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Was ist ungewöhnlich an Slowaken in Meißen?

AfD-Stadtrat Thomas Kirste interessiert sich für slowakische Staatsbürger und vermutet sogar Sozialbetrug. Doch ist das tatsächlich so?

Von Andre Schramm
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Blick in Richtung Poststraße. Im Februar gab es in dem Viertel einen Vorfall, an dem Slowaken beteiligt waren.
Blick in Richtung Poststraße. Im Februar gab es in dem Viertel einen Vorfall, an dem Slowaken beteiligt waren. © Claudia Hübschmann

Meißen. Thomas Kirste macht sehr gern von seinem Anfrage-Recht als Stadtrat Gebrauch. Eine seiner letzte Anfragen an die Meißner Stadtverwaltung widmete sich einer Bevölkerungsgruppe, die bislang kaum öffentlich in Erscheinung getreten ist: den Slowaken. Im Vorspann zu seinen Fragen ist von einem angeblich ungewöhnlich hohen Zugang slowakischer Staatsbürger nach Meißen die Rede. „Da unter diesen Zuzüglern viele Kinder beobachtet werden, wird von verschiedenen Seiten eine neue Strategie des Missbrauchs der EU-Freizügigkeit zur Abschöpfung von Geldern aus dem Sozialstaat gemutmaßt“, heißt es da.

57 slowakische Kinder und Jugendliche

Die Zahlen: Waren Ende des Jahres 2015 nur elf Menschen aus der Slowakei in Meißen gemeldet, so waren es zum Stichtag 31. Dezember 2021 61. Ein Jahr später 131. Zum 31. August 2023, so teilte die Stadtverwaltung mit, stieg die Zahl noch einmal leicht auf 139 (Stand 31. August 2023). Eine Unterscheidung zwischen Neu- und Wiederanmeldungen sei laut Stadtverwaltung nicht möglich. Es handelt sich um Bestandszahlen zum jeweiligen Stichtag (31. 12), hieß es. Bis zum 31. August dieses Jahres waren unter den 139 gemeldeten Slowaken auch 57 Kinder und Jugendliche.

Kirste wollte zudem wissen, wie viele Kinder in den Einrichtungen der Stadt angemeldet sind? Nach Angaben der Stadtverwaltung wurden seit 2015 keine Betreuungsverträge für Kindergärten, Krippen und Horte angefragt bzw. abgeschlossen. Von 2015 bis 2021 besuchten vier Kinder mit slowakischer Herkunft die Schulen in städtischer Trägerschaft. Seit dem Schuljahr 2022/2023 sind es 14.

Ebenfalls für den AfD-Stadtrat von Interesse: Wie überprüft die Stadt, ob neu angemeldete Personen auch tatsächlich ihren Wohnsitz in Meißen haben. Demnach, so hieß es aus dem Rathaus, ist bei jeder Anmeldung eine Wohnungsgeberbestätigung vorzulegen. Kopien würden nicht akzeptiert. Zudem müssten alle in der Wohnung gemeldeten Personen mit ihren dazugehörigen Dokumenten persönlich im Einwohnermeldeamt vorstellig werden. Bei den Fragen hinsichtlich der Sozialleistungen verwies die Stadt zuständigkeitshalber auf das Landratsamt.

Welche Sozialleistungen bekommen EU-Bürger?

Haben nun EU-Ausländer Anspruch auf Bürgergeld? Kurze Antwort: Es kommt darauf an. "Personen, die aus dem EU-Ausland nach Deutschland zugezogen sind, können nur dann Leistungen nach dem Bürgergeldgesetz erhalten, wenn sie mindestens einer nicht untergeordneten Beschäftigung nachgehen, welche die nach dem SGB II bestehenden Bedarfe nicht vollumfänglich deckt", teilt das Landratsamt auf Nachfrage mit. Heißt, wer hier einem richtigen Job nachgeht, aber so schlecht bezahlt wird, dass der Lohn nicht für den Lebensunterhalt reicht, kann über das Bürgergeld aufstocken. Voraussetzung: Der potenzielle Empfänger muss seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland haben. Das Prüfverfahren läuft genauso wie bei deutschen Staatsbürgern ab.

"Stellen diese Personen im Jobcenter einen Antrag auf Bürgergeld, wird bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung die Vorlage der Meldung beim Einwohnermeldeamt abgefordert, um zu prüfen, ob der Wohnsitz innerhalb des Landkreises liegt", erklärt Anja Schmiedgen-Pietsch, Pressesprecherin des Landratsamtes. Zudem würden die vorgelegten Beschäftigungsverträge und Mietverträge auf Plausibilität geprüft. Insbesondere müsse der vereinbarte Beschäftigungsort vom Wohnort aus erreichbar sein.

Verhinderung von Sozialbetrug

Um Sozialbetrug zu verhindern, gibt es mehrere Mechanismen. "Die im Miet- bzw. Leistungsantrag angegebene Anzahl der in der Wohnung lebenden Personen muss zur Wohnungsgröße passen. Geben etwa eine Mehrzahl von Antragstellenden die gleiche Anschrift an, wird geprüft, ob das Gebäude ein Wohnen mit der Vielzahl von Personen zulässt", so Schmiedgen-Pietsch. Betriebs- und Heizkostenabrechnungen mit sehr geringen Verbräuchen würden ebenfalls zum Anlass genommen, um zu prüfen, ob die Antragstellenden ihren Lebensmittelpunkt tatsächlich im Landkreis Meißen haben und in der angegebenen Wohnung auch leben.

Anders verhält es sich bei Mehrfachanmeldungen. "Eine programmtechnische Unterstützung gibt es nicht", teilt das Landratsamt weiter mit. Heißt: Meldet sich jemand in mehreren Jobcentern an, leuchtet kein Lämpchen auf. Dies könne nur durch eine entsprechende Anfrage beim betroffenen Träger geprüft werden, vorausgesetzt man hegt den entsprechenden Verdacht. Ergeben sich Zweifel, werden Hausbesuche veranlasst – unabhängig von der Nationalität der Leistungsempfänger.

Elterngeld erhält, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Die Antragstellenden haben dies nachzuweisen, zum Beispiel mithilfe einer entsprechenden Meldebescheinigung. Zuständig dafür ist das Kreissozialamt.

Aus der Statistik des Jobcenters des Landkreises Meißen geht hervor, dass zwischen 2015 und 10. Oktober 2023 insgesamt 28 Bedarfsgemeinschaften mit slowakischem Hintergrund Leistungen nach SGB II (Bürgergeld) bewilligt bekommen haben. Elterngeld wurde seit 2017 insgesamt 17 Mal bewilligt. Gesamtvolumen hier: rund 180.000 Euro. Hinzu kommen noch sechs Anträge (seit 2015) für Leistungen nach Grad einer Behinderung bzw. nach dem Landesblindengesetz.

Hausmeister verprügelt

Weder die Stadt, noch das Landratsamt oder die Polizei führen eine Statistik darüber, wie oft es zu Übergriffen auf Stadt- oder Landkreispersonal in den jeweiligen Ämtern kommt. Auch das war eine Frage des AfD-Stadtrates gewesen. Die Stadtverwaltung Meißen teilte lediglich mit, dass es immer wieder zu Beleidigungen oder ausfälligen Bemerkungen komme. In einigen Fällen müsse auch der Ordnungsdienst oder die Polizei hinzugezogen werden. Ausfällige Bemerkungen, so schreibt Meißens Ordnungsamts-Chefin Belinda Zickler in der Antwort auf Kirstes Anfrage, erhielt man von allen Bevölkerungsschichten, unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildungsgrad oder Nationalität.

Was die Staatsbürger aus der Slowakei angeht, so wurden dieses Jahr (bis 7. November) 21 Straftaten mit 24 slowakischen Staatsbürgern als Tatverdächtige in der Stadt Meißen ermittelt. Insgesamt kam es im selben Zeitraum zu 1.290 Straftaten mit 843 Tatverdächtigen. Im Zusammenhang mit slowakischen Bürgern wurden u.a. Körperverletzungen (vier Straftaten), gefährliche Körperverletzungen (drei Straftaten), Bedrohungen (drei Straftaten), „Diebstahl ohne erschwerende Umstände“ (drei Straftaten) bekannt. "Für die Jahre 2021 und 2022 liegt die Anzahl der durch slowakische Tatverdächtige verübten Straftaten auf nahezu gleichem Niveau", so Marko Laske von der Pressestelle der Polizei.

Ein Vorfall mit Beteiligung slowakischer Staatsbürger ist dennoch erwähnenswert. Er ereignete sich im Bereich Poststraße/Obergasse. Nach SZ-Informationen wurde im Februar ein deutscher Hausmeister von einer slowakischen Hausgemeinschaft zusammengeschlagen. Er hatte dem Vernehmen nach wiederholt auf die korrekte Müllentsorgung hingewiesen. "Der beschriebene Fall ist polizeilich als gefährliche Körperverletzung gem. § 224 Strafgesetzbuch (StGB) angezeigt worden und befindet sich derzeit noch in Bearbeitung", hieß es von der Pressestelle der Polizei. Da es sich um ein laufendes Verfahren handle, könne man keine weiteren Auskünfte geben.

Für Thomas Kirste ist die ganze Sache noch nicht vollends aufgeklärt. Von 57 gemeldeten Kindern (und Jugendlichen) gehen nur 14 in Schulen. "Wird hier die Schulpflicht verletzt oder wohnen die Kinder überhaupt nicht hier und es wird nur Kindergeld ausgezahlt?", fragt er und fordert Aufklärung. Er hat einen neuen Fragenkatalog an die Stadtverwaltung geschickt.