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Mister Matthew, der Vorzeige-Schwule

In der Schule wurde Matthias Limmer gehänselt, geschlagen und bespuckt. Heute spielt er mit seiner Extravaganz. 

Von Henry Berndt
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Mister Matthew inszeniert sich als modisches Gesamtkunstwerk.
Mister Matthew inszeniert sich als modisches Gesamtkunstwerk. © Vanessa Thiel Photography

Und dann war er weg. Vom einen Moment auf den anderen war sein Instagram-Account samt 12.000 Followern im Nirwana verschwunden. Über Nacht von Unbekannten gehackt, nachdem Instagram kürzlich versehentlich Millionen Passwörter veröffentlicht hatte. „Ich war vollkommen vor den Kopf gestoßen“, sagt Matthias Limmer, der sich in dieser Welt lieber Mister Matthew nennt. Der 22-jährige Modeblogger gehört zu den bekanntesten und womöglich auch erfolgreichsten Influencern in Dresden, also zu einer Szene, in der öffentliche Aufmerksamkeit Gold und Geld wert ist.

Als einer der wenigen hauptberuflichen Influencer pflegt Mister Matthew sein öffentliches Ich nicht auf einer der bekannten Social-Media-Plattformen, sondern vor allem auf seinem eigenen Blog. „Das war mir immer wichtig und das ist jetzt mein großes Glück“, sagt er. „Sonst wäre ich jetzt richtig am Arsch.“ Soll heißen: Wer sein Profil nur auf einer einzigen Plattform wie Instagram aufbaut, läuft Gefahr, von einem Moment auf den anderen von der Bildfläche zu verschwinden. Und das ist das Letzte, was Mister Matthew gerade will.

Shooting in London
Shooting in London © Jade Danielle Smith

Stolz verkündet er, in diesem Jahr den einmillionsten Klick auf seine Webseite registriert zu haben. Jeden Monat erreiche er inzwischen 40.000 Menschen. Das hören Werbekunden gern, und davon gibt es eine ganze Menge, wie er sagt. Zu seinen Auftraggebern gehörten schon Schwergewichte wie Levis, Otto, Flaconi und Vichy.

Ihr Produkte bindet er mehr oder wenigen unauffällig in seine Blogeinträge ein und bekommt dafür Geld. Provisionslinks direkt zum Onlineshop gibt zusätzlich. „Ich bin quasi ein Ein-Mann-Verlagshaus“, sagt er. Klassisches Influencer-Marketing. Als einer der weniger männlichen Modeblogger hat Mister Matthew seine Nische gefunden. „Ich bin da irgendwie reingerutscht in diese Szene“, sagt er – aber glauben kann man ihm das nicht. Kaum ein anderer Blogger ist so umtriebig. Mister Matthew fährt mit Burka Straßenbahn, modelt auf der London Fashion Week, klettert für die Öffentlich-Rechtlichen auf den Kilimandscharo und will am liebsten als Weltraumtourist ins All fliegen. Aufmerksamkeit ist seine Währung – und mit der will auch gern handeln. Bereits dreimal veranstaltete er in Dresden Bloggertreffen, zu denen bis zu 80 Leute kamen.

Wer kann sich heute noch vorstellen, dass dieser Mister Matthew noch vor einigen Jahren am liebsten unsichtbar gewesen wäre. In der Schule wurde Matthias Limmer, der immer offen zu seiner Homosexualität stand, gehänselt, geschlagen und bespuckt. „Irgendwann habe ich gelernt, mit der Aufmerksamkeit der Leute zu spielen“ sagt er, „sie bewusst zu provozieren“. Er trug noch auffälligere Hemden und schminkte sich. Das half. Sein Selbstbewusstsein wurde größer und größer und größer – bis er es 2014 in eine Website goss, damit sich fortan jeder an seiner Extravaganz reiben sollte.

Ein Blick wie aus dem Werbeprospekt 
Ein Blick wie aus dem Werbeprospekt  © Vanessa Thiel Photography

Nach dem Abi begann Limmer ein Medienmanagementstudium in Mittweida, das er aber kurz darauf wieder abbrach. Seine Karriere als Modeblogger war ihm wichtiger, auch wenn er so realistisch ist, sich auf diesem Geschäftsmodell nicht sein ganzes Leben aufbauen zu wollen. „Zurzeit gibt es in der Branche eine Goldgräberstimmung, aber das kann in fünf oder zehn Jahren schon wieder vorbei sein.“ Jüngst begann er ein Fernstudium. Kann ja nicht schaden, solange es ihm nicht die Zeit für die wirklich wichtigen Dinge frisst. Jeden Tag braucht er neue Storys, neue Shootings. Nachschub an Klamotten und Accessoires kommt regelmäßig per Post. Die 20 Mäntel in seinem Schrank sieht er als Arbeitskleidung. „Vielleicht muss ich bald mal ein paar Sachsen spenden.“

Das wird spätestens dann nötig sein, wenn er seinen Schrank im Haus seiner Eltern in Klotzsche ausräumt, und auf die Insel übersiedelt. „Ein Leben in London wäre ein Traum für mich“, sagt er. „Dresden ist ein schwieriger Ort für Influencer und nicht gerade eine Modestadt.“

Dennoch will sein digitales Ich auch von hier aus weiter gefüttert werden. Nur wenige Stunden nach seinem Instagram-Desaster hat sich Mister Matthew ein neues Profil zugelegt. Dort heißt er jetzt „der.Matthew“.