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Lommatzsch: "Von einem Krisenjahr möchte ich nicht sprechen"

Trotz Inflation, hoher Energie- und Baupreise hat Lommatzsch im Vorjahr viel investiert. Und hat auch für 2024 einiges vor, sagt Bürgermeisterin Anita Maaß.

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Anita Maaß (FDP ) ist seit 2005 Bürgermeisterin der Stadt Lommatzsch und inzwischen auch Vorsitzende der FDP in Sachsen.
Anita Maaß (FDP ) ist seit 2005 Bürgermeisterin der Stadt Lommatzsch und inzwischen auch Vorsitzende der FDP in Sachsen. © Sven Ellger

Frau Maaß, Sie sind nicht nur Bürgermeisterin von Lommatzsch, sondern auch Vorsitzende der FDP in Sachsen. Laut einer aktuellen Umfrage liegt Ihre Partei derzeit im Land bei gerade mal einem Prozent. Wie wollen Sie bis zum September das Ruder herumreißen, um den Einzug in den Landtag zu schaffen?

Die Leute erwarten liberale Politik mit Vernunft und dem Blick für die Realität, gemacht von Leuten aus der Praxis für die Praxis. Wir werden dafür am Sonnabend unser Team wählen und im Mai unser Wahlprogramm vorstellen. Die FDP wird als Korrektiv in der Regierung stärker gebraucht denn je. Wir sind die einzige Kraft, die keine Angst davor hat, Unternehmen und Bürgern Selbstverantwortung zurückzugeben und bürokratische Gängelei abzubauen. Außerdem werden Wahlen am Wahltag entschieden, nicht in Umfragen.

Sie wollen nicht für den Landtag kandidieren, der Spitzenkandidat der FDP Robert Malorny ist nur Insidern bekannt. Und nun ist mit Holger Zastrow noch das bekannteste Gesicht der Partei in Sachsen aus der FDP ausgetreten. Wie soll das funktionieren?

Welche Politiker in Sachsen sind denn außer MP Kretschmer und die Minister Dulig und Köpping bekannt? Und wofür stehen sie in Sachsen? Während der Ministerpräsident gegen die Ampel in Berlin schießt, sollte er lieber Führungsstärke in seiner Regierung mit SPD und Grünen in Sachsen beweisen. Stattdessen regieren Stillstand, Wegducken vor Problemen und Unfähigkeit, wie es zuletzt das Landwirtschaftsministerium mit den verpatzen Auszahlungen der Agrarhilfen bewies. So kann das nicht weitergehen, und dafür werden wir einen ordentlichen Wahlkampf führen.

170.000 Euro Betriebskosten gespart

Kommen wir zu Lommatzsch. 2023 war das dritte Krisenjahr in Folge. Wie hat sich das auf die Stadt ausgewirkt?

Natürlich spüren auch unsere Bürger die hohen Energiepreise und die Inflation. Wir als Stadt mussten für die Sach- und Betriebskosten unserer städtischen Objekte 21 Prozent mehr ausgeben als im Jahr 2022. Dennoch verliefen die Ausgaben moderater als wir erwartet hatten. So benötigten wir im Vergleich zum Planansatz sogar 170.000 Euro weniger. Damit haben wir eine bessere finanzielle Ausgangslage für das Jahr 2024. Deshalb möchte ich für unsere Stadt nicht von einem Krisenjahr sprechen.

Gebaut wurde im Vorjahr vor allem am Rathaus. Sind die Arbeiten nun abgeschlossen?

Nein. Wegen strengerer Brandschutzvorschriften für öffentliche Gebäude mussten wir den Brandschutz ertüchtigen. So wurden beispielsweise im Obergeschoss Glaswände und Türen eingebaut. Parallel dazu wurde das Datennetz der Verwaltung erneuert. Diese Arbeiten werden noch eine Weile dauern. Im Frühjahr sollen die Bauarbeiten aber abgeschlossen sein.

Gab es noch mehr Investitionen für den Brandschutz?

Ja. Wir haben im vergangenen Jahr ein neues Fahrzeug für rund eine halbe Million Euro, von denen die Hälfte gefördert wird, für die Ortsfeuerwehr Lommatzsch bestellt. Ich hoffe, dass es bis Ende dieses Jahres ausgeliefert wird. Im Ringtausch wird die Ortswehr Wachtnitz ein über 30 Jahre altes Fahrzeug außer Betrieb nehmen und aus der Ortswehr Lommatzsch ein besseres Löschfahrzeug bekommen. Außerdem beteiligen wir uns an einer Sammelbestellung mit vier weiteren Städten für ein Löschfahrzeug mit einem 4.000-Liter-Wassertank, um die Verfügbarkeit von Löschwasser für die Ortsteile zu verbessern.

Apropos Wachtnitz. Das dortige Dorfgemeinschaftshaus sollte zum Wohnhaus umgebaut und dort auch die Ortsfeuerwehr ein neues Domizil erhalten. Was ist aus dem Projekt geworden?

Das Projekt Bürgerhaus werden wir aus Kostengründen als städtisches Projekt nicht weiterverfolgen. Deshalb hat der Stadtrat sich für den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses entschieden. Der erste Spatenstich ist bereits erfolgt. Wenn es fertig ist, wollen wir das Bürgerhaus gern an einen privaten Bauträger für die Schaffung von Wohnungen verkaufen.

Probleme mit Solarlampen

In der Stadt und den Ortsteilen wurden in den vergangenen Jahren auf energiesparende LED-Lampen und teils auch auf Solar umgestellt. Welche Einsparungen gab es dadurch?

Die Kosten für die Anschaffung der LED beziehungsweise der gesamten neuen Ortsbeleuchtung und die Einsparungen durch die neue Technik halten sich in etwa die Waage. 2023 erhielten Churschütz, Birmenitz und Poititz moderne Straßenlampen, in Zöthain wurde mit der Umrüstung begonnen. Weniger zufriedenstellend sind unsere Erfahrungen mit Solarlampen, die in zwei Ortsteilen versuchsweise aufgebaut wurden. Vor allem bei tagelangem trübem Wetter funktionieren sie nicht oder nicht richtig. Wir beobachten das und entscheiden, ob und wie Solarlampen auch für andere Ortsteile möglich wären.

Thema in Lommatzsch - und nicht nur dort - war und ist die Finanzlage. Wie sieht es derzeit aus, wie hoch ist der Schuldenstand, haben Sie immer noch das Ziel, schuldenfrei zu werden, und wenn ja, dann bis wann?

Die Schuldenfreiheit bezogen auf die Altkredite, die bis 2002 aufgenommen wurden, ist mit 35 Euro pro Kopf Ende des Jahres gewissermaßen erreicht. Beim Schützenhaus dauert es leider noch, deshalb habe ich immer von fast Schuldenfreiheit gesprochen. Augenblicklich sind es hier rund 111 Euro pro Kopf. Diese Kredite laufen noch mindestens zehn Jahre. Alle anderen Schulden sind rentierlich.

Ende vorigen Jahres hatten wir einen Schuldenstand von 1,376 Millionen Euro, das ist eine Pro-Kopf-Verschuldung von 286 Euro. Diese wird aber 2024 wieder steigen, da wir Kredite aufnehmen müssen für die Ertüchtigung des Abwasserkanals auf der Nossener Straße, um anschließend den Kanal auf der Zöthainer Straße sanieren zu können. Abschließen werden wir in diesem Jahr die erste große geförderte Maßnahme des Breitbandausbaus in den Ortsteilen. Ich bin auch sehr froh, dass es 2024 wieder Städtebauförderung geben wird. Dadurch können wir in den nächsten zwei Jahren endlich den Sachsenplatz sanieren.

Grundsteuer: Leicht steigende Einnahmen geplant

Ein großes Thema ist derzeit die Grundsteuerreform. Viele befürchten eine finanzielle Mehrbelastung. Halten Sie Ihr Versprechen, dass die Hebesätze so angepasst werden, dass es zu keiner Mehrbelastung der Eigentümer und Mieter kommen wird?

Ziel des Gesetzgebers war es, trotz möglicher Erhöhungen für den einzelnen Grundstückseigentümer das Steuervolumen insgesamt für die öffentliche Hand nicht zu erhöhen. Das ist auch unser bisheriges Ziel. Wir haben derzeit Einnahmen aus den Grundsteuern A und B von jährlich rund 750.000 Euro. Dieses Volumen wollen wir beibehalten.

Ob uns das angesichts der steigenden Ausgaben im Pflichtbereich der Stadt möglich sein wird, muss der Stadtrat spätestens nach der Kommunalwahl 2024 entscheiden. Wir werden aber erst im Sommer 2024 vom Finanzamt die Ergebnisse der Neubewertung der Grundstücke erhalten. Erst dann können wir berechnen, welchen Hebesatz wir anwenden müssen, um das Steueraufkommen insgesamt gleich hochzuhalten und Steuererhöhungen durch die Hintertür zu vermeiden. Für die mittelfristige Finanzplanung haben wir trotzdem aufgrund der Marktlage mit leicht steigenden Einnahmen gerechnet.

Viele Diskussionen gibt es über den Ausbau der Windenergie, insbesondere der Bau noch größerer Anlagen auf dem Tummelberg. Wie ist hier der Stand?

Auf dem Tummelberg werden in den nächsten Jahren weiterhin Windkraftanlagen stehen und alte Anlagen gegen neue Anlagen ausgetauscht. An den rechtlichen Grundlagen kann die Stadt Lommatzsch nichts ändern. Erstmals können wir aber als Stadt die Art und Weise eines Vorranggebietes mitgestalten. Ob wir das Angebot annehmen, liegt in unserer Hand. Der Stadtrat wird dazu in einer der nächsten Sitzungen einen wie auch immer gearteten Beschluss fassen.

Ein Ärgernis ist seit Jahren das geschlossene Freibad. Zeichnet sich dafür in absehbarer Zeit eine Lösung, eine andere Nutzung, ab?

Leider nicht. Im Stadtrat ist aktuell kein Wille erkennbar, über das Thema einer Nachnutzung zu diskutieren. Die Aufgabe muss der neue Stadtrat lösen.

Auch Lommatzsch hatte Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Wie viele sind das derzeit? Haben Sie als Stadt noch Aufnahmekapazitäten?

Etwa 50 ukrainische Flüchtlinge sind in der Stadt privat untergebracht. Wir selbst haben keine Kapazitäten mehr. Diejenigen, die in drei städtischen Wohnungen lebten, sind wieder zurückgegangen. Die Wohnungen wurden anderweitig vermietet. Dem Landratsamt haben wir zwei Wohnungen für Ukraineflüchtlinge angeboten, von diesem aber nicht angenommen.

Lommatzsch ist zwar eine Stadt, aber dörflich geprägt, hier gibt es einen der größten Landwirtschaftsbetriebe im Landkreis und viele kleinere. Wie stehen Sie zu den Protesten der Bauern wegen der geplanten Subventionskürzungen?

Die Bauern haben im Kern recht, die Probleme wachsen aber schon seit längerem auf. Die jetzt geplante Streichung von Subventionen brachte das Fass zum Überlaufen. Diskussionen um den Subventionsabbau ist nur ein Symptom für das tieferliegende Problem einer Agrarpolitik, die die Fähigkeiten der Landwirte zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Bewirtschaftung bezweifelt und sie aus einem allgemeinen Misstrauen heraus ans Gängelband von Bürokratie und Vorschriften legt. Bauern, die dem europäischen Wettbewerb unterliegen, brauchen gleiche Rahmenbedingungen für alle. Wir wollen Landwirte in Sachsen, die sich durch den Verkauf ihrer Produkte ihren Wohlstand aufbauen können.

Der Wunsch der Fußballer nach einem Kunstrasenplatz ist ja schon vor mehr als zwei Jahren geplatzt. Stattdessen trainieren Nachwuchsmannschaften jetzt in Schieritz. Funktioniert das?

Der Kunstrasenplatz hat sich wegen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses und der Hochwassergefahr erledigt. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, den Hartplatz für die Fußballer zu erhalten. Für den Nachwuchs haben wir in Schieritz Hallenzeiten für den Winter angemietet. Leider ist der Kleinbus, den die Vereine nutzen könnten, aktuell kaputt. Die Fahrten werden derzeit privat organisiert. Ein neuer Kleinbus ist aber schon bestellt.

Das Gespräch führte Jürgen Müller.