SZ + Meißen
Merken

„Wir versuchen, nah dran zu sein“

Die Arche Meißen hat für die Zeit der Schulschließungen neue Angebote auf die Beine gestellt. Vieles läuft digital, aber es gibt auch echte Begegnungen.

 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Viertklässlerin Lou-Jane braucht vor allem Hilfe beim Lesen und Schreiben. Deshalb geht sie in die Arche, wo sie zum Beispiel von Marcel Bretschneider Einzelunterricht bekommt.
Die Viertklässlerin Lou-Jane braucht vor allem Hilfe beim Lesen und Schreiben. Deshalb geht sie in die Arche, wo sie zum Beispiel von Marcel Bretschneider Einzelunterricht bekommt. © Claudia Hübschmann

Von Beate Erler

Der Hausaufgabenraum liegt im ersten Stock des Gebäudes, in dem das Kinder- und Jugendprojekt der Arche in Meißen seit zehn Jahren sein Revier bezogen hat. Hier sitzt Lou-Jane, die in die vierte Klasse der Afra-Grundschule Meißen geht. Es ist zehn Uhr morgens und normalerweise wäre sie jetzt mit ihren Mitschülern im Klassenzimmer und würde Deutsch oder Mathe büffeln. Seit Mitte Dezember sind die Schulen wegen des zweiten Corona-Lockdowns geschlossen und die Schüler in der „häuslichen Lernzeit“. Sonst geht sie nach der Schule immer in den Hort und macht dort ihre Hausaufgaben: „Jetzt muss ich alles zu Hause machen und meine Familie kann nicht so gut deutsch“, sagt das Mädchen, das aus Syrien kommt.

In der Arche gibt es fünf Pädagogen, die sich um die Schulbetreuung der etwa 70 Kinder kümmern, die sonst hier rumwuseln. Seit einigen Wochen ist es sehr ruhig und nur etwa zwei bis drei Kinder kommen pro Tag zum Einzelunterricht: „Das ist die Auflage, dass wir momentan nur Eins-zu-eins-Betreuung anbieten dürfen“, sagt der stellvertretende Leiter, Marcel Bretschneider. Er wird Lou-Jane heute helfen: „Also Hausaufgaben raus“, sagt er und lacht. Heute ist eine Leseaufgabe zum Thema Wale zu machen. Die Schülerin liest den Text laut vor und soll dann die Frage beantworten, ob der Wal ein Fisch oder ein Säugetier ist: „Lies mal den Absatz hier, denn da steht die Antwort schon drin“, ermutigt Marcel Bretschneider.

Diese Einzelbetreuung ist eines der Angebote der Arche für die Kinder und Jugendlichen aus Meißen. Außerdem gibt es jeden Tag am Vormittag und am Nachmittag einen Live-Videochat für jeweils zwei Stunden zum gemeinsamen Hausaufgabenmachen. Viele der Kinder, die zur Arche kommen, essen hier auch Mittag, weil das Geld zu Hause oft knapp sei, sagt Marcel Bretschneider. Deshalb bieten sie jetzt täglich Mittagessen zum Mitnehmen an: „Das sind etwa 70 Portionen am Tag.“ An drei Tagen der Woche gibt es ein warmes Essen und sonst Brot und Brötchen, die eine „Unser Bäcker“-Filiale aus Meißen spendet.

Für die neuen Projekte arbeiten die Arche-Mitarbeiter enger mit den Meißner Schulen zusammen: Es sind die Afra-Grundschule, die Johannesschule, die Questenberg-Grundschule und die Kalkbergschule zur Lernförderung. „Wir fragen bei den Schulen nach, wer von den Schülern die größten Probleme hat und dann setzen wir uns mit den Familien in Verbindung“, sagt Marcel Bretschneider. Ganz oft geht es aber auch um ganz Praktische Dinge: Hier fehlt der Drucker oder die Lernplattform Lernsax wird nicht verstanden: „Wir drucken die Hausaufgaben dann aus und liefern sie nach Hause und helfen auch bei technischen Problemen.“

Trotz dieser Unterstützung weiß der Arche-Leiter von den schwierigen Umständen der Familien und Kinder, die gerne wieder in die Schule wollen: „Viele werden einfach so durchgeschleift, aber den Stoff, den sie jetzt nicht verstehen, kriegen sie im nächsten Schuljahr nicht nachgeholt“, sagt Marcel Bretschneider. Er ist selbst Vater von einem Kind, das in die dritte Klasse geht und spricht aus eigener Erfahrung. Anfang der Woche machen sie einen Plan, wie sie bis zum Freitag alle Aufgaben schaffen. Das Kind muss lernen, wie ein ordentlicher Arbeitsplatz aussieht und immer wieder motiviert werden.

Für Lou-Jane ist das Lernen zu Hause nicht einfach: „Am schwersten fällt mir das Lesen und Schreiben“, sagt sie. Ihre beiden Geschwister gehen mittlerweile in die Notbetreuung. Jetzt kann sie sich zu Hause besser konzentrieren. Ihre kleine Schwester muss die erste Klasse schon wiederholen, weil im letzten Jahr zu viel ausgefallen ist. Doch nicht alle Schüler sind so motiviert wie Lou-Jane und kommen freiwillig zur Einzelbetreuung oder nutzen den Videochat. „Wir versuchen, trotz allem, nah dran zu sein“, sagt Marcel Bretschneider, „aber oft bekommen wir auch keine Rückmeldung“, sagt er.

So gäbe es einige Kinder, die ihre Aufgaben seit November nicht mehr gemacht haben. Dann greife die sogenannte aufsuchende Familienarbeit. Die Arche-Mitarbeiter besuchen die Familien und versuchen herauszufinden, woran das liegt. Die Gründe seien ganz verschieden: Technikprobleme, fehlende Motivation oder einfach Nichtwissen. Auch Lou-Jane hat Angst, dass sich ihre Noten in der nächsten Zeit verschlechtern. Und Marcel Bretschneider findet: „Die Kinder müssten alle die Möglichkeit haben, das Schuljahr zu wiederholen.“