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Neue Wege für den Kreuzchor

Künftig pauken Kruzianer auch auf Tourneen. Sie erproben es derzeit in Japan, denn das Kreuzgymnasium „baut“ um.

Von Bernd Klempnow
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Zwei Botschafter aus Dresden – die Kruzianer und der Zwinger.
Zwei Botschafter aus Dresden – die Kruzianer und der Zwinger. © Matthias Krüger

Kruzianer sind Reiseprofis. Schließlich geht der Dresdner Kreuzchor regelmäßig auf Tourneen, ist jedes Jahr im Ausland und alle 24 Monate in Asien. Und doch erleben diese Profis immer wieder mal Neues – und nicht alles ist auf Anhieb schön.

Zuerst das Positive: Gleich zwei Chöre sind derzeit auf Reisen. Unter Leitung des Kreuzkantors Roderich Kreile gastieren 36 Kruzianer noch bis 8. Dezember in Japan und werden erstmals in der alten Kaiserstadt Kyoto auftreten, einer der historisch und kulturell bedeutendsten Städte des Landes. Den zweiten, größeren Teilchor führt Wolfgang Behrend bei seiner ersten Auslandsreise als Chordirigent bis 8. Dezember nach Skandinavien mit Stationen in Norwegen und Dänemark. Das Besondere: Mit Norwegen bereist der Kreuzchor nicht nur ein Land mit reicher musikalischer Landschaft insbesondere im Bereich der Chormusik – es ist die erste Tournee der Kruzianer dorthin seit 1937.

Doch nicht nur einige der Städte und Regionen sind eine Entdeckung. Auch der Alltag der Kruzianer ist diesmal anders als bisher. Erstmals reist eine Lehrerin mit. Die Mathe-Expertin übt speziell mit den Schülern der Oberstufe in Japan, damit die nicht zu viel Unterrichtsstoff verpassen. Schließlich haben diese trotz Reisen und der noch anstehenden vielen Dezemberkonzerte daheim in Dresden im Frühjahr Abiturprüfungen. Und die wollen Schüler so gut wie möglich bestehen – was auch Eltern und Lehrer anstreben.

Die jungen Männer, so heißt es aus dem Chor, seien anfangs skeptisch gewesen, als sie von der Neuerung erfuhren. Mittlerweile laufe es gut. „Wir testen die Japan-Tournee als Pilotprojekt!“, sagt der Direktor des Evangelischen Kreuzgymnasiums Jörg Wetzel. „Bewährt sich diese Form, keine allzu großen Lücken im Unterrichtsstoff zuzulassen, werden wir schauen, wie wir das ausbauen können.“

Das sind ganz neue Töne aus dem berühmten Gymnasium, an dem neben den Kruzianern auch andere musisch begabte Kinder und Jugendliche – teils in gemeinsamen Klassen – lernen. Jahrzehntelang herrschte zu dieser Frage Frust. Die Schüler versäumten durch die Doppelbelastung Schule und Chor zu viel Unterricht, waren oft unkonzentriert und undiszipliniert. Die Lehrer hatten Mühe, ihren Stoff zu schaffen. Die Kommunikation zwischen Schul- und Chorleitung war miserabel. Was in anderen Schultypen wie etwa Sportgymnasien funktioniert, dass Hochleistungssport (Hochleistungskunst) und Schule aufeinander abgestimmt sind, schien unmöglich.

Bis die alte Direktorin ging. Und plötzlich lagen Vorschläge vom Kollegium auf dem Tisch, wie die gesamte Schülerschaft – nicht nur die Kruzianer – an dieser besonderen Einrichtung optimaler gebildet werden könnten. Großen Anteil an der Umsetzung hat der neue, seit dem Sommer agierende Direktor Jörg Wetzel, der von großartigen Chancen spricht. Im Kern geht es für den Kreuzchor derzeit um das Kompensieren von Ausfällen während intensiver Proben- und Auftrittszeiten. Zudem wird eine Förderung im „laufenden Betrieb“ angeboten, um rechtzeitig eventuelle Lücken im Lehrstoff zu erkennen und gegenzusteuern. Die Begleitung durch Lehrer auf den Tourneen ist eine Maßnahme, über andere kann der Direktor noch nicht reden, weil ihre Umsetzung noch nicht hundertprozentig geklärt ist.

Fakt ist: Gerade die Leistungsträger des Chores, die Knaben der 5. bis 7. Klasse – dann kommen die meisten in den Stimmbruch und fallen für den Chor erst einmal für Monate aus – bräuchten eine schulische Entlastung. In welcher Form auch immer?

Eine essenzielle Idee ist aus politischen Gründen vorerst abgebürstet worden. Das Kreuzgymnasium hätte gern Kruzianern, deren Leistungen fürs Abitur nicht reichen, die aber Chormitglied bleiben sollten, einen Oberschulabschluss angeboten. „Den Makel, ohne Gymnasialabschluss den Chor verlassen zu müssen, wollten wir anderen Kruzianer-Generationen ersparen“, so Wetzel. Doch das würde eine Änderung des Schulgesetzes voraussetzen. Und das ist mit der gegenwärtigen Landesregierung von CDU und SPD nicht möglich. Vielleicht mit der nächsten?

Von einem neuen Geist und pädagogischen Klima am Kreuzgymnasium ist die Rede. Auch die Knaben werden es danken. In Dresden sind die gerade in Japan und Dänemark Gefeierten mit dem traditionellen Weihnachtsliederabend am 10. Dezember in der Kreuzkirche zu erleben. Das ist der Auftakt zu den vielen Advents- und Weihnachtskonzerten des Kreuzchores mit Weihnachtsoratorien, Konzert im Dynamo-Stadion, Vespern und Metten.