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Mit Feuerlöscher in Russland

Sachsens Wirtschaftsminister und Firmenvertreter werben in Samara und Moskau für den Freistaat – und für Vertrauen.

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© smwa/koch

Von Michael Rothe

Man sieht es Martin Dulig an: Sachsens Wirtschaftsminister hat richtig Lust auf diesen Russland-Trip mit 23 Vertretern von Unternehmen und Hochschulen. Fünf Tage Abstand vom zuletzt so gescholtenen Sachsen, wo er als Vize-Regierungschef vorige Woche vor die Mikrofone geschickt worden war, um für den Selbstmord eines terrorverdächtigen Syrers geradezustehen – weil dem Ministerpräsidenten zunächst die Worte fehlten.

Unternehmerreisen wie die nach Samara, die erste einer sächsischen Abordnung seit 2007, sind eher das Ding des 42-jährigen SPD-Politikers. Dennoch ist es alles andere als eine Lustreise. Wie schon beim Sommer-Ausflug in den Iran droht im politisch aufgeladenen Umfeld vermintes Terrain, hagelt es schon vor dem Start Kritik ob des umstrittenen Agierens seiner Gastgeber in Syrien und der Ukraine. Soll man jetzt Putins Reich besuchen? „Es gibt immer welche, die das zu 100 Prozent richtig oder falsch finden – doch man muss differenzieren“, sagt der diplomierte Pädagoge.

Um sich nicht vorwerfen zu lassen, seine Delegation lasse sich instrumentalisieren, will er sich in Moskau auch mit dem führenden Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow treffen. Aber es sei „zuerst eine Wirtschaftsreise“, betont Dulig. Neben dem Wirtschaftsforum und individuellen Kooperationsgeprächen der Teilnehmer gestern in Samara hatte die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH auch Besuche der dortigen Luft- und Raumfahrtuniversiät, des Lada-Herstellers Avtovaz und anderer Firmen organisiert.

Am Dienstag unterzeichneten die TU Bergakademie Freiberg und die Staatliche Forschungsuniversität Samara, mit 19 000 Studenten eine führende Adresse des Landes, ein Kooperationsabkommen. Beide Einrichtungen fühlen sich seit Jahren verbunden. Nach Angaben von Rudolf Kawalla, in Freiberg Prorektor Forschung, ergänzen sich die Forschungsprofile, gibt es einen gemeinsamen Studiengang, ein gemeinsames Laboratorium, und seit Oktober weilen Gastwissenschaftler von der Wolga im Sächsischen und umgekehrt. Laut Vertrag soll das bereits vereinbarte Doppeldiplom auch auf Promotionen übertragen und ein Doktortitel von beiden Seiten bestätigt werden.

Schritt für Schritt zur Entspannung

„Wir hoffen, dass unsere Zusammenarbeit auf die Wirtschaft ausstrahlt, etwa die Autoindustrie oder die Luft- und Raumfahrt“, sagt Werkstoffexperte Kawalla. So gebe es in Samara einen der größten Hersteller von Aluminium-Werkstoffen. Der Wissenschaftler liebäugelt auch mit der Vermittlung von gemeinsamen Forschungsprojekten. Ähnlich äußert sich Michail Kowaljew, Vizerektor in Samara.

„Man muss Schritt für Schritt wieder zur Entspannung kommen“, sagt Martin Dulig. Zufrieden nimmt er zur Kenntnis, dass sich in der EU die Befürworter verschärfter Sanktionen nicht durchsetzen konnten. Schon vor gut einem Jahr hatte er aufgerufen, die Rolle Russlands neu zu betrachten. „Dabei muss auch die Sanktionspolitik der EU hinterfragt werden“, so der Minister im September 2015. Vor allem Sachsens Maschinenbauer leiden unter den Handelsbeschränkungen. Der Freistaat habe immer besonders gute Kontakte nach Russland gehabt, „daran wollen wir festhalten und diese wieder intensivieren“, sagt Dulig. Gleichwohl gelte das Völkerrecht für alle, auch für Russland, fügt er hinzu.

„Weder Staatsregierung noch Landtag, Bundestag oder Bundesrat entscheiden über die Sanktionen, sondern nur der Europarat“, definiert der Minister Sachsens Rolle eher als passiv. Uwe Tiegel, der mit seiner Schwester den Radeberger Anlagenbauer Tiegel GmbH führt und einen Firmenvertreter in Duligs Reisegruppe hat, sieht das anders. „Man muss doch Stellung beziehen“, fordert der Spezialist für Klimatechnik. „Die Politiker sind unsere ersten Außendienst-Mitarbeiter.“ Tiegels Heizungs-, Lüftungs- und Kühlungstechnologie kommt auch in Bohranlagen zum Einsatz. Wegen der Sanktionen darf er nur bedingt liefern. Folge: Das Russlandgeschäft ist von 50 Prozent Anteil auf ein Drittel geschrumpft – wie seine Belegschaft auf 21 Mitarbeiter. Die Präsidenten der drei Sächsischen Industrie- und Handelskammern (IHK) hatten im Februar in einem gemeinsamen Positionspapier den bis dahin aufgelaufenen Schaden für hiesige Unternehmen mit 250 Millionen Euro beziffert. Laut Dresdner IHK exportieren allein im Direktionsbezirk Dresden mehr als 300 Firmen in das einstige „Bruderland“, 35 unterhielten Niederlassungen und 84 Betriebe importierten Waren von dort.

„Wir laufen mit einem Mix aus Wirtschaft und Wissenschaft in Moskau und Samara auf“, sagt Dulig. Das Spektrum reicht von Schwergewichten des Maschinen- und Anlagenbaus wie Heckert, CAC, Niles-Simmons-Hegenscheidt in Chemnitz und Mikromat in Dresden über die Schmiedewerke Gröditz, den Sensorhersteller ADZ Nagano in Ottendorf-Okrilla und Robotron Datenbank-Software in Dresden, die Leipziger Messe bis zur Metalltechnik Großenhain Götz Lamm. Ferner sind Experten für Metallumformung sowie Strukturleichtbau der TU Bergakademie Freiberg und der TU Chemnitz in Duligs Gefolge.

Duligs Amtskollege Alexander Kobenko, zugleich Vizegouverneur der Region Samara, lädt die Gäste aus Sachsen ein, der russischen Wirtschaft mit Ausrüstungen und Investitionen auf die Beine zu helfen: „Wir sind willig, Sie zu unterstützen, Partner zu suchen und Personal auszubilden.“

Als heikel wird Duligs Mission nur daheim angesehen, bei den Russen rennen die Besucher offene Türen ein – nicht nur der Tiegel-Vertreter für gutes Klima, auch Marina Michalk, Vertriebsmanagerin bei Orchidee Europe in Pirna. Sie verkauft zwar keine Blumen aber Feuerlöschmittel.