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„Alles raus, die Amerikaner sind da“

Der 16-jährige Eberhard Hänel erlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs im Waldheimer Kino „Capitol“. Tags darauf zogen die Russen in die Stadt ein.

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Albrecht Hänel bewahrt die Aufzeichnungen seines Vaters Eberhard Hänel auf, der am Ende des Krieges 16 Jahre alt war. Er hat nicht nur Erlebnisse aufgeschrieben, sondern auch Dokumente gesammelt.
Albrecht Hänel bewahrt die Aufzeichnungen seines Vaters Eberhard Hänel auf, der am Ende des Krieges 16 Jahre alt war. Er hat nicht nur Erlebnisse aufgeschrieben, sondern auch Dokumente gesammelt. © Dietmar Thomas

Von Dagmar Doms-Berger

Region Döbeln. Es war ein heißer sonniger Tag, der 6. Mai 1945. Mit Mühe hatte sich der 16-jährige Eberhard Hänel ins Waldheimer „Capitol“ gestohlen. „Denn der Film ,Das Hochzeitshotel’, eine Komödie mit Unterhaltungswert,`war erst ab 18 Jahre zugelassen“, schreibt er in seinen Aufzeichnungen. Diese sind ziemlich umfangreich. Albrecht Hänel blättert in den umfassenden Unterlagen seines 1999 verstorbenen Vaters Eberhard Hänel. Darin hielt der Waldheimer auch seine persönlichen Erinnerungen an die Ereignisse 1945 fest.

„Ich saß in der dritten Reihe von oben. Zwei Reihen vor mir saßen die von Frankreich nach Deutschland transportierten Zivilfranzosen.“ Das waren Arbeiter, die beim Telegrafenamt eingesetzt waren. „Ich sehe sie noch mit dem zweirädrigen Karren den Markt herunterfahren mit alten Masten beladen“, schreibt Eberhard Hänel. Sein Freund und er musizierten an manchen Abenden heimlich in ihrer Unterkunft im Haus Kriebsteiner Straße (Alte Molkerei).

Der Film hatte noch nicht angefangen. Da ging plötzlich die Tür auf und ein Hilfspolizist stand im Türrahmen. Er suchte nach Jugendlichen, die noch nichts im Kino zu suchen hatten. Der junge Eberhard Hänel hatte Glück. Das Licht ging aus, der Film begann. Kurz darauf gab es heftiges Gepolter. Das Kino wackelte. Das Licht ging an. Jemand rief: „Alles raus, die Amerikaner sind da.“

Darauf folgten Geschrei und Getöse. Das Kino schien außer Rand und Band. Die Franzosen fielen sich um den Hals. Der Hilfspolizist an der Tür war sich der Situation bewusst und wollte einem Franzosen kurzerhand die Zivilkleidung abknöpfen. Dafür gab es von den anderen Gelächter.

Der junge Eberhard Hänel ging anschließend mit den vielen anderen auf den Markt: „Als ich zum Markt komme, stehen dort amerikanische Panzer. Soldaten in amerikanischer Uniform besetzten die Brücke, wo noch vor kurzer Zeit ein Pferdewagen als Panzersperre diente und die Brücke blockierte.“

Der Kinofilm war der letzte Film, der bis zum Kriegsende im „Capitol“ Waldheim lief. Er war aber auch der erste, der nach dem Krieg im Kino gezeigt wurde. Einen Tag später, am 7. Mai, besetzten die Russen Waldheim. Die Amerikaner zogen sich daraufhin zurück, fuhren aber noch mehrmals mit ihren „Flitzern“ durch die Stadt, schreibt Hänel. Am selbigen Abend wurde das Zuchthaus geöffnet und die Insassen befreit.

Hartha unter Beschuss

In Waldheim hat es 1945 keine Kampfhandlungen gegeben. „Das war der Tatsache geschuldet, dass im Zuchthaus, aber auch im Stadtgebiet, Kriegsgefangene inhaftiert waren“, sagt Albrecht Hänel, von den Kultur- und Heimatfreunden für Waldheim und Umgebung.

Im Nachbarort Hartha und in Schweikershain hatte sich der „Wehrwolf“ verschanzt. Diese Einheit beschoss am 24. April 1945 ein amerikanisches Fahrzeug aus dem Hinterhalt. Die „Antwort“ der amerikanischen Artillerie war ein vierstündiger Beschuss mit etwa 2.000 Granaten aus Richtung Geringswalde. Es gab zwei Tote und mehrere Verletzte sowie erhebliche Schäden an rund 350 Gebäuden zu beklagen. Vier Gebäude wurden dabei total zerstört. Ein Blindgänger ging sogar bis Waldheim und schlug in der Nähe der Oststraße ein.

In Leisnig, Klosterbuch, Westewitz, Töpeln, Limmritz und Kriebethal waren die Brücken gesprengt, in Diedenhain und Waldheim die Eisenbahnunterführungen vollständig abgesperrt. Telegrafenapparate waren zertrümmert, die Postverbindung fehlte, der Eisenbahn- und sonstige Transport lag still.

Hinzu kam, dass Hartha überfüllt war mit Flüchtlingen. „Mit der Annäherung der Roten Armee vom Osten her, verstärkte sich der Zustrom der Vertriebenen“, ergänzt Hänel. Von Döbeln wurde noch in letzter Minute ein Reservelazarett mit rund 1.000 Mann nach Hartha verlegt.

Ferner bereiteten auch die von den Nazis zwangsweise nach Deutschland verschleppten ausländischen Arbeiter und Kriegsgefangenen, die sich auf ihre Rückkehr in ihre Heimat sammelten, große Sorgen. Die Lebensmittelversorgung geriet ins Stocken, die Lebensmittelgeschäfte öffneten nur zeitweise, Schulen blieben geschlossen. Die Lage war trostlos. Am 7. Mai kamen die russischen Truppen nach Hartha.

Albrecht Hänel erinnert sich, dass der Waldheimer Kultur- und Heimatverein vor 25 Jahren im damaligen Heimatmuseum eine Sonderausstellung über das Kriegsende gestaltet hatte. In Vorbereitung der Ausstellung wurden auch Zeitzeugen zu einem Stammtisch eingeladen, um die Ereignisse von 1945 zu erfragen.

 „Es war verblüffend, wir bekamen von allen Teilnehmern widersprüchliche Aussagen“, sagt Albrecht Hänel. „Heute ist es nachzuvollziehen. Damals waren es alle junge Burschen. Sie haben die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.“

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