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Meißen: Ein Schlafsack, der vielleicht Leben retten kann

Ein Multifunktions-Schlafsack für obdachlose Menschen: Sowas gibt es jetzt in Meißen, vorerst auf Leihbasis.

Von Andre Schramm
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Matthias Kügler und Sandra Knorr (GSF) mit dem Sheltersuit, einem Schlafsack, der zur Winterjacke umfunktioniert werden kann.
Matthias Kügler und Sandra Knorr (GSF) mit dem Sheltersuit, einem Schlafsack, der zur Winterjacke umfunktioniert werden kann. © Claudia Hübschmann

Meißen. Sandra Knorr sitzt in ihrem Büro über dem "KulturCafé Schiffchen" an der Siebeneichener Straße. An der Wand lehnen mehrere große Rucksäcke. Die Etiketten sind noch dran. Man liest XL, L und andere Größen. Die Dinger erinnern ein wenig an diese wasserdichten Taschen, die man gern zum Paddeln oder Zelten mitnimmt. "Es sind sogenannte Sheltersuits", erklärt die 42-Jährige.

Aus dem Inneren des Rucksacks holt sie wenig später eine Art Ganzkörperanzug hervor. "Er besteht aus zwei Teilen – einer Jacke und einem Fußsack", erklärt die Sozialarbeiterin weiter. Beides ist durch einen Reißverschluss miteinander verbunden. Beide Teile sind innen gut gefüttert, und außen wasser- und schmutzabweisend. Um es kurz zu machen: Der Sheltersuit ist Schlafsack und Winterjacke zugleich, und für Menschen, die im Freien schlafen gedacht. In Meißen? Echt jetzt? Sandra Knorr nickt.

Aus alten Schlafsäcken genäht

Die Geschichte dazu nimmt vor ein paar Jahren ihren Anfang. "Ich hatte eine Dokumentation über die Sheltersuit-Foundation gesehen, und war begeistert von dem Konzept", sagt Sandra Knorr. Der Gründer dieser Organisation Bas Timmer, Niederländer und eigentlich Modedesigner, hatte einen Todesfall im Freundeskreis. "Der Vater seines Freundes war gestorben – an Unterkühlung. Er lebte auf der Straße", erzählt Knorr weiter.

Timmer entschied sich, nicht für den Laufsteg zu designen, sondern Obdachlosen zu helfen – in doppelter Hinsicht. "Er entwarf den Sheltersuit nach den Bedürfnissen von Obdachlosen und stellte dazu Menschen ein, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hatten", so Knorr. Für das Innere des Sheltersuits werden seither gespendete Schlafsäcke verwendet und umgenäht. 300 Euro kostet ein Exemplar. Hauptabnehmer sind in der Regel Hilfsorganisationen.

Irgendwann stand eine Frau bei ihr vor dem Büro, und mit ihr ein Meißner, der kein Zuhause hatte. Sandra Knorr griff zum Telefon und rief bei der Foundation in den Niederlanden an. "Zur Bestellung kam es nicht, da der Obdachlose wenig später eine Wohnung fand", so Knorr weiter. 2023 übernahm der Gemeinnützige Soziale Förderkreis (GSF) dann die Soziale Wohn(raum)beratung vom Landkreis. Knorr und ihr Kollege Matthias Kügler hatten fortan also viel mit Menschen zu tun, die entweder ihre Wohnung verloren hatten, oder kurz davor standen.

"Nicht jeder nimmt Hilfe an"

In dieser Funktion versuchen sie sich mit Vermietern und Anwälten zu einigen, um die drohende Wohnungslosigkeit ihrer Klienten zu vermeiden. Das klappt häufig, manchmal aber auch nicht. "Man muss in dieser Situation beide Seiten sehen. Nur auf den Vermieter zu schimpfen, ist falsch und bringt auch nichts", sagt sie. Sind alle Messen gelesen, muss eine Notwohnung her. Das Jobcenter und die Stadtverwaltungen im Landkreis sind eng eingebunden. "Die Zusammenarbeit klappt wirklich reibungslos", sagt die 42-Jährige. Die Fälle seien teilweise sehr komplex. Klienten bekommen ein paar Türen weiter zusätzlich Hilfe durch die Kontakt- und Beratungsstelle, die Beratungsstelle für Menschen über 60 Jahre und über die "Helfenden Hände". Kurze Wege also.

Was sie aber auch erzählt: "Nicht jeder nimmt Hilfe an." Wo die Mitwirkung versagte, kam ihr der Sheltersuit wieder in den Sinn. Also organisierte sie Sponsoren. Genaugenommen war das nicht ihre Aufgabe. Sie steckte inzwischen aber zu tief im Thema drin. Zu oft kam auf die Frage, wo man denn jetzt wohne, nur ein "draußen".

Sandra Knorr berichtet in dem Zusammenhang von Menschen, die in Hinterhöfen, Gartenlauben und Abrisshäusern wohnen, fast unsichtbar für die Öffentlichkeit. Nicht nur in Meißen, sondern landkreisweit. Sie erfuhr auch, dass es Menschen gibt, die im Winter zwischen Bad Schandau und Meißen-Triebischtal mit der S-Bahn pendeln, um warm zu bleiben. Manchmal platzte auch das vorübergehende Arrangement bei Freunden, weil man sich gezofft hatte und stand plötzlich auf der Straße. Die Notwendigkeit der Multifunktions-Schlafsäcke stieß auch bei ihrer Chefin Ilona Dallmann auf offene Ohren.

Familie Hannot und Sandra Knorrs Bruder Heiko legten dafür zusammen. Kurz vor Weihnachten traf die Lieferung ein: sechs Sheltersuits, in verschiedenen Größen. Angedacht ist ein Leihsystem. "Wir haben keine Erfahrungen, wie die Resonanz ausfällt", gibt Sandra Knorr zu. Es handle sich um eine niederschwellige, funktionale Hilfe, die vielleicht auch nützt, um überhaupt einen ersten Kontakt mit Obdachlosen herzustellen, schiebt sie hinterher. Die Sheltersuits sind waschbar und für den Einsatz im gesamten Landkreis gedacht. Die ersten beiden Exemplare sollen demnächst an zwei Frauen übergeben werden. Eine stammt aus Radebeul, die andere aus Weinböhla.

Kontakt: www.gsf-meissen.de