Von Egbert Kamprath
Sie ist seit 400 Jahren unübersehbares Zeugnis der Jagd nach Bodenschätzen im Erzgebirge, die Altenberger Pinge. Genau am 24. Januar 1620 passierte es, dass der von den Bergleuten in fast 200 Jahren Arbeit völlig unterhöhlte „Alde Berg“ nicht länger standhielt und mit lautem Krachen in sich zusammenbrach. Die Pfeiler, die das Bergwerk zwischen riesigen Weitungen stützten, waren viel zu schwach. Das mächtige Beben soll bis Dresden zu spüren gewesen sein.
Nicht nur zwölf Schächte mit 30 Bergwerken versanken, sondern auch das Wohnhaus und Anlagen des Bergschmieds. 24 Personen wurden verschüttet, von denen 19 noch am selben Tag und vier weitere am vierten Tag nach dem Unglück lebendig geborgen werden konnten. Ein Bergmann jedoch blieb verschüttet. Der 79-jährige David Eichler wurde nie gefunden.
Dreißigjähriger Krieg, die Zerstörungen durch den Bergbruch sowie die Probleme bei der Grubenentwässerung ließen den Altenberger Bergbau nach der Katastrophe 50 Jahre ruhen. Doch schließlich machte man aus der Not eine Tugend und zog in über 200 Metern Tiefe das lockere Gestein aus dem Pingenbruch ab, statt sich mühsam mit Feuersetzen sowie mit Schlägel und Eisen voranzuarbeiten. Das erwies sich als deutlich effektivere Methode und wurde bis zur Bergwerksschließung 1991 beibehalten.
Wolfgang Schilka ist einer, der besonders damit verbunden ist. 1978 begann er bei Zinnerz Altenberg als Geologe, leitete von 1988 bis 1992 den Betrieb. Der Professor erlebte mit, wie ab 1978 durch den Kammerpfeilerbau und die damit verbundenen Sprengungen im Festerz die Pinge systematisch von sieben auf rund zehn Hektar vergrößert wurde. Die Trichtertiefe wuchs von 50 Metern auf über einhundert Meter. Würde man die Bruchmassen komplett herausholen, ginge es sogar 200 Meter hinab.
Und der Riesentrichter sollte noch viel größer werden. „Für viele Häuser in der Innenstadt gab es schon den Abrissbescheid, der Pingenzaun hätte irgendwann bis zum Rathaus gereicht“, schildert Wolfgang Schilka die Pläne. Doch durch Wende und zusammenbrechende Zinnpreise auf dem Weltmarkt kam es schließlich anders. Fast alle Bergbaugebäude verschwanden aus dem Ortsbild. Geprägt wird es aber auch künftig unübersehbar von den roten, schroffen Felswänden. Seit letztem Jahr ist dieses Zeugnis des Bergbaus im Rahmen der Montanregion Erzgebirge-Krušnohoří sogar Teil des UNESCO-Welterbes und damit besonders schützenswert.
Umgeben ist die Pinge, die wie das frühere Bergwerk inzwischen der LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH) gehört, von einem zwei Kilometer langen Schutzzaun. Das behindert auch den Blick in die Tiefe. Bei organisierten Wanderungen gibt es aber die Möglichkeit, von einer Aussichtsplattform hinab zu schauen. Leider behindern aber Bäume immer mehr den Blick.
Noch immer ist Bewegung im Bergbaudenkmal, denn die Felswände rutschen weiterhin ab. Richtung Geisingberg ist schon deutlich zu erkennen, wie sich die Hänge abflachen. Die Südwand hinter den Resten des ehemaligen Römerschachts fällt dagegen noch fast senkrecht ab. Wolfgang Schilka ist sich aber sicher, dass es irgendwann auch hier zum Felssturz kommen wird. Unklar ist nur der Zeitpunkt. Sorgen muss sich aber niemand. Das betroffene Areal liegt innerhalb der Umzäunung und umfasst nach Meinung des Experten einen Bereich von zehn bis 15 Metern. Bewegungen im Umfeld der Pinge werden permanent überwacht, um Überraschungen auszuschließen.
Eine Wiederaufnahme des Bergbaus in der bisherigen Form ist für Wolfgang Schilka kein Thema. „Allein aus Rücksicht auf die Häuser der Bewohner darf die Pinge nicht weiter verbrechen. Durch das Welterbe ist zudem dafür gesorgt, dass die äußeren Konturen der größten Pinge Deutschlands auch künftig erhalten bleiben müssen. Es liegen zwar noch rund 24 Millionen Tonnen Erz mit Zinn, Lithium, Molybdän und Wolfram in der Lagerstätte, eine Gewinnung müsste aber mit anderen Methoden geschehen“, sieht Wolfgang Schilka die Zukunft. Eigentumsverhältnisse, Weltmarktpreise und vor allem der Umweltschutz verbannen Ideen von einer Wiederaufnahme des Bergbaus in Altenberg in die weite Zukunft, meint er.
Auf jeden Fall wird Wolfgang Schilka am Tag des großen Pingenbruchs feiern. Nicht unbedingt wegen des Welterbetitels, sondern zufällig hat er am 24. Januar Geburtstag.