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Pirna: AfD verliert Stadtrat-Sitz

Eine Abgeordnete scheidet aus gesundheitlichen Gründen aus, einen Nachrücker gibt es nicht. Auch die Grünen müssen einen Verlust hinnehmen.

Von Thomas Möckel
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AfD-Abgeordnete Liane Roy: Sie verlässt den Pirnaer Stadtrat aus gesundheitlichen Gründen.
AfD-Abgeordnete Liane Roy: Sie verlässt den Pirnaer Stadtrat aus gesundheitlichen Gründen. © Daniel Förster

Als die AfD 2019 erstmals zu einer Stadtratswahl in Pirna antrat, nominierte die Partei sieben Kandidaten, alle weitgehend unbekannt. Die Bewerber waren zuvor kaum oder gar nicht lokalpolitisch in Erscheinung getreten, einige waren erst kurz vor der Wahl nach Pirna gezogen.

Gleichwohl errang die AfD bei der Wahl im Mai 2019 die meisten Stimmen, sie zog mit fünf Abgeordneten ins Pirnaer Kommunalparlament ein. Durch den Wechsel des bis dato fraktionslosen Abgeordneten Tim Lochner im Dezember 2019 zur AfD-Fraktion verfügte sie seither über sechs Sitze.

Mit Beginn dieses Jahres ändert sich jedoch dieses Gefüge, allerdings aus Gründen, die so nicht vorhersehbar waren. Der Pirnaer Stadtrat wird in seiner Sitzung am 2. Februar über zwei Personalien entscheiden. Bestätigt das Gremium die Vorlagen, hat das zur Folge: Die AfD verliert für die laufende Legislatur einen Sitz im Stadtrat. Und bei der Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen/SPD" geht der Fraktionschef. Für ihn gibt es aber einen Nachfolger.

AfD-Nachrücker sagen ab

Nach Auskunft der Stadt habe die AfD-Abgeordnete Liane Roy Anfang Januar dem Rathaus mitgeteilt, dass sie ihr Ehrenamt aufgrund anhaltender Krankheit nicht mehr ausüben könne und daher ihr Mandat niederlegen möchte. "Wir bedauern ihr Ausscheiden sehr. Wir wünschen ihr viel Gesundheit und dass sie in ein normales Leben zurückkehren kann", sagt AfD-Fraktionschef Bodo Herath.

Die beiden möglichen - und einzig verbliebenen - Nachrücker, Heide und Horst-Dieter Bonn, haben laut Herath bereits im Vorfeld abgelehnt, ihrerseits das Mandat anzutreten.

Nach Aussage der Stadt seien weitere Ersatzkandidaten für die AfD den Ergebnissen der Kommunalwahl nicht zu entnehmen. Beschließt der Stadtrat, das Liane Roy ausscheidet, würde demnach kein Kandidat für die AfD ins Kommunalparlament nachrücken, der Sitz bliebe unbesetzt.

"Ein Platz bleibt nun auf Dauer leer. Mit diesem Verlust müssen wir jetzt klarkommen, aber die Gesundheit geht vor", sagt Herath. Gedanklich bereite er bereits die Kommunalwahl 2024 vor. Er sei sehr optimistisch, dass die AfD in Pirna dann mit mehr Personal antreten werde als vor zwei Jahren.

Arzt und Stadtrat - es funktioniert nicht

Die zweite Personalie betrifft Dr. Stefan Thiel, bislang Chef der Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen/SPD". Der Allgemeinmediziner beabsichtigt, sein Mandat niederzulegen, weil das Ehrenamt seine Berufstätigkeit erheblich behindere und er daher seinen Beruf nicht mehr vollumfänglich ausüben könne.

Die Corona-Pandemie, sagt Thiel, habe in den Arztpraxen zu einer nie dagewesenen Flut von Vorschriften, Empfehlungen, Änderungen, widersprüchlichen Informationen und einer noch nie dagewesenen zeitlichen Dichte geführt. Die Situation sei zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht vorhersehbar gewesen.

Diese vielfältigen, neu hinzugekommenen Probleme würden von Bund, Land, Landkreis, Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen und Ärztekammern ohne jedes Verständnis für die begrenzten Ressourcen in kleinen Arztpraxen mit wenigen Mitarbeitern einfach "nach unten durchgereicht", so Thiel weiter. "Im Herbst 2020 war absehbar, dass es wohl noch lange so weitergehen wird und die ehrenamtliche Arbeit neben der Praxis nicht mehr zu bewältigen ist."

Stefan Thiel, bislang Chef der Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen/SPD": Er verlässt den Pirnaer Stadtrat aus beruflichen Gründen.
Stefan Thiel, bislang Chef der Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen/SPD": Er verlässt den Pirnaer Stadtrat aus beruflichen Gründen. © Daniel Förster

Thiel: Keine Mehrheit für klimagerechtere Stadt

Anfang Dezember entschloss er sich, sein Mandat niederzulegen. Seither fühle er sich sehr entlastet, weil es für ihn nur zwei Alternativen gab: entweder er übt sein Mandat ganz aus - oder eben gar nicht.

"Meine in unserer Stadt leider bisher nicht von der Mehrheit des Stadtrates und auch der Verwaltung geteilte Überzeugung, dass für ein gutes Leben unserer Kinder hier eine grünere, klimagerechtere Stadt, das Ende der weiteren Versiegelung, ein Ende des Prozesses, dass Pirna Jahr für Jahr immer mehr Bäume auf städtischen und privaten Grundstücken verliert, eine konsequente, rasche Verkehrswende sowie eine gemeinwohlorientiertere Politik notwendig sind, verlangt ein Maß von Energie und Zeit, die mir nicht mehr zur Verfügung stehen", sagt der Mediziner.

Für Thieles Rückzug ist aber noch ein weiterer, so nicht vorhersehbarer Grund ausschlaggebend: die aus seiner Sicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ohne Rücksicht auf Verluste beschleunigte Digitalisierung in den Praxen.

Dies geschehe nach Aussage des Allgemeinarztes in völlig unausgereifter Form und frei von jeglichem Nutzen für Patienten und Arzt. Es werde lediglich Bürokratie von den Krankenkassen in die Praxen verlagert - zulasten der Praxen. "Das kostet uns ständig weitere personelle Ressourcen, statt uns zu entlasten", sagt Thiel. So habe auch dieser Umstand ihn bewogen, sein Stadtratsposten aufzugeben.

Es ist schon Thiels zweiter Abgang

Thiels Abgang ist jedoch nicht seiner erster dieser Art. Er saß Anfang der 2000er-Jahre schon einmal im Pirnaer Stadtrat, damals für die Freien Wähler. Im Herbst 2003 schied Thiel dann vorzeitig aus dem Kommunalparlament aus - auf eigenen Wunsch, ebenfalls aus beruflichen Gründen.

Im Fall von Thiels erneutem Ausscheiden soll der Nachrücker Dr. Hans-Werner-Sonntag als neuer Grünen-Stadtrat verpflichtet werden.

Der promovierte Chemiker aus Pirna-Copitz arbeitete bis 2018 als Lehrer am Pirnaer Schiller-Gymnasium, seitdem ist er an einem Beruflichen Gymnasium in Dresden tätig und unterrichtet dort die Fächer Chemie, Biotechnologie und Ernährungswissenschaften.

Bei seiner Kandidatur für die Wahl 2019 gab es vier Schwerpunkte an, denen er sich besonders widmen möchte: lokalen Klimaschutz forcieren, naturschonende Landwirtschaft und nachhaltigen Tourismus fördern, alternative Bildungsangebote stärken, Infrastruktur für Radfahrer ausbauen.

Wer wird neuer Fraktionschef?

Eine Frage ist bislang jedoch noch offen: Wer leitet künftig die Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen/SPD", wenn Thiel geht? Der bisherige Chef will darüber nicht spekulieren - auch sei er dafür nicht mehr zuständig.

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