SZ + Pirna
Merken

Die Frau für die schönen Köpfe

Seit mehr als vierzig Jahren schneidet Ines Richter aus Rosenthal ihren Kunden die Haare. Aber jetzt frisiert sie auch innerlich.

Von Jörg Stock
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
"Wir können so viel beeinflussen, wenn wir uns mit den Menschen beschäftigen." Friseurmeisterin Ines Richter, 57, sieht sich als ganzheitliche Schönheitsexpertin.
"Wir können so viel beeinflussen, wenn wir uns mit den Menschen beschäftigen." Friseurmeisterin Ines Richter, 57, sieht sich als ganzheitliche Schönheitsexpertin. © Steffen Unger

Es gibt Frauen, sagt Ines Richter, die sich im Freundeskreis auszeichnen, weil sie einen tollen Kartoffelsalat machen. Aber als Frau sind sie unsichtbar. In solchen Fällen juckt es der Friseurmeisterin in den Fingern. "Denen ein geiles Blond zu verpassen und ein schönes Augen-Make-up, dass es die anderen umhaut - das beschert diesen Frauen unsagbare Glücksmomente."

Ines Richter hat eine Mission: die Menschen schöner machen. Der Friseur ist Experte darin, "indem er sich bewusst macht, was er für den Kunden alles tun kann." Das ist ihrer Ansicht nach eine Menge. "Wir können so viel beeinflussen, wenn wir uns mit den Menschen wirklich beschäftigen." Deshalb ärgert sie es manchmal, wenn im Frisierstuhl bloß übers Wetter geredet wird, "und die fantastische Möglichkeit, aus sich das Beste machen zu lassen, verloren geht."

Das Friseurhaus auf dem Rosenthaler Neidberg. 2020 hat Ines Richter die Geschäfte an ihre Mitarbeiterinnen abgegeben.
Das Friseurhaus auf dem Rosenthaler Neidberg. 2020 hat Ines Richter die Geschäfte an ihre Mitarbeiterinnen abgegeben. © Steffen Unger

Die Friseurbranche im Landkreis schrumpft. Laut Handwerkskammer gab es 2022 gut zweihundert Betriebe in Sächsischer Schweiz und Osterzgebirge. Vor zehn Jahren waren es noch über 260. Das Metier hat Sorgen, wie viele andere Gewerke auch. Personalnot, Mindestlohn, Teuerung. Für Ines Richter gehört auch ein gewisses Imageproblem dazu. Als sie anfing, waren die Lehrlinge handverlesen, der Job ein Traum. Heute herrsche die Vorstellung, dass jeder, dem sonst nichts einfalle, immer noch Friseur werden könne.

Den Salon Ines Richter gibt es seit 1990. Er hat ein Vorleben in der DDR, als Teil der PGH "Chic" Bad Schandau. Dass das Geschäft bis heute existiert, ausgerechnet in Rosenthal, dem letzten Dorf vor der tschechischen Grenze, wirkt kurios. Und ja, es war eine Herausforderung, sagt die Chefin. Sie hat nie daran gedacht, wegzugehen. Sie liebt ihre Heimat. "Machen muss man woanders auch", sagt sie. "Also kann ich auch hier machen."

Eine frühe Aufnahme von Ines Richter (r.) und ihrem Team (v.l.): Adriana Wünsche, Peggy Schlieder und Ramona Erler.
Eine frühe Aufnahme von Ines Richter (r.) und ihrem Team (v.l.): Adriana Wünsche, Peggy Schlieder und Ramona Erler. © Foto: privat

Was sie gemacht hat, ist auf dem Rosenthaler Neidberg zu besichtigen. Auf dieser Anhöhe, neben dem 200 Jahre alten Wohnhaus, Erbstück vom Opa, steht der Friseursalon. Für den Laden hat Ines Richter ein eigenes kleines Gebäude errichten lassen. Groß genug, dass der Eiffelturm hineinpasst, samt Arc de Triomphe.

Die Kultur der totalen Schönheit

Die großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos aus Paris unterstreichen den ästhetischen Maßstab. Die Mädels vom Laden waren auch selbst schon in Frankreich, am Sitz ihres Kosmetik-Lieferanten "La Biosthetique". Die Firma, seit 1950 aktiv, legt Wert auf natürliche Rohstoffe, gilt als Teil des Premium-Segments und verfolgt die "Culture of Total Beauty", die Kultur der totalen Schönheit.

Die Idee, wonach der Friseur der ganzheitliche Schönmacher sein soll, kommt Ines Richter entgegen. Sie begreift das Geschäft als Wohlfühloase. Während das Haar Farbe annimmt, kommt die Menükarte mit ergänzenden Schönheitsleistungen, inklusive Hautpflege und Gesichtshaar-Entfernung per Waxing. Eine Sinnesreise mit Duftöl ist auch dabei.

Arbeit unterm Eiffelturm: Auch nach der Geschäftsübergabe ist Ines Richter noch täglich für einige Stunden im Salon.
Arbeit unterm Eiffelturm: Auch nach der Geschäftsübergabe ist Ines Richter noch täglich für einige Stunden im Salon. © Steffen Unger

Das Wohlfühlen ist in Rosenthal aber noch weiter gefasst. Bei schönem Wetter kann man die Einwirkzeit im Obstgarten sitzend verbringen, mit einem guten Buch. Ines Richter hat auch immer wieder Events für die Kundschaft veranstaltet: Rapunzel-Abend für Menschen mit langen Haaren, inklusive Längen-Wettstreit, Brille und Frisur, Schmuck und Frisur, Make-up und Frisur. "Das waren tolle Abende."

Ines Richter sagt, dass es einen Unterschied macht, ob man Kunden die Haare schneidet oder sie bedient. Beides hat seine Berechtigung. Sie findet es aber wichtig, die Leute, zumindest ab und zu, abzuholen, auch aus dem Alltag herauszureißen. "Mit wenigen Handgriffen kann man sich völlig neu erfinden." Wie die Kunden wirken wollen, sportlich, feminin, extravagant, kompetent - das allerdings muss der Frisör herausfinden.

"Das Unterbewusstsein hört die Gedanken." Deshalb ist es Ines Richter wichtig, sich selbst an eine positive Einstellung zu erinnern.
"Das Unterbewusstsein hört die Gedanken." Deshalb ist es Ines Richter wichtig, sich selbst an eine positive Einstellung zu erinnern. © Steffen Unger

Mit Menschen konnte Ines Richter schon immer gut. Schon als Schulmädel, bei der Ferienarbeit im Laden der PGH "Chic", zeigte sich ihr kommunikatives Talent. Ihr fiel es leicht, auf Leute zuzugehen, sie zu unterhalten. "Es hieß: Du bist der geborene Friseur", erzählt sie lachend. "Dabei hatte ich noch gar niemandem die Haare geschnitten."

DDR: Friseurtermin noch vor dem Frühstück

1982 wurde Ines Richter Lehrling. Das Geschäft war turbulent. Preise von 6,35 Mark für den Damenschnitt, mit Föhnen, und 1,35 Mark für den Herrenschnitt, luden die Kundschaft ein, öfter zu kommen, mitunter jede Woche. Telefon hatte kaum einer, die Leute standen spontan im Salon. Sonnabends ging es schon um 6 Uhr morgens los, damit die Frauen Hausarbeit und Familie auch noch wuppen konnten. "Man musste sich ganz schön drehen."

Bildkarten gehören zum Coaching-Werkzeug. Die Abbildungen können Klienten dabei helfen, ihre Gefühlswelt zu erkunden.
Bildkarten gehören zum Coaching-Werkzeug. Die Abbildungen können Klienten dabei helfen, ihre Gefühlswelt zu erkunden. © Steffen Unger

Kaum ausgelernt, ging Ines Richter auf die Meisterschule, wurde außerdem Chefin des Lehrsalons der PGH in Königstein. Weiterkommen wollte sie unbedingt. Doch dann kam der Sommer 1989. Immer mehr Kollegen verschwanden, auch Azubis. Nicht zurückgekehrt, vom Urlaub in Ungarn. "Das war schon gruselig."

Abhauen? Für Ines Richter keine Option. "Was ich will, mache ich hier und jetzt." So dachte sie damals schon, sagt sie. "Und ich zeige allen, dass es geht." Als es hieß, dass der PGH-Außenposten im Bielatal dicht macht, wenn ihn keiner übernimmt, übernahm sie ihn kurzerhand selbst. Was folgte, war ein atemloser Lernprozess, mit Seminaren und Weiterbildungen und Reisen kreuz und quer durchs Land. "Ich bin dahin gefahren, wo es das Wissen gab."

Der Festsaal des alten Hammerguts von Rosenthal-Bielatal. Hier hält Ines Richter ihre Coachings ab. Die Stunde kostet fünfzig Euro.
Der Festsaal des alten Hammerguts von Rosenthal-Bielatal. Hier hält Ines Richter ihre Coachings ab. Die Stunde kostet fünfzig Euro. © privat

Und die Bildungsreise der Ines Richter ist noch nicht vorbei. Das spürte sie im März 2020, als sie den Laden für den ersten Corona-Lockdown abschloss: "Da ist etwas in mir drin, das noch nicht gelebt ist." So übergab sie den Salon ihren beiden Mitarbeiterinnen und setzte sich bei der Hochschule Wismar auf die Schulbank, um neu anzufangen, als Systemischer Business Coach.

Nun ist sie also als Beraterin für Lebensführung aktiv. In den Sitzungen, die im Gewölbe einer alten Mühle im Ort stattfinden, erkundet sie mit den Klienten Themen und Ziele und entwirft Maßnahmenpläne. Coaching, das Wort mag sie eigentlich nicht. Aber es ist wichtig, sagt sie, weil die Menschen Schwierigkeiten haben, sich über sich selbst klar zu werden. "Das ist eine sehr harte Arbeit." Eigentlich macht Ines Richter als Coach das, was sie vorher auch gemacht hat, nur andersherum. "Jetzt frisiere ich die Köpfe von innen."

Mehr Infos zum Coaching unter [email protected]