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Der Pirnaer mit großem Fahrgefühl

Harald Schumann ist 56 Jahre Lkw gefahren. Ohne Unfall. Jetzt ist seine Fahrlizenz abgelaufen. Er übergibt die Brummi-Leidenschaft an seine Tochter.

Von Mareike Huisinga
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Harald Schumann aus Pirna war mit dem Lkw 56 Jahre auf Achse. Durch ganz Europa fuhr er. Unfallfrei. Jetzt hat er aufgehört. Schweren Herzens.
Harald Schumann aus Pirna war mit dem Lkw 56 Jahre auf Achse. Durch ganz Europa fuhr er. Unfallfrei. Jetzt hat er aufgehört. Schweren Herzens. © Marko Förster

Der dritte November 2021 ist für Harald Schumann eine Zäsur in seinem Leben. An diesem Tag ist die Gültigkeit seines Führerscheins für Lkw abgelaufen. Er hat die Lizenz nicht wieder verlängern lassen. Aus Altersgründen. "Es fiel mir nicht leicht", gibt der 79-Jährige offen zu. 56 Jahre war Harald Schumann mit dem Lkw auf Achse und auf den Autobahnen. Punkte in Flensburg sind für ihn ein Fremdwort. "Ich war zwar an manchen Unfällen beteiligt, hatte aber niemals Schuld", sagt der Rentner, ein gewisser Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Sein Geheimrezept für unfallfreies Fahren? "Man muss Ruhe bewahren. Wer hektisch wird, hat schon verloren", meint Schumann. Außerdem bremste er auch für andere und hielt sich immer an die Verkehrsvorschriften.

Gute Gemeinschaft unter Brummi-Fahrern

Auf die Frage, was ihm so sehr am Lkw-Fahren gefällt, zögert er einen Moment und wischt sich dann etwas verstohlen die Augen. Er ist emotional bewegt. "Die Freiheit", sagt er dann mit leiser Stimme. Er überlegt einen Moment. "Auf der Straße bin ich ungebunden, das war immer ein schönes Gefühl", meint er. Aber auch die gute Gemeinschaft unter den Lkw-Fahrern, in Deutschland sowie im Ausland, vermisst er. "Man achtet sich gegenseitig und verhält sich rücksichtsvoll", blickt Schumann zurück. Probleme beim Überholen eines langsamer fahrenden Lkws auf der Autobahn hatte er nie. "Der andere Fahrer hat mich immer reingelassen", sagt der Copitzer. Auf Raststätten und Parkplätze fanden Brummifahrer und Brummifahrer immer schnell zusammen. "Oft habe ich mit fremden Menschen gute Gespräche geführt, die mir dann nicht mehr fremd waren, sondern Freunde wurden", berichtet Schumann.

Harald Schumann hatte schon bei der NVA ein Faible für Lkws.
Harald Schumann hatte schon bei der NVA ein Faible für Lkws. © privat

Los ging es bei der NVA

Schon als kleines Kind begeisterte sich Harald Schumann für Technik und Motoren. 1961 machte er seinen Motorradführerschein und kaufte sich eine 350er-Jawa.

Bei der NVA absolvierte er eine sogenannte Militärkraftfahrerprüfung, jetzt durfte er Pkw, Lkw und Traktoren fahren. Während des sich anschließenden Studiums in Dresden setzte er noch seinen Personenbeförderungsschein für Busse drauf. Zu DDR-Zeiten fuhr er schon immer Lkws für kleinere eigenständige Unternehmen, hauptberuflich arbeitete er unter anderem als Leiter der Abteilung Fernwärmeversorgung in Pirna.

1990 machte er sich mit seinem Ingenieurbüro für Haustechnik selbstständig, das er jetzt allerdings aufgegeben hat. Seinem Hobby, dem Lkw-Fahren, blieb er auch als Selbstständiger treu. So hat er viele Länder in Europa „erfahren“, unter anderem Belgien, Frankreich, Spanien und Italien. Am liebsten saß Harald Schumann allein in der Fahrerkabine. Langeweile war für ihn kein Thema. „Während der Fahrt konnte ich mich sammeln, klare Gedanken fassen und war mir selbst genug“, resümiert Schumann.

Im Nebenberuf, aber vielmehr als Hobby, fuhr der Pirnaer schwere Lkws für regionale Speditionsfirmen, teilweise auch Gefahrgut. „Ich schätze, im Jahr war ich durchschnittlich zwei bis drei Monate mit den 40-Tonnern unterwegs“, überlegt Schumann laut. Über 20.000 Kilometer schrubbte er auf den Autobahnen jährlich.

Dabei kam es auch zu kniffligen Situationen. Nicht vergessen wird Harald Schumann seine Tour nach Südspanien. In Toledo hat er Holz geladen. Rauf auf die Autobahn. Nahe Tarragona. Die Tachonadel steht auf 90. Plötzlich ein Knall. Erschrocken fährt Schumann zusammen; schaut in den Rückspiegel. Eine riesige Qualmwolke, der Hinterreifen ist zerfetzt. Harald Schumann behält die Nerven und macht das einzig Richtige: Er gibt Gas. So kann er den schweren Sattelzug wieder gerade ziehen, um dann sachte abzubremsen. Nach zirka 300 Metern kommt er schließlich auf der Standspur zum Stehen. "Es war wirklich knapp", erinnert sich Schumann.

Land und Leute kennenlernen? Fehlanzeige

Dass er auf seine Fahrten nun unbedingt Land und Leute kennengelernt hat, kann er nicht behaupten. "Dafür fehlte auch die Zeit. Das Speditionsgeschäft ist auf Termine bedacht", sagt er. Aber er hat die Landschaft aus seiner höher gelegenen Fahrerkabine genossen und konnte während Pausen zahlreiche Fotos machen, die jetzt alle fein geordnet in seinem Computer sind. Immer, wenn das Lkw-Heimweh zu groß wird, sieht sich Harald Schumann diese Bilder an.

Jetzt, wo der Pirnaer nicht mehr auf den Straßen unterwegs ist, hat er trotzdem keine Langeweile. "Mein Grundstück ist groß. Da gibt es immer etwas zu tun." Er hat das Fortbewegungsmittel gewechselt. Statt mit dem Lkw auf der Autobahn wird er jetzt öfter mit einem Kreuzfahrtschiff auf den großen Meeren unterwegs sein.

Und das Gute: Die Liebe zum Brummi bleibt in der Familie. Seine Tochter Katrin hat die Leidenschaft von ihrem Vater übernommen. Angestellt ist sie als stellvertretende Filialleiterin in einem Heidenauer Supermarkt. Nebenberuflich macht sie es aber so wie ihr Vater vor dem 3. November. Sie fährt aushilfsweise für eine Speditionsfirma und bringt problemlos einen 40-Tonner sicher ans Ziel. „Ich habe einfach Lust am Fahren. Da schlagen wohl die Gene meines Vaters durch“, sagt Katrin Schumann mit einem Schmunzeln.