SZ + Freital
Merken

Das ist der neue Besitzer der Grützner-Villa in Freital und das hat er vor

André Wagner und seine Ehefrau Diana haben sich den Traum vom eigenen Haus erfüllt - gänzlich anders als zunächst gedacht. Was sie nun planen.

Von Annett Heyse
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
André Wagner ist nun der Hausherr in der rund 120 Jahre alten Fabrikantenvilla an der Freitaler Bergstraße.
André Wagner ist nun der Hausherr in der rund 120 Jahre alten Fabrikantenvilla an der Freitaler Bergstraße. © Egbert Kamprath

Manchmal kommt doch alles ganz anders, als man denkt. Eine Villa? André Wagner lässt sich das Wort noch einmal durch den Kopf gehen - eine Villa, das klinge ja nach Extravaganz. Nach Reichtum, mit dem man nicht weiß, wohin damit. Nach dicken Autos vor der Haustür. Wagner schaut zu seinem Opel Astra, der im Hof parkt. "Ganz ehrlich, wir sind normale Leute." Zwar keine, die schlecht verdienen - Wagner arbeitet als Anwalt. Aber eben auch keine finanziellen Schwergewichte.

Dennoch sind André Wagner und seine Ehefrau Diana nun Villenbesitzer. An der Bergstraße hinter dem Edelstahlwerk auf Deubener Flur, die sich für viele wie Hainsberg anfühlt, haben sie die Grützner-Villa gekauft.

Das geräumige Haus mit 320 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf drei Etagen, bot bis vor kurzem drei Familien ein Zuhause. Ein Mediziner hatte es als Geldanlage-Objekt 2008 erworben, sanieren lassen und die drei Wohnungen anschließend vermietet. 2021 wollte er das Gebäude verkaufen, 1,45 Millionen Euro waren damals für die Villa und ein dazugehöriges 9.000 Quadratmeter großes Grundstück aufgerufen. Monate später stolperten die Wagners im Internet über die Immobilienanzeige.

Preisschock bei Suche nach Eigentumswohnung

André Wagner und seine Frau waren zu dem Zeitpunkt von Frankfurt/Main über Berlin nach Dresden gezogen. "Meine Frau stammt aus Rammenau in der Oberlausitz, Dresden ist unsere Lieblingsstadt. Hier sind wir jedes Jahr auf den Striezelmarkt gegangen und haben schließlich in Dresden geheiratet", erzählt André Wagner.

In der Landeshauptstadt waren sie, wie schon in ihren Wohnungen zuvor, Mieter. Aber es lockte die Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden. "Wir dachten an eine moderne Neubauwohnung." Der Schock kam beim Blick auf die Kaufpreise. Die Wagners disponierten um und suchten in Dresdens Umgebung nach einem Haus. Radebeul, Weinböhla - sie klapperten etliche Dresdner Vororte und Nachbargemeinden ab. Im Internet ploppte dabei auch die Anzeige für die Villa an der Freitaler Bergstraße auf.

"Beim ersten Mal haben wir das Angebot relativ schnell wieder weggeklickt", erinnert sich André Wagner. Ein Haus mit drei Wohnungen und Mietern drin war nicht das, wonach sie suchten. "Beim zweiten Mal haben wir gesagt: 'Wir fahren da jetzt mal hin.'"

Dieses bunte Glasfenster schmückt das Treppenhaus der Grützner-Villa. Unklar ist, ob es nach historischen Vorlagen entstand.
Dieses bunte Glasfenster schmückt das Treppenhaus der Grützner-Villa. Unklar ist, ob es nach historischen Vorlagen entstand. © Egbert Kamprath
Die Haustür ist neu, aber dem Original nachgebaut. Das Muster taucht auch an den Fensterstürzen und den Fensterrahmen wieder auf.
Die Haustür ist neu, aber dem Original nachgebaut. Das Muster taucht auch an den Fensterstürzen und den Fensterrahmen wieder auf. © Egbert Kamprath
Bauzeichnung der Grützner-Villa aus dem Stadtarchiv. Das Gebäude wurde um 1900 herum als Fabrikantenvilla errichtet.
Bauzeichnung der Grützner-Villa aus dem Stadtarchiv. Das Gebäude wurde um 1900 herum als Fabrikantenvilla errichtet. © Egbert Kamprath

Die Bergstraße, die Umgebung, die Zufahrt - alles sah aus, wie in einer ganz normalen Wohngegend. "Und drinnen sah das Haus auch ganz normal aus." Wagner hatte es irgendwie altertümlicher erwartet, aber die Räume wirkten zeitgemäß saniert. Ein Fenster mit farbigen Bleiglasornamenten, gemusterte Fußbodenkacheln um Treppenhaus und eine verzierte Eingangstür waren die wenigen Zugeständnisse an vergangene Zeiten. Und diese waren - wie André Wagner inzwischen erfahren hat - durchaus spannend.

Werbung mit Röntgen-X-Strahlen

Denn die Villa gehörte einst einer Familie Grützner. Kurt Eugen Grützner, Jahrgang 1862, war Industrieller und Direktor der Glasfabrik Grützner & Winter, die sich unweit der Villa ebenfalls auf Deubener Flur befand.

Lutz Ziegenbalg, ein Heimatforscher, hat etliche Fakten zu Grützners Leben zusammengetragen und auf einer Internetseite veröffentlicht. Mit einigen Patenten und Geschäftssinn hatte Kurt Eugen Grützner es zu Wohlstand gebracht.

Unter anderem wurden in seiner Fabrik Glaszylinder und Glocken für Petroleumlampen gefertigt, viele Produkte gingen ins Ausland. Mit dem Begriff Röntgen-X-Strahlen, die nichts mit der in der Medizin angewendeten Strahlung gemein hatte, warb die Firma für ihre Produkte - es war wohl eher eine Marketing-Idee, als dass die Lampen wirklich mehr Licht warfen. Auch produzierte das Werk, das ab 1897 Sächsische Glaswerke AG hieß, Glasziegel. Grützner war im Gemeinderat Deuben aktiv und in Industrieverbänden.

Dieser Herr, der hier im Garten der Grützner-Villa gemütlich seine Pfeife raucht, war wohl Kurt Eugen Grützner. Ganz sicher ist das aber nicht.
Dieser Herr, der hier im Garten der Grützner-Villa gemütlich seine Pfeife raucht, war wohl Kurt Eugen Grützner. Ganz sicher ist das aber nicht. © Egbert Kamprath

Um 1900 ließ er die Villa bauen und besaß weiteres Bauland in der Umgebung, das sich nach und nach mit neuen Häusern füllte. Zwischenzeitlich wurde die Wohngegend als "Grützner-Viertel" bezeichnet. Dieser Begriff ist auf alten Ansichtskarten zu finden. 1935 starb Grützner. Seine Tochter Armgard Harmeling lebte, später völlig verarmt, noch bis 1969 in dem Haus, wo sie schließlich auch starb.

Zu dem Zeitpunkt wohnten wohl auch andere Familien in der Villa. Ob sie da noch in Privatbesitz war oder staatlich bzw. genossenschaftlich verwaltet wurde, ist dem jetzigen Hausherrn nicht bekannt. "Ich versuche gerade noch, dazu einiges herauszubekommen", sagt André Wagner. Er kaufte Anfang 2023 das Haus, war aber mit seiner Frau schon zwei Monate zuvor eingezogen. Zunächst wohnte er unterm Dach, dann in der mittleren Etage und nun im Erdgeschoss, wo sich einst die Bedienstetenwohnung befand.

Neue Ferienwohnung unterm Dach

Rein preislich habe er sich mit dem Vorbesitzer auf eine Summe im sechsstelligen Bereich geeinigt, weil das Grundstück zuvor noch geteilt wurde. Dafür steht jetzt ein neues Einfamilienhaus am Fuße der Villa.

Die Wagners können damit leben, ein Großgrundbesitzer wollte er ja nie werden, sagt André Wagner. Ohnehin hatten sie in den vergangenen Monaten ganz andere Aufgaben zu bewältigen. "Wir haben im Haus unter anderem zwei neue Küchen aufgebaut und renoviert, haben den Wildwuchs im Garten gelichtet, unterm Dach eine Ferienwohnung eingerichtet." Die Ferienwohnung geht jetzt in die Vermietung, die Wagners sind schon gespannt auf die ersten Gäste, Anfragen gibt es bereits.

Stellt sich die große Frage, was mit der mittleren Etage wird. André Wagner öffnet eine Tür und bittet in einen spärlich möblierten Raum mit Fischgrätenparkett. Kein Original aus der Zeit der Jahrhundertwende, wie er betont. Eine frühere Mieterin habe ihm erzählt, sie habe das Parkett zu DDR-Zeiten verlegen lassen. Was tun mit der Etage?

Vielleicht, überlegt André Wagner, könne man die Räume irgendwie kulturell nutzen. Für einen öffentlichen Leseabend zum Beispiel. Vor kurzem hatte er die Nachbarschaft in seine erste Etage eingeladen, insbesondere Menschen, die schon lange an der Bergstraße wohnen. Er wollte mehr über seine Villa und ehemalige Bewohner erfahren. "Wenn man mal überlegt, was das Haus hier alles erlebt hat: das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Krieg, die DDR-Zeit." André Wagner ist fasziniert von den Gedanken. Ein Haus mit Stil und Geschichte - das hätte er mit einer Neubau-Eigentumswohnung für denselben Preis nie bekommen.