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Der kleine Kämpfer ohne Bruder aus Pirna

Das Schicksal der Dauschs berührt viele. Seit Weihnachten ist ihr Frühchen zu Hause. Dort haben auch ihre verstorbenen Kinder ihren Platz.

Von Heike Sabel
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Seit einem Monat endlich zusammen und zu Hause: Katharina und David Dausch mit ihrem Ubbe.
Seit einem Monat endlich zusammen und zu Hause: Katharina und David Dausch mit ihrem Ubbe. © privat

So kleine Hände. So kleine Füße. So ein kleiner Mensch. Und doch schon so ein großer Held. Ubbe ist jetzt vier Monate. Drei davon hat er in der Klinik verbracht. Er kam als Frühchen zur Welt. Ganze 730 Gramm leicht. Jetzt wiegt er 2.930 Gramm und ist auf 45 Zentimeter gewachsen. Ubbe kam nicht allein auf die Welt. Sein Zwillingsbruder Fjell hat sie nach fünf Wochen wieder verlassen müssen. Eine Sepsis verursachte den Hirntod.

Die Eltern mussten entscheiden, ob die Maschinen abgestellt werden. Sie bekamen und nahmen sich die Zeit für diese Entscheidung. Nun ist Fjell Ubbes Schutzengel. "So sehen wir es", sagen Katharina und David Dausch.

In ihrer Wohnung auf dem Pirnaer Sonnenstein sind die Zwillinge, die es für sie immer bleiben werden, allgegenwärtig. Die ersten und die zweiten. Katharina und David haben bereits ein Zwillingspärchen verloren. Ihre Namen und Fotos stehen neben dem Plüschfuchs von Fjell und Ubbes Löwe und Ubbes Meilenstein-Bildern und weiteren Gegenständen. Die roten gehäkelten Mini-Schuhe zum Beispiel gab es, als er das Gewicht von 1.000 Gramm erreicht hatte.

Windel-Entwicklung: Die kleinste Windel misst sieben mal acht Zentimeter und erinnert eher an ein großes Papiertaschentuch. Nun trägt Ubbe schon die auf dem Foto größte Windel, auch wenn sie ihm noch etwas reichlich ist.
Windel-Entwicklung: Die kleinste Windel misst sieben mal acht Zentimeter und erinnert eher an ein großes Papiertaschentuch. Nun trägt Ubbe schon die auf dem Foto größte Windel, auch wenn sie ihm noch etwas reichlich ist. © privat

Nach nun vier Wochen haben sich Katharina und Ubbe zu Hause eingelebt. Sie war drei Monate fast immer in der Klinik und nur zum Schlafen daheim. Nun hat die Familie den neuen Rhythmus gefunden. Der Monitor und eine Sauerstoffflasche für den Notfall gehörten am Anfang auch dazu. Gebraucht haben sie beides nie. Nur die Fehlalarme haben genervt. An das Piepen des Monitors hatten sie sich gewöhnt. Jeder Ton war ein Herzschlag ihres Sohnes. Jetzt ist der Monitor wieder in der Klinik. Die Stille war zunächst komisch, sagen sie. Der Zettel mit den Notfall-Hinweisen klebt noch an der Schrankwand. Als Sicherheit. Befolgen mussten Katharina und David die Anweisungen noch nicht und hoffen, dabei bleibt es.

Probleme im Alltag

In diesen Tagen hat Ubbe oft Bauchschmerzen. Der kleine Kopf wird ganz rot, er krampft, man leidet mit dem kleinen Mann. "Dreimonatskoliken, ganz normal", sagt Katharina. Sie massiert ganz sanft das Bäuchlein, redet Ubbe gut zu. "Nun grinst du schon wieder", sagt sie und lächelt ihn an.

Ihr kleiner Sohn, der so um sein Leben gekämpft hat, hilft Katharina und David, mit den Problemen klarzukommen, vor die der Alltag sie jetzt stellt. Das beginnt bei der Suche nach finanzieller Hilfe für Ubbes teure Spezialnahrung aus der Apotheke und reicht bis zu den Kosten für die Beerdigung und den Grabstein für Fjell. Und es sind manchmal so profane Fragen, die sich sonst niemand stellt. Zum Beispiel, wie sie zu einem der extrakleinen Schnuller kommen. Es gibt sie nur für Kliniken, nicht im Handel. Die große Firma, die Dauschs angeschrieben haben, half nicht.

Spendenaktion für Fjells Grabstein

Dazu viele Behördenvorgänge. Und immer wieder muss sie alles erzählen. "Ich möchte es nicht stets wieder allen möglichen Leuten erzählen müssen und mir dann noch anhören müssen, das geht doch gar nicht", sagt Katharina. Sie ist wie Ubbe - stark und eine Kämpferin. Das aber sind Momente, in denen sie merkt, wie das alles auch an ihr zehrt. Die Familie war bewusst mit ihrer Geschichte in die Öffentlichkeit gegangen. "Nur so können wir, können andere es verstehen." Die Dauschs erfahren viel Hilfsbereitschaft und Verständnis. Dennoch bleibt viel, zu viel, was sie allein bewältigen und vor allem bezahlen müssen. In ihrer Verzweiflung bitten sie jetzt über eine Gofoundme-Aktion um Geld für Fjells Grabstein.

Selbstgenähte Frühchen-Kleidung

Dann klingelt es. Eine Frau vom Sternenzauber-und-Frühchenwunder-Verein bringt Sachen, die sie für Ubbe aus den Inkubatordecken der beiden Kinder genäht hat. Noch immer ist selbst die Frühchen-Kleidung, die es zu kaufen gibt, zu groß für den kleinen Mann. Ein Body mit Schleife, eine Jacke mit dem Fuchs. Immer wieder ist da Fjell. "Das ist uns wichtig", sagt Katharina.

Für die wichtigen Etappen gibt es Karten mit dem Datum: Das erste Mal ohne Beatmung, die ersten Klamöttchen, das erste Bad.
Für die wichtigen Etappen gibt es Karten mit dem Datum: Das erste Mal ohne Beatmung, die ersten Klamöttchen, das erste Bad. © privat

Als Katharina Dausch jetzt noch einmal mit Ubbe für ein paar Tage in der Klinik war, war es ein Wiedersehen mit Ärzten und Schwestern, fast alle hatten Tränen in den Augen. Frühchen sind hier auf der ITS der Uniklinik normal. Der Tod gehört dazu. Jedes Schicksal ist für die Eltern eine Zerreißprobe. Erst dieser Tage ist ein kleines Mädchen gestorben, mit deren Eltern Katharina und David bangten.

Die Waitzdorfer Höhe als nächster Meilenstein

Bei Ubbe steht die nächste Untersuchung im April an. Ubbes Eltern haben sich in der Klinik noch einmal für alles bedankt, "Auf Wiedersehen" haben sie nicht gesagt. Der nächste Meilenstein für Katharina, David und Ubbe soll ein Ausflug auf die Waitzdorfer Höhe sein. Es ist ihr Ort. Hier haben sie sich kennengelernt, hier haben sie voriges Jahr im April die Hochzeitsfotos gemacht. Vorwärts gehen und zurückblicken.