Scheiterten Abschiebungen, weil die Termine verraten wurden?

Immer wieder sind Abschiebungen von nicht anerkannten Asylbewerbern in Dresden gescheitert. Polizisten haben die Betroffenen zum geplanten Termin nicht angetroffen. Die Polizei ermittelt nun, ob über das Sozialamt der Stadt die Daten an Flüchtlinge weitergegeben wurden und diese dadurch abtauchen konnten. Im Februar deckte die SZ diesen Verdacht auf. Daraufhin hat der städtische Datenschutzbeauftragte, Andreas Gagelmann, die Abläufe im Sozialamt untersucht und ist fündig geworden.
„Eine unzulässige Weitergabe von personenbezogenen Daten konnte vom Datenschutzbeauftragten weder festgestellt noch ausgeschlossen werden“, erklärt Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) auf Anfrage. Die Weitergabe wäre aber anhand der Arbeitsabläufe möglich. Deshalb hat Gagelmann Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) Empfehlungen gemacht, wie mit den Daten im Sozialamt umzugehen sei. Dabei fiel auf: Die Stadt hat nicht einmal eine Dienstanweisung zum Umgang mit der Datenbank für die Asylverfahren. Diese werde dringend benötigt. Auch die Zugangsberechtigungen für personenbezogene und damit sensible Daten müssen überprüft werden. „Diese sind auf die jeweilig notwendige Aufgabenerforderlichkeit zu beschränken und zu dokumentieren“, erklärt Kaufmann. Außerdem fordert der Datenschützer der Stadt, dass alle nicht erforderlichen Angaben in der Datenbank zu löschen sind – insbesondere Daten über anstehende Abschiebungen. Dort sei das Leck.
Die geplanten Abschiebungen wurden vor einiger Zeit zusätzlich in die Datenbank aufgenommen. Aber nicht, um die Termine an die Betroffenen zu übermitteln, sondern um das Gegenteil zu erreichen. Nach SZ-Recherchen wurden die Abschiebetermine hinzugefügt, um mögliche Umzüge in der Zeit zu verhindern. Denn die Stadt ist verpflichtet, die Landesdirektion und die Polizei als ausführende Behörde bei Abschiebungen zu unterstützen.
Datenschützer Gagelmann fordert nun, dass überprüft wird, ob überhaupt noch Abschiebetermine an das Sozialamt übermittelt werden dürfen, und verlangt, deren Zulässigkeit im Einzelfall nachzuweisen. Auch das gesamte Datensystem zur Unterbringung solle überarbeitet werden. Das bedeutet deutlich strengere Kontrollen der verwendeten Daten im Sozialamt.
Laut Bürgermeisterin Kaufmann heißt dies, dass es zwar keine grundsätzlichen Änderungen bei den Zugriffsrechten für ihre Mitarbeiter gibt, aber Details müssten „neu definiert“ werden. Die Bürgermeisterin sagt dazu: „Wir setzen die Empfehlungen des Datenschutzbeauftragten schrittweise um.“ Bisher haben im Sozialamt Mitarbeiter Zugriff auf die Asyl-Datenbank, die sich um die Unterbringung der Asylbewerber kümmern, die ihnen zustehenden Leistungen ermitteln und sie sozial betreuen.
Im Jahr 2017 wurden 234 von 490 Personen, die abgeschoben werden sollten, von der Polizei nicht angetroffen. Im vergangenen Jahr scheiterten 283 von 612 Abschiebeversuchen. Aufgrund einer Anzeige wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses ermittelt die Polizei. Denn auf die Daten haben nur Behörden Zugriff. Mehrere Mitarbeiter des Sozialamtes wurden bereits vernommen. „Die Ermittlungen in dem Fall laufen noch. Einen neuen Sachstand haben wir nicht zu veröffentlichen“, so Polizeisprecher Marko Laske. Ob jemals aufgeklärt werden kann, ob die Termine tatsächlich durchgestochen wurden und wer dahinter steckt, ist unklar. Selbstanzeigen oder Anzeigen durch Kollegen habe es bisher laut Kaufmann nicht gegeben.
Rathaussprecher Kai Schulz hatte zugesagt, dass die Stadt die Polizei bei der Aufklärung unterstützt. Den Verrat von Dienstgeheimnissen können nur Angestellte oder Amtsträger des öffentlichen Dienstes begehen. Durch die Tat muss das öffentliche Interesse gefährdet werden. Dies wäre beim Verrat von Abschiebeterminen gegeben. In dem Fall droht eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Haft. CDU-Stadträtin Daniela Walter hat bereits den Rücktritt von Bürgermeisterin Kaufmann wegen des Falls gefordert. „Wenn die Polizei ermittelt, gibt es in der Regel einen hinreichend begründeten Anfangsverdacht.“ Sollte sich dieser bestätigen, sei Kaufmann „nicht mehr zu tragen“. Stadtsprecher Schulz nennt das „üble Polemik und Vorverurteilung“, wovor er warne.