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Joggerin rettet Senior in Pirna vor dem Ertrinken in der Elbe

Ein 83-jähriger Mann stürzte in den Fluss. Heike Ullrich zögerte nicht und sprang zu ihm ins eiskalte Wasser – an einer der gefährlichsten Stellen.

Von Thomas Möckel & Daniel Förster
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Lebensretterin Heike Ullrich: "Ich habe in dem Moment gar nicht nachgedacht, ich wollte einfach nur helfen."
Lebensretterin Heike Ullrich: "Ich habe in dem Moment gar nicht nachgedacht, ich wollte einfach nur helfen." © Daniel Förster

Heike Ullrich treibt regelmäßig Sport, um sich fit zu halten. Die 52-Jährige arbeitet seit vielen Jahren als Erzieherin in der Kindertagesstätte „Spieloase“ in Pirna-Copitz, sie ist bei den Kindern ungemein beliebt. Einmal in der Woche geht sie joggen, die Route ist stets die gleiche, von Wohnort Niedervogelgesang geht es bis zur Stadtbrücke in Pirna und wieder retour, hin und zurück etwa acht Kilometer.

Die Laufstrecke führt überwiegend an der Elbe entlang, das ist meist wenig spektakulär, immer im Laufschritt, Puls und Atmung kontrollieren, Kopfhörer mit Musik im Ohr. Dass sie an diesem Fluss einmal eine Beinahe-Tragödie erlebt, die nur dank ihrer Hilfe keine wurde, ahnte sie bisher nicht im Geringsten. Bis sie dort zur Lebensretterin wurde.

Der Fall liegt schon einige Tage zurück, die Wasserschutzpolizei hat dazu noch nichts veröffentlicht. Doch nun haben Polizei, die Stadt Pirna und auch der ASB Königstein/Pirna Heike Ullrich ganz besonders geehrt, für ihren Mut und ihre Zivilcourage, die ihresgleichen suchen. „Aber ich habe in dem Moment gar nicht groß nachgedacht“, sagt sie, „ich wollte einfach nur helfen.“

"Wenn niemand hilft, ertrinkt er"

Es ist der 3. Januar 2023, später Nachmittag, etwas trübe, aber noch hell, Heike Ullrich ist bei ihrer Joggingrunde schon auf der Rücktour. Gerade hatte sie den Treppenaufgang an der Stadtbrücke erreicht, war dort umgedreht und lief wieder elbaufwärts. Als sie am Pirnaer Elbeparkplatz ankam, dort bei den großen Stufen, wo Kinder oft die Graugänse füttern, sah sie einige Menschen stehen, die aufgeregt mit den Armen fuchtelten und aufs Wasser zeigten und etwas riefen.


Um es zu hören, nahm Heike Ullrich die Kopfhörer aus den Ohren, blickte auf die Elbe und erschrak. Im Wasser trieb ein Mann, den Kopf noch über Wasser, aber keiner wusste, wie lange noch. Sie dachte zunächst bei sich: Der Mann ist bestimmt nicht zum Spaß im Wasser. Und gleich danach schoss ihr der Gedanke in den Kopf: Wenn niemand hilft, ertrinkt er.

Rettungseinsatz am 3. Januar an der Elbe in Pirna. Dem 83-Jährigen, der aus dem Fluss gezogen wurde, geht es wieder gut.
Rettungseinsatz am 3. Januar an der Elbe in Pirna. Dem 83-Jährigen, der aus dem Fluss gezogen wurde, geht es wieder gut. © Daniel Förster

Nach Auskunft der Wasserschutzpolizei handelte es sich um einen 83-jährigen, gehbehinderten Rentner, vermutlich war er in Höhe des Spielplatzes auf den Elbwiesen in den Fluss gestürzt, wie genau, weiß keiner. Aufgrund der Fließgeschwindigkeit schätzen die Beamten, dass er etwa 300, 400 Meter im Wasser trieb, bis er gerettet wurde.

Auch der Pirnaer Fährmann hilft

Heike Ullrich rannte zurück, lief auf den Fähranleger, die Fähre setzte gerade von Copitz zur Altstadt über. Die Erzieherin gab dem Fährmann ein Zeichen, zeigte auf den Mann im Wasser und rief in Richtung Fährmann: „Werfen Sie ihm den Rettungsring zu!“. Der Schiffslenker warf den Rettungsring, der im Wasser Treibende konnte ihn greifen und sich festhalten – allerdings nur kurz.

Dann war der Mann im Wasser auf einmal weg, Heike Ullrich konnte ihn nicht mehr sehen. Doch dann tauchte er wieder auf, trieb unter dem Steg des Fähranlegers hindurch immer weiter elbabwärts, geradewegs auf die Dampferanlegestelle zu. Heike Ullrich rannte weiter zurück, hastete auf den Ponton der Dampferanlegestelle. Doch das Deck liegt hoch über der Wasseroberfläche, und sie dachte sich: Von hier aus bekomme ich ihn niemals zu fassen.

Heike Ullrich rannte abermals ein Stück in Richtung Stadtbrücke, bis zu der Stelle, wo hinter dem Dampferanleger eine Treppe hinunter zur Elbe führt. Dort angekommen, tauchte in diesem Moment der Mann vor ihr auf, gar nicht weit vom Ufer entfernt. Und sie wusste, es ist die letzte Chance, ihm zu helfen, gelingt das nicht, dann würde er auf die Brückenpfeiler zutreiben, wo Sog und Strudel besonders stark sind.

Peter Langer, Präsident der Bereitschaftspolizei, Heike Ullrich: Vor dieser Leistung kann man nur den Hut ziehen.
Peter Langer, Präsident der Bereitschaftspolizei, Heike Ullrich: Vor dieser Leistung kann man nur den Hut ziehen. © Daniel Schäfer

Besonders tückische Strömung

Heike Ullrich zog sich Schuhe und Jacke aus, legte ihre Gürteltasche ab und stieg ins Wasser, die Elbe war da fünf Grad kalt. Sie tastete sich über die glitschigen Steine, hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen, musste ein Stück schwimmen. Sie hat sich einmal zur Rettungsschwimmerin ausbilden lassen, doch das ist schon lange her.

Die Wasserschutzpolizei zollt ihr dafür größten Respekt, weil sie ihr eigenes Leben riskierte, um einen Menschen zu retten, sie war ausgerechnet an einer der gefährlichsten Stellen im Pirnaer Elbabschnitt ins Wasser gegangen. Der Pegel lag an diesem Tag bei über zwei Meter, so kurz vor der Brücke ist die Strömung besonders stark und tückisch.

Nachdem Heike Ullrich einige Meter geschwommen war, bekam sie den Mann tatsächlich zu greifen, mit einem Arm umklammerte sie seinen Körper und zog ihn in Richtung Ufer. Irgendwann hatte sie die rutschigen Steine wieder unter den Füßen, mit letzter Kraft zog sie den Senior, der noch bei Bewusstsein war, ans Land. Eine Frau und zwei Männer halfen ihr, ihn die Treppe hinaufzutragen, sie legten ihn in die stabile Seitenlage, deckten ihn mit einer warmen Jacke zu. Dann kam der Rettungsdienst.

Dem 83-Jährigen geht es wieder gut

Für Heike Ullrich war der mutige Sprung ins Wasser selbstverständlich. „Ich habe mir gedacht: Wenn ich jetzt nicht reingehe, wird das nichts mehr“, erzählt sie. Wäre der Mann weiter in Richtung Fahrrinne getrieben, noch länger im eiskalten Wasser gewesen oder vielleicht sogar mit einem der Brückenpfeiler kollidiert – höchstwahrscheinlich hätte er das nicht überlebt. Sie selbst wärmte sich nachher in einem Bus auf, sie war ja klatschnass, aber wenigstens ihr Körper war vom Joggen zuvor gut aufgewärmt.

Eine reichliche Woche danach wird Heike Ullrich nun für ihren Lebensretter-Einsatz geehrt. „Vor so einer Leistung kann man nur den Hut ziehen“, sagt Peter Langer, Präsident der Bereitschaftspolizei Leipzig, der auch die Wasserschutzpolizei untersteht. Sie habe ein Leben gerettet und dabei ihr eigenes gefährdet, weil sie an dieser gefährlichen Stelle, bei dieser Strömung und bei diesen Temperaturen ohne zu zögern ins Wasser ging.

Auch Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos) bedankte sich bei Heike Ullrich. „Sie hat einen Menschen aus einer lebensgefährlichen Situation gerettet“, sagt er, „das geht weit über das übliche Maß an Zivilcourage hinaus.“ Für die Lebensretterin gab es Blumen und Gutscheine, etwas ganz Wichtiges kommt noch im Nachgang: Hanke hat beim Land Sachsen beantragt, dass Heike Ullrich mit der Lebensrettermedaille geehrt wird.

Joggerin Heike Ullrich aus Pirna. Sie sprang an einer besonders gefährlichen Stelle in die Elbe, um einen Ertrinkenden zu retten.
Joggerin Heike Ullrich aus Pirna. Sie sprang an einer besonders gefährlichen Stelle in die Elbe, um einen Ertrinkenden zu retten. © Daniel Förster

Ein besonderes Dankeschön gab es auch vom ASB Königstein/Pirna – weil der Verein den geretteten Senior zuweilen in einer seiner Einrichtungen betreut. ASB-Geschäftsführer Marco Matthes überbrachte herzliche Dankesgrüße von der Familie des Mannes – und zudem eine gute Nachricht: Der 83-Jährige konnte zwei Tage nach dem Sturz in die Elbe das Krankenhaus verlassen, es geht ihm wieder gut. Und Heike Ullrich hat jetzt noch einen Wunsch. „Ich möchte den Mann gern besuchen und kennenlernen“, sagt sie. Matthes hat versprochen, den Kontakt zu vermitteln.