tierische Bauchschmerzen“, meint der Familienvater.

Er selbst sieht sich seit mehreren Jahren dazu verpflichtet, seinen Anteil zu einem nachhaltigeren Fahrgeschäftswesen schrittweise beizutragen. „Wenn Sie hier auf dem Rummel auch nur fünf Glühbirnen finden, bekommen Sie von mir drei Tage freie Fahrt. Inzwischen sind 99 Prozent hier alles LED“, sagt Krämer und verweist auf Nachhaltigkeitsstudien des Deutschen Schaustellerbundes (DSB).

Schausteller-Präsident Albert Ritter kontert: „40 Prozent des Stromes, der auf der Kirmes verbraucht wird, sind für Wohnwagen und mobile Sozialräume. Also wenn wir jetzt die Kirmes abschalten und die Schausteller zu Hause bleiben, gehen diese 40 Prozent ja nicht weg.“ Für ihn sei die Forderung, Fahrgeschäfte und anderweitige Attraktionen zu verbieten „vollkommen abstrus“, da kein Erdgas, sondern ausschließlich Propangas, ein Abfallprodukt der Benzin-Herstellung aus deutschen Raffinerien, verbraucht werde. Dass die Preise für Propangas um bis zu 30 Prozent steigen, verschärfe die Situation der Schausteller.

Die Schausteller in Meißen sind jedenfalls froh, auch dieses Jahr wieder Besucher begrüßen zu dürfen. „Wenn die Leute irgendwann kein Geld mehr haben, sparen sie zuerst bei uns. Aber das Vergnügen ist das beste Antidepressivum. Es ist mein Leben.“